Volksabstimmung über Verfassungsreform Italien droht nicht das Chaos - aber Europa

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2. Die Sozialdemokraten bleiben die entscheidende Kraft

An den Mehrheitsverhältnissen in den beiden Kammern des Parlaments ändert sich nichts. Die bisherige sozialdemokratisch-konservative Koalition hat auch nach dem Referendum die Mehrheit. Renzi selbst sagt: „Wir können aus diesem Referendum als ein stabiles Land hervorgehen und das Heft des Handelns in Europa und der Welt entschlossen mit in die Hand nehmen. Oder wir gehen aus diesem Referendum hervor, in dem eine wirre Schar an Gegnern einen einzelnen geschlagen hat, ohne zu wissen, was danach kommt, ohne eine wirkliche Alternative zu haben.“ Und es mag die Analyse über die Bedeutung der Verfassungsreform übertrieben sein, aber was stimmt: es gibt keine politische Alternative zur derzeit stärksten Partei.

Fakten zum Italien-Referendum

Mit der  politische Konkurrenz jedenfalls ist das so eine Sache: Silvio Berlusconi, 80 Jahre alt und de facto noch immer Chef der Forza Italia als rechtsbürgerliche Opposition, hat in einem Interview den linken Premier Matteo Renzi als "derzeit einzig wahren Leader im Land" beschrieben. Er selber habe keinen politischen "Erben". Und die Anti-Establishment-Partei "Movimento Cinque Stelle" liegt zwar in Umfragen ganz gut, allerdings haben die "5 Sterne" auch viel von ihrer politischen Unschuld verloren: Seit sie in Rom die Bürgermeisterin stellen, geht es in der ewig korrupten Stadt noch mehr drunter und drüber als sonst und gerade erst fegte ein Skandal um Scheinfirmen eine Reihe von Regionalabgeordneten in Sizilien weg. Viele haben zudem tatsächlich Angst vor denen. „Grillo ist im Prinzip ein Faschist“, sagt einer, der für die EU-Institutionen immer mal wieder in Italien unterwegs ist.  Bleibt die Lega Nord: Mit der haben aber viele Berührungsängste, weil auch der smarte neue Frontmann Matteo Salvini den Muff des faschistischen Erbes nie richtig hat vertreiben können und für viele Süditaliener, die am wenigsten an Ministerpräsident Renzi hängen, sind sie unwählbar – schließlich macht die Lega Nord neben Renzi vor allem die Süditaliener für die Misere des Landes verantwortlich.

3. Für die Banken und die Wirtschaft ist kurzfristig fast egal, was passiert

Weder die Banken des Landes noch die Unternehmen hängen unmittelbar vom Verbleib Renzis im Amt des Ministerpräsidenten ab. Da ist auch die Haltung vieler Nordeuropäer grotesk: Einerseits beschwert man sich in Brüssel, Berlin und an den so genannten Märkten über mangelnden Spar- und Reformwillen Renzis. Andererseits hängt man Italiens ökonomische Zukunft an seine Person. Beides ist Unsinn.

Ja, Renzi hat Reformen von Arbeitsmarkt, Dienstleistungsgewerbe und Justiz begonnen, er hat Investitionsprogramme aufgelegt und damit erste Erfolg erzielt: Italiens Wirtschaft wächst wieder, wenn auch um weniger als ein Prozent, und die Arbeitslosigkeit ging zurück. Andererseits steigt die Verschuldung weiter, die Zahl der jungen Arbeitslosen stieg auf mehr als 37 Prozent – Renzi kam fiskalisch nur über die Runden, weil die Europäische Zentralbank massiv italienische Staatsanleihen kaufte und gleichzeitig die Zinsen drückte. Was davon anders werden würde, wenn statt Renzi zum Beispiel Finanzminister Padoan die Regierung führen würde? Kann keiner schlüssig erklären. „Das Referendum wird übertrieben bewertet“, sagt etwa Carlo Messina, Chef von Italiens zweitgrößter Bank Intesa Sanpaolo. „Das wird sicher kein Wendepunkt in Italiens Geschichte sein.“ Und Giovanni Zanni, Chefanalyst Südeuropa Credit Suisse, sagt: „Ich glaube nicht, dass wir vor einem systemischen Risiko stehen.“ Das könnte auch deshalb klappen, weil ein ganz wesentlicher Punkt im Vergleich zur Endphase der Ära Berlusconi 2011/12, als Italien schon mal auf der Kippe stand, ganz anders ist: Damals drohte dem Land die Liquidität auszugehen, weil keiner mehr in italienische Staatstitel investieren wollte. Heute kauft allein das Eurosystem, also die Notenbank, monatlich bis zu 12 Milliarden Euro italienischer Anleihen. Das Programm könnte noch ausgeweitet werden.

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