Wahlen in Großbritannien Schock-Ergebnis für May

Im Wahlkampf konnte Labour-Chef Jeremy Corbyn mächtig zulegen. Reicht das aber, um Theresa May vom Thron zu stürzen? Ihren Rücktritt forderte der Alt-Linke bereits.

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Britische Premierministerin Theresa May. Quelle: AP

Labour-Chef Jeremy Corbyn hat Premierministerin Theresa May angesichts der Zitterpartie bei der Parlamentswahl zum Rücktritt aufgefordert. Sie habe mit ihren Konservativen Sitze, Stimmen, Unterstützung und Vertrauen verloren, sagte der Altlinke in der Nacht zum Freitag. „Das ist wirklich genug, um zu gehen und Platz zu machen für eine Regierung, die wirklich alle Menschen dieses Landes repräsentiert.“

Nach Hochrechnungen könnte May bei der Wahl am Donnerstag sogar die absolute Mehrheit verloren haben. Das Land brauche nun eine Phase der Stabilität, sagte die Premierministerin mit zitternder Stimme nach der Verkündung des Wahlergebnisses in ihrem Wahlkreis Maidenhead. Die konservative Partei werde voraussichtlich als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgehen, sagte die 60-Jährige, die extrem blass wirkte. Mays Wahlkampf-Strategie und ihr ungelenkes Auftreten in der Öffentlichkeit hatten ihr viel Kritik eingebracht.

Der Sender BBC sah die Tories bei 318 Sitzen - das würde nicht für eine alleinige Regierungsmehrheit reichen. Labour kommt in den Hochrechnungen auf 267 Sitze, die Schottische Nationalpartei (SNP) auf 32 und die Liberaldemokraten konnten mit 11 Mandaten rechnen. Insgesamt waren am Freitagmorgen 525 von 650 Sitzen ausgezählt. Das amtliche Endergebnis wird erst am Freitagnachmittag veröffentlicht.

Mit der Neuwahl wollte May eigentlich die Mehrheit der Konservativen deutlich ausbauen und sich Rückendeckung für die Verhandlungen über den EU-Austritt ihres Landes (Brexit) holen. Zeitweise wurde in der Nacht ihr Rücktritt nicht mehr ausgeschlossen. Am 20. Mai hatte die 60-Jährige in sozialen Netzwerken geschrieben: „Wenn ich nur sechs Sitze verliere, dann verliere ich diese Wahl und (Labour-Chef) Jeremy Corbyn wird mit Europa am Verhandlungstisch sitzen.“

Ex-Finanzminister George Osborne, der unter May 2016 seinen Posten verloren hatte, stellte als einer der ersten Mays Zukunft in Frage. „Wenn sie ein schlechteres Ergebnis als vor zwei Jahren hat und fast keine Regierung bilden kann, dann bezweifle ich, dass sie auf lange Sicht Parteichefin der Konservativen bleiben wird.“ Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bewertete Mays Ergebnis als Desaster. Nigel Farage von der rechtspopulistischen Ukip-Partei twitterte: „Die Konservativen brauchen einen Anführer, der an den Brexit glaubt.“

Der Chef der EU-feindlichen UK Independence Party (Ukip), Paul Nuttall, schaffte den Einzug ins Parlament nicht. Der 40-Jährige wurde in seinem Wahlkreis nur Dritter.

Auf Großbritannien könnten komplizierte Koalitionsverhandlungen zukommen. Die Liberaldemokraten sagten bereits Nein. „Es gibt keine Koalition, es gibt keine Deals“, betonte die außenpolitische Sprecherin der Labour-Fraktion, Emily Thornberry, in der Nacht zum Freitag im Sender BBC. Es werde entweder eine Minderheitsregierung der Tories oder der Labour-Partei geben. Die Liberaldemokraten kämpfen als einzige landesweite Partei für den Verbleib in der EU.

Die Partei der nordirischen Protestanten der DUP (Democratic Unionist Party) ist hingegen zu Verhandlungen mit den Konservativen bereit. „Natürlich werden wir mit ihnen (den Konservativen) über ihren Wunsch sprechen, eine Regierung zu bilden“, sagte DUP-Politiker Jeffrey Donaldson der britischen Nachrichtenagentur PA zufolge. Bei der Parlamentswahl vor zwei Jahren hatte die DUP acht Sitze gewonnen.

Die fünf wichtigsten Köpfe im britischen Wahlkampf
Einmal Premierministerin sein - darauf hat Theresa May seit Jahren hingearbeitet. Quelle: REUTERS
Der 68-jährige Labour-Chef Jeremy Corbyn ist ein Meister der Polarisierung. Quelle: REUTERS
Tim Farron Quelle: REUTERS
Die kämpferische Chefin der Regionalregierung in Edinburgh, Nicola Sturgeon, wird augenzwinkernd als „Königin von Schottland“ bezeichnet. Quelle: REUTERS
Eigentlich sollte Paul Nuttall die zerstrittene, EU-feindliche UK Independence Party (Ukip) wieder auf Kurs bringen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Quelle: REUTERS

Noch vor wenigen Wochen lagen die Konservativen zeitweise mehr als 20 Prozentpunkte vor Labour. May patzte aber im Wahlkampf: Sie trat in der Öffentlichkeit hölzern auf, löste einen Streit um geplante finanzielle Einschnitte bei Rentnern aus und verweigerte gemeinsame Fernsehduelle mit Corbyn. Nach den Terroranschlägen in London und Manchester geriet May unter Druck, weil in ihrer Amtszeit als Innenministerin fast 20 000 Polizei-Stellen gestrichen worden waren. Corbyn versprach hingegen 10 000 zusätzliche Polizisten.

Mit May als Premierministerin müsste sich die Europäische Union auf harte Brexit-Verhandlungen einstellen, mit denen Brüssel schon am 19. Juni beginnen will. Die Konservative betonte, Großbritannien werde die EU eher ohne Einigung verlassen, als einen „schlechten Deal“ zu akzeptieren.

May hatte das Amt der Regierungschefin im vergangenen Jahr von David Cameron übernommen, nachdem eine knappe Mehrheit der Briten in einem Referendum für den Brexit gestimmt hatte.

Bei der vorangegangenen Wahl im Jahr 2015 hatten die Tories mit 330 Sitzen die absolute Mehrheit errungen. Labour holte damals 232 Sitze. Die Schottische Nationalpartei (SNP) war mit 56 Sitzen drittstärkste Kraft. Die Liberaldemokraten, die als einzige landesweite Partei weiterhin für einen Verbleib in der EU kämpfen, hatten acht Sitze.

Großbritannien hat ein reines Mehrheitswahlrecht. Um einen Sitz zu bekommen, müssen Politiker in ihrem Wahlkreis die meisten Stimmen holen. Kleine Parteien werden dadurch meist benachteiligt.



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