Vorreiter Tallinn In Estland ist kostenloser Nahverkehr ein Erfolg

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In Tallinn ein Erfolg

Wer in Tallinn wohnt, zahlt im Schnitt jedes Jahr 1.000 Euro Steuern an die Stadt. Also flossen allein im ersten Jahr der Einführung des kostenlosen Nahverkehrstickets elf Millionen Euro in die Stadtkasse. Mit diesem Geld konnte die Stadt den Ausfall von jährlich etwa zwölf Millionen Euro nahezu wegstecken, welche die Bürger zuvor für öffentliche Verkehrsmittel bezahlt hatten.

Kostenloser Nahverkehr in Belgien und den USA scheiterte

Als Tourist musst du in Tallinn allerdings weiter für Bus und Bahn zahlen, denn die Regel gilt nur für Einwohner. Mit dieser Mischung wurde der Nahverkehr für Tallinn ziemlich lukrativ. Die Stadtverwaltung berichtet, dass die Tallinner Transportgesellschaft im Jahr 2016 einen Gewinn von 13,7 Millionen Euro machte. 2013, also im Jahr der Einführung, schrieb das Unternehmen einen Verlust von 1,8 Millionen Euro.

Tallinn ist also ein Erfolg. Allerdings waren schon viele Städte vorher mit einem kostenlosen Nahverkehr vor die Wand gefahren. Die Stadt Hasselt in Belgien gab das Projekt nach 16 Jahren wieder auf – die Zahl der Fahrgäste war in den Gratis-Bussen auf das 13-fache gestiegen, die Kosten wurden unbezahlbar.

Auch die US-Städte Seattle und Portland stellten ihre Gratisfahrten wieder ein. Seattle hatte Finanzierungsprobleme. In Portland kamen die Busse zu langsam voran, weil viele Gäste nur kurze Strecken fahren wollten und jede Haltestelle angefahren werden musste.

Autofahren muss teurer werden, damit mehr Menschen Bus und Bahn fahren

In Tallinn läuft das Projekt weiter. Und scheint die Einwohner tatsächlich zum Umsteigen zu bewegen. Ein Jahr nach Einführung des kostenlosen Nahverkehrs würden 14 Prozent mehr Menschen mit Bus und Bahn fahren, schreibt Verkehrsforscher Oded Cats in seiner Studie. Vor allem Einwohner mit geringerem Einkommen würde das Projekt besser von A nach B bringen. Ein ungesunder Nebeneffekt sei allerdings, dass nun mehr Menschen ÖPNV führen, statt zu Fuß zu gehen.

Grundsätzlich zeigten Studien zu kostenlosem Nahverkehr, dass Menschen eher vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen, wenn die Nutzung des Autos teurer wird – anstatt, dass der Preis für das Nahverkehrsticket sinkt. Deshalb empfiehlt Oded Cats, neben dem kostenlosen Nahverkehr das Autofahren teurer zu machen – etwa mit höheren Parkgebühren oder Steuern auf Pkws.

Das jetzt auch noch vorzuschlagen, würde dann in Deutschland vermutlich aber endgültig als Schnapsidee abgetan werden.

Dieser Artikel ist zuerst auf Orange by Handelsblatt erschienen.

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