An den Mehrheitsverhältnissen in den beiden Kammern des Parlaments ändert sich nichts. Die bisherige sozialdemokratisch-konservative Koalition hat auch nach dem Referendum die Mehrheit. Renzi selbst sagt: „Wir können aus diesem Referendum als ein stabiles Land hervorgehen und das Heft des Handelns in Europa und der Welt entschlossen mit in die Hand nehmen. Oder wir gehen aus diesem Referendum hervor, in dem eine wirre Schar an Gegnern einen einzelnen geschlagen hat, ohne zu wissen, was danach kommt, ohne eine wirkliche Alternative zu haben.“ Und es mag die Analyse über die Bedeutung der Verfassungsreform übertrieben sein, aber was stimmt: es gibt keine politische Alternative zur derzeit stärksten Partei.
Fakten zum Italien-Referendum
Durch eine Verfassungsänderung soll das Regieren in Italien leichter werden. Die zweite Kammer, der Senat, wird quasi abgeschafft. So müssen nicht mehr alle Gesetze von beiden Kammern verabschiedet werden - was die für Italien typischen politischen Dauerblockaden auflösen soll. Kritiker sagen, dass die Regierung so zu viel Macht bekommt und die Reform nicht die wirklichen Probleme des Landes löst.
Ministerpräsident Matteo Renzi hat angekündigt, bei einer Niederlage in der Volksabstimmung zurückzutreten. Wenn also das „Nein“-Lager gewinnt, könnte ein Regierungssturz oder eine Regierungskrise folgen. Und auf politische Instabilität reagieren auch die Finanzmärkte. Es könnte auch zu Neuwahlen kommen, bei denen die eurokritische Fünf-Sterne-Bewegung punkten könnte. Auch das löst Verunsicherung aus, in unsicherem politischen Klima investieren Anleger ungern.
Die italienische Notenbank warnte bereits für den Tag nach dem Referendum vor Turbulenzen. Finanzminister Pier Carlo Padoan sagte: „Die Märkte sind in Sorge, dass der Reformprozess unterbrochen werden könnte.“ Er betonte aber auch, dass er keine schwere Krise erwarte, weil Italien mittlerweile wirtschaftlich besser dastünde. Auch Premier Renzi beschwichtigte: Am Tag nach dem Referendum würden nicht „die Heuschrecken“ kommen.
Der „Spread“ ist ein wichtiger Indikator für eine Krise, in diesem Fall ist er so etwas wie die Fieberkurve Italiens. Die Zahl misst, wie es um das Interesse der Anleger an italienischen Staatsanleihen bestellt ist. Je größer der „Spread“, desto schlechter wird Italien im Vergleich zu Deutschland aus Sicht der Investoren bewertet.
Denn mit der Größe ist die Differenz (Spread) zwischen den Renditen gemeint, die italienische und deutsche Staatspapiere mit zehn Jahren Restlaufzeit gerade abwerfen. „Wir erwarten, dass der „Spread“ bei einem Nein hochgehen wird, das müsste sich aber nach ein paar Tagen beruhigen, es wird ein Sturm im Wasserglas sein“, glaubt Tatjana Eifrig, Analystin der italienischen Bank Finnat.
Das Land leidet unter einer geringen Produktivität, Vetternwirtschaft und Korruption. Die Wirtschaft lahmt seit Jahren, das Wachstum für 2017 soll bei nur 0,9 Prozent liegen. Zudem ist Italien mit 133 Prozent des Bruttoinlandsproduktes das am zweithöchsten verschuldete Mitglied der Eurozone - gleich nach Griechenland. Seit Jahren schwelt eine Bankenkrise, die bisher nicht wirklich gelöst wurde. Die Geldhäuser sitzen auf faulen Krediten von 300 Milliarden Euro.
Sorgenkind ist vor allem die Krisenbank Monte dei Paschi di Siena. Derzeit würden die Probleme im Euroraum allerdings durch die lockere Geldpolitik überdeckt, sagt der Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier. Sobald die Europäische Zentralbank (EZB) die Zügel wieder straffer ziehe, könnten die Probleme stärker sichtbar werden.
Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft des Euroraums. Gerät sie weiter ins Trudeln, könnte das andere Länder mitreißen. Ein europäisches Rettungspaket wie für Griechenland würde für Italien wohl nicht funktionieren, weil das Land zu schwergewichtig ist.
Einige Experten sprechen sogar vom möglichen Euro-Ausstieg Italiens. So sagte Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz in einem Interview: „Den Italienern wird gerade klar, dass Italien im Euro nicht funktioniert.“ Und der deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn meinte: „Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien dauerhaft Teil des Euro bleibt, fällt von Jahr zu Jahr.“ Auch die Wirtschaftszeitung „Financial Times“ urteilte vor kurzem, dass das Referendum in Italien der „Schlüssel für die Zukunft des Euros“ sei.
Mit Blick auf Italien sagt Analystin Eifrig: „Einen Austritt aus dem Euro können wir uns derzeit gar nicht vorstellen.“ Zwar mehren sich in Italien auch die Euro-Gegner. Wenn es wirklich zu Neuwahlen kommen sollte und dabei die derzeit stärkste Oppositionspartei „Movimento 5 Stelle“ (Fünf-Sterne-Bewegung) gewinnen sollte, dann wird das Thema heißer. Denn die Protestpartei will ein Referendum über den Euro.
Aber: „Ein Referendum über einen Euro-Ausstieg kann gar nicht gemacht werden, das ist gegen die Verfassung. Das kann nur das Parlament bestimmen“, erklärt Eifrig. Sie sieht in der Schwarzmalerei eine Strategie der Befürworter der Reform, nach dem Motto: Je düsterer das Szenario, desto mehr Menschen werden aus Angst mit „Ja“ stimmen. Und generell gilt zumindest theoretisch das Prinzip: Wer den Euro einmal hat, der behält ihn auch. Wie ein Euro-Austritt überhaupt im Detail durchgeführt werden könnte, ist völlig unklar.
Mit der politische Konkurrenz jedenfalls ist das so eine Sache: Silvio Berlusconi, 80 Jahre alt und de facto noch immer Chef der Forza Italia als rechtsbürgerliche Opposition, hat in einem Interview den linken Premier Matteo Renzi als "derzeit einzig wahren Leader im Land" beschrieben. Er selber habe keinen politischen "Erben". Und die Anti-Establishment-Partei "Movimento Cinque Stelle" liegt zwar in Umfragen ganz gut, allerdings haben die "5 Sterne" auch viel von ihrer politischen Unschuld verloren: Seit sie in Rom die Bürgermeisterin stellen, geht es in der ewig korrupten Stadt noch mehr drunter und drüber als sonst und gerade erst fegte ein Skandal um Scheinfirmen eine Reihe von Regionalabgeordneten in Sizilien weg. Viele haben zudem tatsächlich Angst vor denen. „Grillo ist im Prinzip ein Faschist“, sagt einer, der für die EU-Institutionen immer mal wieder in Italien unterwegs ist. Bleibt die Lega Nord: Mit der haben aber viele Berührungsängste, weil auch der smarte neue Frontmann Matteo Salvini den Muff des faschistischen Erbes nie richtig hat vertreiben können und für viele Süditaliener, die am wenigsten an Ministerpräsident Renzi hängen, sind sie unwählbar – schließlich macht die Lega Nord neben Renzi vor allem die Süditaliener für die Misere des Landes verantwortlich.
3. Für die Banken und die Wirtschaft ist kurzfristig fast egal, was passiert
Weder die Banken des Landes noch die Unternehmen hängen unmittelbar vom Verbleib Renzis im Amt des Ministerpräsidenten ab. Da ist auch die Haltung vieler Nordeuropäer grotesk: Einerseits beschwert man sich in Brüssel, Berlin und an den so genannten Märkten über mangelnden Spar- und Reformwillen Renzis. Andererseits hängt man Italiens ökonomische Zukunft an seine Person. Beides ist Unsinn.
Ja, Renzi hat Reformen von Arbeitsmarkt, Dienstleistungsgewerbe und Justiz begonnen, er hat Investitionsprogramme aufgelegt und damit erste Erfolg erzielt: Italiens Wirtschaft wächst wieder, wenn auch um weniger als ein Prozent, und die Arbeitslosigkeit ging zurück. Andererseits steigt die Verschuldung weiter, die Zahl der jungen Arbeitslosen stieg auf mehr als 37 Prozent – Renzi kam fiskalisch nur über die Runden, weil die Europäische Zentralbank massiv italienische Staatsanleihen kaufte und gleichzeitig die Zinsen drückte. Was davon anders werden würde, wenn statt Renzi zum Beispiel Finanzminister Padoan die Regierung führen würde? Kann keiner schlüssig erklären. „Das Referendum wird übertrieben bewertet“, sagt etwa Carlo Messina, Chef von Italiens zweitgrößter Bank Intesa Sanpaolo. „Das wird sicher kein Wendepunkt in Italiens Geschichte sein.“ Und Giovanni Zanni, Chefanalyst Südeuropa Credit Suisse, sagt: „Ich glaube nicht, dass wir vor einem systemischen Risiko stehen.“ Das könnte auch deshalb klappen, weil ein ganz wesentlicher Punkt im Vergleich zur Endphase der Ära Berlusconi 2011/12, als Italien schon mal auf der Kippe stand, ganz anders ist: Damals drohte dem Land die Liquidität auszugehen, weil keiner mehr in italienische Staatstitel investieren wollte. Heute kauft allein das Eurosystem, also die Notenbank, monatlich bis zu 12 Milliarden Euro italienischer Anleihen. Das Programm könnte noch ausgeweitet werden.