Wahlen in Katalonien Die katalanische Unruhe wird teuer

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Anhaltende Unruhe befürchtet

 

Peters rechnet damit, dass die Unruhe die nächsten zehn bis 15 Jahre anhalten wird. Selbst wenn zahlreiche Firmen operative Einheiten in Katalonien behielten und „nur“ zehn Mitarbeiter zusammen mit dem Sitz verlagerten, sei das bei 3000 Unternehmen ein Verlust von 30.000 Arbeitsplätzen für die Region. Dass Barcelona auf Grund der politischen Unsicherheit keine Chance auf den wegen des Brexit aus London verlegten Sitzes der Europäischen Arzneimittelbehörde gehabt habe, mache pro Jahr mindestens 36.000 Hotelübernachtungen aus. Dabei ging die Zahl der Touristen in den vergangenen Monaten bereits spürbar zurück. Die Arzneimittelbehörde zieht nun nach Amsterdam um. 

Madrid hatte Ende Oktober in Katalonien die anders nicht zu bändigende Regionalregierung von Präsident Carles Piugdemont abgesetzt, mehrere Regionalpolitiker wegen des Vorwurfs der Rebellion, des Amtsmissbrauchs und der Veruntreuung öffentlicher Gelder in Untersuchungshaft nehmen lassen und vorgezogene Neuwahlen verfügt. Puigdemont setzte sich mit einigen Mitstreitern nach Belgien ab. Damit hatte die Auseinandersetzung nach Jahren ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. 

Nach Lesart der Separatisten, die sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen, werden die Katalanen wie zu Zeiten der Franco-Diktatur unterdrückt. Nicht zufällig fiel das gesteigerte Nationalbewusstsein aber mit dem Platzen der spanischen Immobilienblase 2007 und der folgenden schweren Wirtschaftskrise im Land zusammen. 

Kataloniens Wirtschaftsbeziehungen zu Deutschland

Ein Viertel der spanischen Exporte gehen aus Katalonien in alle Welt. Mit nur 16 Prozent der Bevölkerung trägt die Region 19 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt Spaniens bei und überdurchschnittlich viel zum Finanzausgleich mit den ärmeren Regionen des Landes. Laut der früheren Regionalregierung in Barcelona sind es jedes Jahr acht bis zehn Prozent des regionalen BIP. Das Argument, Katalonien könnte unabhängig vom Königreich ein blühender Landstrich sein, fand deshalb zunehmend Anhänger. 

Die Eskalation der vergangenen Wochen hätte vermutlich vermieden werden können, wenn die EU-Kommission früher und deutlich dem Narrativ der Unabhängigkeitsbefürworter widersprochen hätte, Katalonien werde als selbstständige Nation sicher EU-Mitglied bleiben. Doch auch die Zentralregierung in Madrid trägt Verantwortung. Einen bereits 2006 gefundenen Kompromiss für eine weiter reichende Autonomie-Regelung erklärte das spanische Verfassungsgericht 2010 auf Grund einer Klage der damaligen konservativen Opposition in Teilen für nicht rechtens. Als die Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy im Jahr darauf an die Regierung kam, ließ sie die Möglichkeit zu einem Kompromiss verstreichen. Insbesondere lehnte sie seither immer wieder die Forderung der Katalanen ab, über ihre Finanzen ähnlich autonom wie die Nachbarn aus dem Baskenland bestimmen zu dürfen.

Wie geht es weiter in Katalonien?

Rajoy war zwar im Recht, als er das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober für illegal erklärte, die Polizei schickte und die Regierung des Amtes enthob. Doch die Fronten haben sich damit nur noch mehr verhärtet. 

„Dauert die Verfassungskrise an, könnte dies die katalanische Wirtschaft zunehmend belasten und sich letztendlich auch auf die spanische Wirtschaft und die öffentlichen Finanzen auswirken, warnt die kanadische Ratingagantur DBRS in einem Briefing zu den Wahlen. DBRS gehört neben Moody’s, S&P und Fitch zu den vier großen Ratingagenturen der Welt. DBRS rechnet zwar nicht mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung, selbst wenn die Separatisten am Donnerstag die Wahl gewinnen sollten. Wäre dies der Fall, könnte dies nach Meinung der Analysten eine politische Krise auf Landesebene auslösen und vorgezogene Neuwahlen in Madrid erzwingen. 

 

Für das größere Risiko hält auch die Agentur ein politisches Patt. Rajoys PP wird laut Umfragen vermutlich weitere Sitze einbüßen und in das Regionalparlament anstatt bisher elf nur noch sechs bis acht Abgeordnete entsenden. Die Stars des Wahlkampfs waren zuletzt zwei Anwältinnen: Die 36-jährige Inés Armadas von der FDP-ähnlichen und zu Spanien stehenden Partei Ciudadanos (Bürger) ist mit der vier Jahre älteren Spitzenkandidatin der separatistischen Linksrepublikaner, Marta Rovira, gleichgezogen. Rovira ersetzt den ehemaligen Vizeregierungschef Oriol Junqueras, der in Untersuchungshaft sitzt, und galt bis vor wenigen Tagen als ausgemachte Wahlsiegerin. 

„Was wir wollen, ist Normalität,“ sagt beinahe flehentlich Freixenet-Aufsichtsratschef Bonet. Für ihren Weihnachtswerbespot, der für Spanier seit 40 Jahren den Advent einläutet, hat sich die Sektkellerei diesmal für einen in Magie getränkten Lehrfilm entschieden: „Die Kunst des Anstoßens“. Nur worauf die Gläser erhoben werden sollen, ist noch nicht klar.  

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