Werner knallhart

Europapark: Lustige Kolonialverbrechen und Gazprom-Verehrung

Der Europapark in Rust lebt von Klischees. Wie hier Geschichte komödiantisch rekonstruiert wird, findet unser Kolumnist urkomisch. Schwermütige Tragik kommt erst zum Tragen, wenn der Sponsor Gazprom seinen großen Auftritt hat.

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Das Mega-Geschäft mit Kultfiguren
Das Städtchen Springfield aus der Erfolgsserie "Die Simpsons" ist fiktiv, wird es aber nicht mehr lange bleiben: In einem Vergnügungspark in Florida wird die Stadt, zumindest zum Teil, nachgebaut. Schon vom Sommer an sollen sich Besucher des Universal Orlando Resort an Krusty Burgern und Duff-Bier laben können, wenn sie nicht Fisch beim "Frying Dutchman" bevorzugen. "Das wird eine Musst-Du-gesehen-haben-Attraktion für alle Simpsons-Fans auf der ganzen Welt", sagte Mark Woodbury von dem Vergnügungspark. "Zum ersten Mal können sie eine Welt betreten, die sie bisher nur im Fernsehen gesehen haben." Quelle: dpa
Mittlerweile gibt es kaum mehr ein Produkt, das nicht mit den Simpsons wirbt. Allein mit Merchandise-Produkten - Tassen, T-Shirt, Mousepads und Stoff-Figuren - erwirtschaftet der Fernsehsender Fox pro Jahr rund zwei Milliarden US-Dollar. Quelle: obs
Die Fans der Simpsons sind allerdings nicht die einzigen, die sich gern mit ihren Helden umgeben. Die Anhänger von Hello Kitty geben pro Jahr rund 500 Millionen Dollar für die Katzengestalt aus, die mittlerweile vom Lippenstift bis zum Motorrad jedes nur erdenkliche Produkt ziert. Insgesamt werden Hello Kitty-Fanartikel in in über 60 Ländern verkauft, die Palette umfasst mehr als 50.000 Produkte. In Japan gibt es außerdem zwei Hello Kitty-Themenparks, Sanrio Puroland und Harmonyland. Ein weiterer Park ist in der Planung. Quelle: AP
Quasi der Vater aller Kultfiguren, allen Hypes, Merchandisings und der Themenparks ist die mittlerweile 85 Jahre alte Mickey Mouse. Die Figur von Walt Disney ziert seit 1930 alle nur erdenklichen Produkte. Der erste Mickey Mouse-Merchandise-Artikel war eine Schulmappe mit dem Konterfei der Maus. Binnen weniger Jahre spülten Lizenzgeschäfte dem Erfinder der Maus Millionen in die Kasse. Die Themenparks "Disneyland" gibt es in Anaheim (Kalifornien), Paris, Hong Kong und Tokyo - allerdings sind sie schon längst nicht mehr der Maus samt Freundin gewidmet, sondern dem stetig wachsenden Imperium der Disney-Figuren. Die gesamten Disney-Fanartikel - von Cinderella bis Mulan - sowie Filme, Parks und Lizenzrechte bescherten dem Unternehmen im vergangenen Jahr einen Gewinn von 5,682 Milliarden Dollar. Quelle: AP
Ein mindestens genauso erfolgreicher Erfinder des Merchandisings ist Star Wars-Regisseur George Lucas. Er hatte in den 70er Jahren den 20th Century Fox-Studios angeboten, auf seine Gage als Drehbuchautor und Regisseur zu verzichten, wenn es die Alleinrechte für das Merchandising bekäme. Da Fanartikel zu Filmen bis dato nicht sonderlich erfolgreich waren, stimmten die Produzenten dem Angebot zu. Mittlerweile gibt es rund 50.000 Fanartikel - vom Kugelschreiber bis zu Unterhose - die Lucas von 1977 bis 2010 rund 25 Milliarden Dollar eingebracht haben. Das macht Star Wars in finanzieller und kommerzieller Hinsicht zum erfolgreichsten Filmprojekt der Welt. Quelle: dpa
Spider-Man gehört zu den erfolgreichsten Comic-Figuren von Marvel Comics. Allein die letzte Verfilmung "Spider-Man 3" aus dem Jahr 2007 spielte 891 Millionen Dollar ein - von Fanartikeln wie Puppen und T-Shirts ganz zu schweigen. Quelle: AP
Auch die DC-Comicfigur Batman macht ihr Erfinder reich. Gerade nach den jeweiligen Filmpremieren klingelte es in den Kassen. Allein bei "Batman – The Dark Knight Rises" verdienten rund 300 Lizenznehmer an mehr als 1000 Produkten. Trotz des Attentats von Aurora, bei dem während der Filmpremiere ein Mann in einem Kino zwölf Menschen erschoss und 58 weitere zum Teil schwer verletzte, lagen die Verkäufe um zehn Prozent höher als beim zweiten Teil. Der Konzern Warner hatte die Werbetrommel allerdings nach dem Attentat gestoppt, auch Werbespots und die geplante neue Comicreihe wurden zurückgezogen. Quelle: AP

Stellen Sie sich einen kunterbunten Freizeitpark in Amerika vor. Nennen wir ihn fiktiv „America Park“. Stellen Sie sich weiterhin vor, dort führe man mit einem Bötchen wie auf einer Zeitreise zurück zu den Anfängen der USA.

Am Ufer sitzen Puppen mit buntem Federschmuck im Haar, gemeinsam mit Puppen mit Cowboyhüten und Sporen an den Stiefeln an einer Kaffeetafel bei Käsekuchen. Dann kurvt man um eine Ecke und sieht schwarze Puppen mit schweren Ketten an den Füßen. Und hell gekleidete weiße Puppen mit Peitschen in den Händen, wie sie gemeinsam singend und lachend Ringelreigen in einem Baumwollfeld tanzen. Fände ich seltsam.

Die Kreativen im Europapark in Rust sind da schmerzfrei. Der Park ist unterteilt in viele kleine Länder. In Italien gibt es Pizza auf einer Piazza. Im britischen Dorf gibt es ein Shakespeare-Theater, im russischen eine Achterbahn namens Euro-Mir und im skandinavischen Dorf Wildwasser-Rafting und Fischbrötchen.

Unterdrückung als großer Spaß

Und jetzt kommt's: Im niederländischen Dorf gibt es eine Floßfahrt namens „Piraten in Batavia“. Die behandelt auf lustige Weise eine Episode der unrühmlichen Kolonialzeit europäischer Staaten. So lernen Kinder: Die brutale Unterdrückung Einheimischer ist einfach zum Kaputtlachen.

Hausboot statt Fünf-Sterne-Hotel
Ungestört entspannen oder arbeiten – wer will das nicht? In dem Buch "Hideaways" stellt die Autorin Vinny Lee außergewöhnliche Hütten, Strandhäuschen, Baumhäuser, Jurten, Caravans oder Blockhütten vor, die den Urlaub zur Auszeit werden und den gestressten Städter zur Ruhe kommen lassen. Allen gemeinsam ist, dass der Gast Natur hautnah erleben kann. So wie in diesen Hütten in Laos. Quelle: dpa
Wer nicht ganz so weit weg möchte, findet in Schweden traumhafte Hütten mitten im Nirgendwo. Reisende können zum Beispiel eine Berghütte im Norden des Landes buchen oder einen der traditionellen Einödhöfe ("ødegård"). Liegen ein Ferienhaus oder eine Hütte an einem See, können Urlauber oft auch ein Boot mitmieten. Quelle: Fotolia
Oder wie wäre es mit Strandhütten, beispielsweise im Süden Englands? Meer und Sandstrand liegen direkt vor der Haustür. Quelle: Fotolia
Statt Hotel an der Themse schwimmende Unterkunft auf einem der Kanäle: In London locken Hausboote Touristen an. Einen unschönen Randaspekt gibt es jedoch: Für viele Londoner sind die Hausboote kein romantischer Zufluchtsort, sondern das einzig bezahlbare Zuhause. Wegen der steigenden Mieten in der britischen Hauptstadt sind rund 10.000 Londoner von einer Wohnung in eines der etwa 4000 bis 5000 Hausboote gezogen. Quelle: dpa
Etwas exotischer geht es in Asien zu. So können Reisende beispielsweise in Dal lake im indischen Kashmir in abenteuerlichen Hausbooten wohnen und reisen. Quelle: Fotolia
In umgebauten und modernisierten Planwagen können Abenteurer im Herbst und im Frühjahr die Natur in der jeweils schönsten Jahreszeit genießen. Quelle: Fotolia
Solche Schäferwagen oder auch alte Wohnwagen können häufig in England, Irland und Schottland angemietet werden. Quelle: Fotolia

Zur Einordnung: Die Stadt Batavia heißt heute Jakarta und ist Hauptstadt von Indonesien. Im 17. Jahrhundert ließen die Niederländer die Stadt abbrennen und errichteten auf den Trümmern ihr neues Handelszentrum für Asien. Bis zur Unabhängigkeit Indonesiens von seiner Kolonialmacht 1949 starben tausende Einheimische in Kriegen und Massakern, die heute mitunter als Kriegsverbrechen der Niederländer angesehen werden.

Das Opfer stellt Ansprüche

Im Europapark werden die Gräuel in einem Piraten-Abenteuer zusammengefasst. Dort rauben die besoffenen, rauschbärtigen Europäer kistenweise Gold, stecken Häuser in Brand und vergreifen sich an den Indonesierinnen. Eine junge Frau mit tiefschwarzen Haaren sitzt auf dem Schoß eines Räubers.

Auf den ersten Blick sexuelle Belästigung. Aber nein, sie trällert glücklich: „Jetzt musst du mich heiraten.“ Der Pirat: „Oh forget it.“ Jetzt stellt das blöde Opfer auch noch Ansprüche.

Eine andere Frau steht auf dem Balkon eines Hauses - gefangen vom Feuer. Hinter ihrem Rücken brennt das Gebäude. Die Frau würde wohl bei lebendigem Leibe verbrennen. Vor einigen Jahren schrie die Puppe noch wie in Todesangst: „Hilfe, Hilfe, das ganze Haus steht in Flammen.“ Aber das war wohl nicht drollig genug.

Die Kolonialzeit ist eine wilde Sause

Heute ruft die Frau ihren Peinigern vorwurfsvoll zu: „Hört auf zu flirten. Das ganze Haus brennt.“ So wird besser klar: Die Kolonialzeit war im Grunde eine einzige geile Sause. Da ist es ein regelrechter Stilbruch, wenn am Ende der Tour am Rande des Dorfes eine Kutsche zu sehen ist, auf der eine kleine Kinderpuppe sitzt. Wie auf der Flucht. Sie blickt drein, als hätte sie irgendwie Zukunftsangst. Dem Balg war wohl nicht klar: So eine Brandschatzung ist wie ein Kurzurlaub zuhause.

Ja, es ist ja wahr: Tragödie plus Zeit gleich Komödie. Aber es ist eben ein Europa-Park - in dem alle Länder mit ihren kulturellen Facetten und mit landestypischer Architektur realitätsnah imitiert werden. Dort werden sogar Baumaterialien aus den jeweiligen Ländern importiert.

In Spanien gibt es eine Arena und ein großes Tapas-Restaurant, in Skandinavien eine hölzerne Stabkirche, in der sogar geheiratet werden kann. Aber sobald der Blick über die Grenzen des Kontinents hinausgeht, wird zugunsten der guten Laune gemogelt und schöngefärbt.

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