Volksabstimmung über Verfassungsreform Italien droht nicht das Chaos - aber Europa

Drei Gründe sprechen dafür, dass Italien durch das Referendum keine Katastrophe droht. Für Europa dagegen wird es ungemütlich – egal, wie die Italiener entscheiden.

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Matteo Renzi und Angela Merkel Quelle: Getty Images

Die italienische Notenbank tat bereits vor 14 Tagen, was Notenbanken sonst nicht tun: Sie warnte mit einem für Notenbanker schrillen Ton die Italiener davor, am kommenden Sonntag in einem Referendum gegen den Plan von Ministerpräsident Matteo Renzi zu stimmen. Es drohe dann „außergewöhnliche Volatilität“ an den Märkten, beschworen die Chefs der Banca d’Italia. Und gaben damit einen Ton vor, der seitdem von sämtlichen Akteuren der Finanzwelt, der angelsächsischen Wirtschaftspresse und italienischen Unternehmern gehalten wird: Scheitert Matteo Renzi an den Plänen zur Vereinfachen des parlamentarischen Zweikammer-Systems, dann scheitert Italien.

In einer Umfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg unter 42 italienischen Top-Managern, die Firmen mit einer Marktkapitalisierung über 240 Milliarden Euro führen, sprachen sich 98 Prozent für ein Ja im Referendum aus. Sergio Marchionne, der Fiatchrysler-Chef sagt: „Ich bin für das Ja, weil es einen Wandel in die richtige Richtung einleitet.“ Rodolfo de Benedetti, der Chef des CIR-Konglomerats sagt: „Wir stehen auf der Schwelle eines Wandels entweder zu Erneuerung oder zur Unbeweglichkeit. Da ist es doch klar, dass Unternehmer dafür sind.“ Paolo Sorrentino, der Star-Regisseur findet: „Der geplante Wandel schafft klarere politische Strukturen und klare Verantwortlichkeiten.“

Es ist wie vor den Voten für Brexit und Trump: Alle „Experten“ sind sich einig. Die Vernunft kennt keine Alternative.

Und es stimmt ja auch: Renzis Reform würde das politische System wirklich beschleunigen, endlich stabiles Durchregieren in einem Land ermöglichen, dass in 70 Nachkriegsjahren 65 Regierungen hatte. Und doch stimmt der Schluss nicht, den viele der Warner ziehen: Ja, wenn die Italiener das Projekt ablehnen, dann scheitert der mit vielen Hoffnungen gestartete sozialdemokratische Premier Renzi. Aber Italien, das lässt sich heute schon voraussagen, wird kaum ins Chaos gleiten. Wichtiger als für Italien ist diese Abstimmung vielmehr für die Euro-Währungsgemeinschaft und damit Europa.

1. Der Staatspräsident hält alle Fäden in der Hand

Lehnen die Italiener das Vorhaben ihrer Regierung ab, gibt es zwei Szenarien an der Regierungsspitze: Renzi tritt, wie er angekündigt hat, ab – oder er bleibt im Amt. Das Referendum sagt nämlich formell nichts über die Regierung aus. Sollte Renzi zurücktreten, richten sich alle Augen auf den Staatspräsidenten: Sergio Mattarella, ein gemäßigter älterer Herr aus Sizilien. Mattarella genießt über die Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen – und entscheidet im Fall eines Rücktritts Renzis über die politische Zukunft. Er könnte Neuwahlen ausrufen, er könnte aber auch einen anderen Politiker mit der Regierungsbildung beauftragen, der dann bis zum Ende der Legislaturperiode 2018 regieren könnte. Auch Renzi kam über solch einen Präsidialerlass vor zweieinhalb Jahren ins Amt.

Und Kandidaten für eine solche Regierungsbildung gibt es viele: der jetzige Finanzminister Pier Carlo Padoan gilt als Matterallas Lieblingslösung. Er ist international als Wirtschaftsexperte anerkannt, genießt das Vertrauen der Euroländer und hat in Italien Autorität. Zudem ist er parteipolitisch kaum vorbelastet. Aber auch der bisherige Senatspräsident Piero Graso, Verkehrsminister Grazo Delrio und Laura Boldrini, Chefin des Abgeordnetenhauses, werden gehandelt. Sie alle ständen mehr oder weniger für eine Fortsetzung des Renzi-Kurses, nur mit anderen Mitteln.

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