Wahl in Spanien Die nächste Zerreißprobe für Europa

Die Briten wollen die EU verlassen – und schon am Sonntag droht der nächste Ärger. In Spanien könnten Linkspopulisten die Regierung übernehmen. Drei Gründe, warum die Wahl ganz Europa betrifft.

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Spanien wählt und spaltet Europa weiter. Quelle: REUTERS

Der Knall war gewaltig. Das britische Pfund stürzte auf den tiefsten Wert seit 30 Jahren. Der Dax krachte zeitweise um 1000 Punkte ein. David Cameron kündigte seinen Rücktritt an. Was niemand richtig hatte glauben wollen – über Nacht war es Realität geworden. Die Briten verlassen die EU. Brexit. Ende. Aus. Vorbei.

Seitdem gedeiht die Angst. Wie nachhaltig ist der Schaden an den Märkten? Was geschieht mit der City of London? Und was mit meinem eigenen Geld? Die größte Frage aber lautet: Was wird aus Europa selbst? Diesem einst so stolzen Gebilde, das gerade damit beginnt, sich selbst zu zerlegen.

Am Sonntag könnte es darauf in Spanien eine erste Antwort geben. Dann treten dort die Wähler an die Urnen. Im zweiten Anlauf sollen sie eine neue Regierung wählen. Zur Erinnerung: Nach dem ersten Urnengang im Dezember 2015 scheiterten die Parteien viereinhalb Monate daran, eine Koalition zu bilden. Nun tritt Mariano Rajoy erneut gegen seine drei Herausforderer an. Der hartnäckigste Gegner: Pablo Iglesias und seine linkspopulistische Partei Unidos Podemos. Erringt er die Macht, droht der EU erneuter Ärger. Die Spanier stimmen also nicht nur über die Zukunft ihres Landes, sondern auch über die der EU ab. Drei Gründe, warum die Wahl in Spanien für ganz Europa wichtig ist:

1. Weiterer Auftrieb für die Populisten

In Großbritannien triumphiert das Brexit-Lager. In Österreich verfehlt der Rechtspopulist Norbert Höfer knapp die Macht. Und in Frankreich treibt Marie Le Pen die Regierung vor sich her. In diesen Club der Populisten und Euroskeptiker könnte am Freitag auch Spanien eintreten. Dort trägt der Mann, der den Abgehängten, Frustrierten und Wütenden wieder Hoffnung gibt, Jeans und Pferdeschwanz. Pablo Iglesias, Chef der Protestpartei Unidos Podemos, ist Spaniens Gesicht des Populismus. Mit seiner Linksallianz will der 37-Jährige die Sparpolitik Brüssels kippen, sich gegen TTIP stemmen, neue Jobs schaffen und den Kataloniern erlauben, über ihre Unabhängigkeit abzustimmen.

Zwei Wochen vor Neuwahlen in Spanien hält der politische Streit an. Bei einer TV-Debatte beschuldigten sich die Kandidaten gegenseitig. Die Bildung einer Regierungskoalition dürfte äußerst schwierig werden.
von Sandra Louven

In einem Land, das wie kaum ein anderes unter der Euro-Krise gelitten hat, kommen solche Versprechen gut an. Zwar wächst die Wirtschaft in Spanien seit einiger Zeit wieder. Doch noch immer liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 45 Prozent. Noch immer ist insgesamt jeder fünfte Spanier ohne Job. Und noch immer kehren Tausende Bürger ihrem Land den Rücken.

Schon im Dezember, bei der ersten Wahl, verwandelte Iglesias diese Stimmung in 20 Prozent Zustimmung für sich und seine Partei. Seitdem hat er nochmal ordentlich aufgeholt. Mittlerweile liegt Unidos Podemos in Umfragen bei knapp 25 Prozent – und ist nur noch fünf Prozentpunkte von Mariano Rajoys konservativer Partido Popular (PP) entfernt.

Bei der Parlamentswahl in Spanien lassen Umfragen erneut zersplittertes Ergebnis erwarten. Die Karten werden aber neu gemischt, und die neue linksalternative Podemos könnte die Sozialisten von Platz zwei verdrängen.

Für Fernando Vallespín, Politologe an der Universidad Autónoma in Madrid, sind all das Anzeichen dafür, dass Spanien auf dem gleichen Weg ist wie Österreich, Großbritannien oder Frankreich. „Die Menschen hier in Spanien haben die gleichen Sorgen wie überall in Europa: Zukunftsskepsis, Abstiegsangst, Unbehagen vor Veränderungen.“ Deswegen suchten sie eine Alternative zu den etablierten Parteien.

 "In Spanien hat der Populismus aber ein linkes Gesicht", sagt Vallespín. Das sei der Unterschied zu den anderen Staaten. „Bei uns geht es darum, dass viele Menschen denken, reiche Bürokraten aus Brüssel bestimmen über ihr Leben." Niemand glaube dagegen ernsthaft, dass es Spanien ohne die EU besser gehe.

„Austreten wollen wir nicht aus der EU“, glaubt Vallespín. Aber letztlich sei es wie in einer gescheiterten Beziehung: „Früher war man über beide Ohren verliebt – heute ist davon nur Freundschaft geblieben.“

2. Gefahr für die Währungsunion

Neben der politischen Unruhe könnte ein starker Pablo Iglesias auch ökonomische Verwerfungen auslösen. Käme Unidos Podemos an die Macht, hätte das wohl auch Folgen für den Stabilitätspakt und die Währungsunion. „An den Märkten könnte es dann ziemlich unruhig werden“, sagt Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Der Grund: Die Erzählung wirksamer Sparreformen in Spanien käme an ihre Grenzen.

Diese Erzählung handelt davon, dass überschuldete Länder den harten Weg des Sparens gehen müssen: Sozialleistungen kappen, unbeliebte Reformen durchdrücken, ihre Bürokratie zurechtstutzen. Als Lohn dafür erholt sich die Wirtschaft, finden mehr Menschen einen Job, ruckelt das Land sich zurecht. „Rajoy steht für genau diesen Reformpfad“, sagt Lang. „Tritt er zurück, oder kommt gar Podemos an die Macht, gerät die gesamte Erzählung ins Wackeln.“

Plötzlich hieße es nicht mehr: Sparen bringt die Wirtschaft voran. Sondern: Sparen bringt Populisten an die Macht. Oder noch schlimmer: Sparen blockiert die Regierungsbildung ganz. „Das könnte sich auch auf Griechenland auswirken“, befürchtet Lang. Zwar seien die Probleme des Landes mittlerweile einigermaßen isoliert – doch eine populistische Regierung in Spanien könnte die alten Probleme wieder aufwärmen. „Wenn Podemos in der Regierung drin ist, gibt es auf jeden Fall eine Welle der Verunsicherung“, meint Lang.

Sein spanischer Kollege Fernando Vallespín warnt vor einem weiteren Problem: „Podemos will mit Portugal, Italien und Frankreich eine Südachse bilden und so die Sparpolitik torpedieren.“ Das Schreckensbild des tief gespaltenen Europas – es wäre wieder da.

3. Ein schwaches Spanien schwächt Europa:

Für Europa sind das Warnsignale. Ökonomisch, weil Spanien dem Euro-Rettungsschirm ESM weiterhin 35 Milliarden Euro schuldet, die das Land nur zurückzahlen kann, wenn die Wirtschaft wächst. Politisch, weil sich Euroskeptiker und Populisten in Frankreich, den Niederlanden und Dänemark schon jetzt mit Forderungen nach einem Frexit, Nexit oder Dexit überbieten.  

Kommt nach dem Brexit der Nexit? In den Niederlanden und Frankreich haben die EU-Gegner jetzt Oberwasser und fordern eigene Referenden.

Fernando Vallespín betont, wie wichtig die Wahlen für Spanien sind. „Nach viereinhalb Monaten brauchen wir endlich wieder eine handlungsfähige Regierung“, sagt er. Nur so können Reformen beendet und neue Ideen umgesetzt werden. Vor allem die Jugend brauche wieder eine Perspektive – nach Jahren ohne Job und Zukunft im eigenen Land.

Der Brexit könnte die verworrene Situation in Spanien nun sogar entflechten. Zwar schlagen die Märkte nun deutlich extremer aus. Doch gerade diese Unsicherheit könnte die Wähler in Spanien zu Mariano Rajoys Partido Popular treiben – und die Regierungsbildung erleichtern. Das glaubt zumindest Fernando Vallespín aus Madrid. „In unsicheren Situationen wählen die Menschen eher konservativ“, sagt er.  „In diesem Fall also Mariano Rajoy.“

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