Stellen Sie sich einen kunterbunten Freizeitpark in Amerika vor. Nennen wir ihn fiktiv „America Park“. Stellen Sie sich weiterhin vor, dort führe man mit einem Bötchen wie auf einer Zeitreise zurück zu den Anfängen der USA.
Am Ufer sitzen Puppen mit buntem Federschmuck im Haar, gemeinsam mit Puppen mit Cowboyhüten und Sporen an den Stiefeln an einer Kaffeetafel bei Käsekuchen. Dann kurvt man um eine Ecke und sieht schwarze Puppen mit schweren Ketten an den Füßen. Und hell gekleidete weiße Puppen mit Peitschen in den Händen, wie sie gemeinsam singend und lachend Ringelreigen in einem Baumwollfeld tanzen. Fände ich seltsam.
Die Kreativen im Europapark in Rust sind da schmerzfrei. Der Park ist unterteilt in viele kleine Länder. In Italien gibt es Pizza auf einer Piazza. Im britischen Dorf gibt es ein Shakespeare-Theater, im russischen eine Achterbahn namens Euro-Mir und im skandinavischen Dorf Wildwasser-Rafting und Fischbrötchen.
Unterdrückung als großer Spaß
Und jetzt kommt's: Im niederländischen Dorf gibt es eine Floßfahrt namens „Piraten in Batavia“. Die behandelt auf lustige Weise eine Episode der unrühmlichen Kolonialzeit europäischer Staaten. So lernen Kinder: Die brutale Unterdrückung Einheimischer ist einfach zum Kaputtlachen.
Zur Einordnung: Die Stadt Batavia heißt heute Jakarta und ist Hauptstadt von Indonesien. Im 17. Jahrhundert ließen die Niederländer die Stadt abbrennen und errichteten auf den Trümmern ihr neues Handelszentrum für Asien. Bis zur Unabhängigkeit Indonesiens von seiner Kolonialmacht 1949 starben tausende Einheimische in Kriegen und Massakern, die heute mitunter als Kriegsverbrechen der Niederländer angesehen werden.
Das Opfer stellt Ansprüche
Im Europapark werden die Gräuel in einem Piraten-Abenteuer zusammengefasst. Dort rauben die besoffenen, rauschbärtigen Europäer kistenweise Gold, stecken Häuser in Brand und vergreifen sich an den Indonesierinnen. Eine junge Frau mit tiefschwarzen Haaren sitzt auf dem Schoß eines Räubers.
Auf den ersten Blick sexuelle Belästigung. Aber nein, sie trällert glücklich: „Jetzt musst du mich heiraten.“ Der Pirat: „Oh forget it.“ Jetzt stellt das blöde Opfer auch noch Ansprüche.
Eine andere Frau steht auf dem Balkon eines Hauses - gefangen vom Feuer. Hinter ihrem Rücken brennt das Gebäude. Die Frau würde wohl bei lebendigem Leibe verbrennen. Vor einigen Jahren schrie die Puppe noch wie in Todesangst: „Hilfe, Hilfe, das ganze Haus steht in Flammen.“ Aber das war wohl nicht drollig genug.
Die Kolonialzeit ist eine wilde Sause
Heute ruft die Frau ihren Peinigern vorwurfsvoll zu: „Hört auf zu flirten. Das ganze Haus brennt.“ So wird besser klar: Die Kolonialzeit war im Grunde eine einzige geile Sause. Da ist es ein regelrechter Stilbruch, wenn am Ende der Tour am Rande des Dorfes eine Kutsche zu sehen ist, auf der eine kleine Kinderpuppe sitzt. Wie auf der Flucht. Sie blickt drein, als hätte sie irgendwie Zukunftsangst. Dem Balg war wohl nicht klar: So eine Brandschatzung ist wie ein Kurzurlaub zuhause.
Ja, es ist ja wahr: Tragödie plus Zeit gleich Komödie. Aber es ist eben ein Europa-Park - in dem alle Länder mit ihren kulturellen Facetten und mit landestypischer Architektur realitätsnah imitiert werden. Dort werden sogar Baumaterialien aus den jeweiligen Ländern importiert.
In Spanien gibt es eine Arena und ein großes Tapas-Restaurant, in Skandinavien eine hölzerne Stabkirche, in der sogar geheiratet werden kann. Aber sobald der Blick über die Grenzen des Kontinents hinausgeht, wird zugunsten der guten Laune gemogelt und schöngefärbt.