Vorbild im Norden Dänemark ist das bessere Deutschland

Dänemark macht vieles richtig, was andere nicht schaffen: wenig Schulden, Digitalisierung auf dem Land – und keine Angst vor Großprojekten.

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Fehmarnbelt-Tunnel verbindet Deutschland und Dänemark. Quelle: imago images

Der Kampf gegen die Wutbürger wird in der Pampa gewonnen und in der Hauptstadt geplant. In einem dunklen Raum, in einem Backsteinbau auf dem ehemaligen Freihafengelände Kopenhagens. Kein allzu schöner Ort zum Arbeiten. Doch Betina Loses Arbeit findet ja auch draußen statt, bei den Menschen. Sie hat nur in dieses Versteck gebeten, um ihr Meisterstück zu erklären. Lose ist „Chefin der Planungsabteilung“ und angestellt bei Bane, einer staatlichen dänischen Agentur, die sich um die Schieneninfrastruktur im kleinsten skandinavischen Land kümmert. Eigentlich aber ist sie Zuhörerin, Vermittlerin, Schlichterin. Die Wutbürger-Versteherin Dänemarks, mit deren Hilfe sie im Königreich Großprojekte wie den Fehmarnbelt-Tunnel umsetzen.

Seit fast zehn Jahren haben Deutschland und Dänemark den Plan, die Meerenge zwischen den beiden Ländern zu untertunneln. Seit 2009 gibt es dazu einen Staatsvertrag. Ursprünglich sollte alles bis 2020 fertig sein. Bis heute ist kein Spatenstich getan. Die Dänen könnten sofort losbauen. In Deutschland aber fürchten Gegner um Umweltschutz und Tourismus. Vor 2021 rechnet niemand ernsthaft mit dem Baubeginn, früher als 2029 dürfte kein Zug durch die Röhren rasen. Zehn Jahre Verzug, Milliarden Mehrkosten, 12 400 Einsprüche gegen den Tunnel liegen offiziell auf deutscher Seite vor. In Dänemark sind es nur 36. Das ist Loses Verdienst. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es einen großen Unterschied macht, wenn man die Menschen früh einbindet und die Vorschläge von vor Ort ernst nimmt, um das Projekt zu verbessern“, sagt sie und beschreibt damit die Erfolgsformel einer ganzen Nation.

Wie machen die das nur? Diese Frage stellt sich längst nicht mehr nur bei Großprojekten. Sie stellt sich aus deutscher Sicht auch ganz aktuell, beim Blick ins Kopenhagener Parlament, wo es gute Tradition ist, sich nicht zu Koalitionen zusammenzufinden. Seit Ende des Zweiten Weltkrieges waren 28 von 32 Regierungen in Dänemark Minderheitsregierungen.

Wie machen die das nur? Diese Frage stellt sich auch in der Digitalisierung, dem Lieblingsthema der FDP und Herzensanliegen so vieler Unternehmer in Deutschland. In Kopenhagen indes richtete man schon 2001 eine Task-Force ein, natürlich auch eine Digitalagentur. Seit über zwölf Jahren hat jeder Däne und jedes Unternehmen eine staatliche Internet-ID, mit der sich fast alle Behördengänge online erledigen lassen. Auch beim Gesundheitssystem gilt: online first. Kaum nötig eigentlich zu erwähnen, dass Arbeitsmarkt und Schulsystem flexibler sind, die Staatsfinanzen solide.

Ist Dänemark womöglich das bessere Deutschland? Insgesamt ist unser Nachbar in einem Zustand, in dem man auch hierzulande gerne wäre. Wer sich durch das Königreich bewegt, der bekommt den Eindruck, dass es in Dänemark, das oft als so staatsverliebt und obrigkeitshörig gilt, so gut klappt, weil sich Politik zurückhält.

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Transparent, schlank, direkt

„In Dänemark wird die finale Zusage für ein Projekt vom Parlament gegeben, danach darf sofort gebaut werden. Vor den drei Anhörungen dort ist das Gesetz in einer öffentlichen Anhörung. Und auch während des Parlamentsprozesses haben Betroffene die Möglichkeit, sich an das zuständige Komitee zu wenden“, sagt Ole Birk Olesen, Dänemarks Verkehrsminister. Durch diesen transparenten, schlanken und direkten Prozess, meint er, entstehe Vertrauen. So sei das dänische Gesetz für den Fehmarnbelt-Tunnel bereits seit 2015 fertig. Die Deutschen bräuchten dafür wahrscheinlich bis zum Sommer 2018. Auch die Bürokratie in Deutschland moniert der Däne. Obwohl sich beide Länder an dieselben EU-Vorschriften halten müssten, sei der dänische Umweltbericht für das Projekt 2000 Seiten lang, der deutsche 14.000.

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Das Schwarzbuch 2017/18, herausgegeben vom Bund der Steuerzahler Deutschland. Quelle: dpa
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Schlank und effizient

Schlank und effizient muss es sein und dabei möglichst auch noch Geld sparen. Das glaubt auch Lars Frelle-Petersen, der Mitte dieser Woche im dänischen Finanzministerium empfängt. Frelle-Petersen ist Vizesekretär des Ministeriums, zuständig für die Digitalisierung der Verwaltung. „Als wir 2001 angefangen haben, standen wir vor einer großen Herausforderung: Wir hatten eine Wirtschaftskrise, mussten den öffentlichen Haushalten Geld sparen. Gleichzeitig merkten wir: Das Leben der Menschen findet immer mehr online statt. Nur die Verwaltung ist noch analog“, sagt er.

Also experimentierten sie mit Behördengängen über das Internet. Die ersten Versuche gingen schief, Datenschutz und Zuverlässigkeit waren nicht optimal. Dann fragten sie in den Regionen ihre Beamten, Bürger und Unternehmer: Was braucht ihr? Bei den Banken fanden sie schließlich Ansprechpartner für die IT. Die hatten ihr Geschäft schon längst auf das Internet umgestellt. Man tat sich zusammen.

Schon nach ein paar Jahren war der staatliche Standard so gut, dass das dänische Parlament beschloss, einen digitalen Personalausweis samt Posteingang für jeden Bürger verpflichtend zu machen. Heute bekommen 90 Prozent der Dänen keine Post mehr vom Amt oder Arbeitgeber, sondern nur noch E-Mails mit einer sicheren Signatur. Die dänische Post ging dieses Jahr pleite.

Verbindungsoffizier: Lars Frelle-Petersen plant die Digitalisierung Dänemarks. Quelle: Presse

Frelle-Petersen setzt sich nun in seinem Büro vor den Laptop, ruft das Bürgerportal auf, loggt sich mit PIN und TAN ein, wie Millionen Kunden das täglich mit ihrem Internetbankaccount tun. Auf dem Bildschirm erscheint seine digitale Identität: Das Portal kennt seine Frau und seine drei Kinder, weiß, wo er wohnt, wie viel sein Ferienhaus wert ist, was er verdient. Petersen kann nun online den Arzt wechseln, seine Adresse um- oder ein Auto anmelden, er kann den Stundenplan seiner Kinder und seine eigene Krankenakte einsehen. Lohnabrechnung oder die Quittung vom Kabelfernsehen kommen digital in seine Mailbox – die sogenannte Easy ID macht die digitale Kommunikation sicher. Alle fünf Jahre entwirft die Regierung einen Plan für den Ausbau der Digitalisierung. Ab 2019 sind die Schulen dran. Nachhilfe soll es dann übers Internet geben, kein Schüler mehr wegen schlechter Witterung eine Stunde verpassen.

Auch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik gilt Dänemark seit jeher als Ort der Inspiration. Faszinierend ist für viele Arbeitsmarktforscher das Konzept der „Flexicurity“: eine Mischung aus quasi nicht existentem Kündigungsschutz und vergleichsweise hohem Arbeitslosengeld – verbunden mit intensiver Fortbildung im Falle des Jobverlustes. Das Ergebnis: ein höchst beweglicher Jobmarkt, der gleichzeitig Armut weitgehend vermeidet. Auch bei der Alterssicherung sind dänische Modelle en vogue: die Grundrente ist steuerfinanziert, Die betriebliche Rente gefördert, alles wird zusammengeführt auf einem transparenten Konto.

Nicht viel anders sieht es bei der Gesundheit aus. Als das komplett staatliche System vor einigen Jahren in dem dünn besiedelten Land zu kollabieren drohte, entschied man sich zu einem drastischen Schritt: Rückzug aus der Fläche, Bau zentraler Kliniken und die Digitalisierung mit dem Ziel von mehr Effizienz bei Hochleistungsmedizin und zugleich einer besseren Versorgung in entlegenen Gebieten.

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Dänemark, das glauben viele in dem Land, habe den nicht immer populären Umbau geschafft, weil Politiker nicht vorgegeben hätten, wie es laufen solle. Sondern Bürger und Experten dies gemeinsam erarbeitet hätten. Das glaubt auch Betina Lose in ihrem versteckten Büro in Kopenhagen. Und deshalb beginnen sie die Bürgerbeteiligung bei Großprojekten wie dem Fehmarnbelt-Tunnel inzwischen schon weit vor einem konkreten Gesetz. Mit den ersten Planungen auf Papier nämlich.

Schon 2009, direkt nach der Unterschrift des Staatsvertrages, fingen sie bei Bane an, die rohen Planungen mit den Betroffenen zu diskutieren. Beim Fehmarnbelt etwa gab es zwei Varianten für die Bahntrasse. Loses Leute fuhren also raus, besuchten Hausbesitzer entlang der geplanten Strecken, informierten sie über die Pläne, noch bevor die Öffentlichkeit davon wusste. Wer wollte, konnte an Bane verkaufen. Zum Marktpreis. 80 von 100 betroffenen Häusern gingen so in Staatshand über. „Das ist nicht besonders kosteneffektiv, aber es ist die fairste Variante“, sagt Lose.

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20 Mitarbeiter kümmern sich in ihrer Abteilung um die Einwände der Menschen, reisen in die Regionen, beantworten Briefe, beobachten Facebook. Zwei bis drei Prozent des Investitionsvolumens reservierten sie bei jedem Projekt für diese Bürgerbeteiligung. Zwei große Regionalkonferenzen haben sie in den betroffenen Gebieten abgehalten, die letzte mit über 1000 Teilnehmern.

Zudem gab es gleich nach Veröffentlichung der Pläne eine sogenannte „Ideenphase“, in der die Bürger Verbesserungsvorschläge einbringen konnten. „Mit dieser Strategie wollen wir den betroffenen Bürgern Sicherheit und Stabilität garantieren“, sagt Lose. „Das ist ein bisschen teurer, aber am Ende sind die Menschen mit dem Projekt auch zufrieden.“

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