Wirtschaft im Weitwinkel

Die Briten haben den "Soft Brexit" gewählt

Nach der Neuordnung der Kräfteverhältnisse in Großbritannien braucht die konservative Regierung nun einen Bündnispartner, um überhaupt weiterregieren zu können. Einiges spricht nun dafür, dass der „Soft Brexit“ kommt.

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Die große Verliererin der Parlamentswahl in Großbritannien, Theresa May. Quelle: Reuters

Theresa May ist die große Verliererin der Parlamentswahl in Großbritannien. Im April hatte sie vorgezogene Neuwahlen ausgerufen – mit einem laut damaligen Umfragen sehr komfortablen Vorsprung für ihre Partei und ausgezeichneten Zustimmungswerten für sich selbst. Ein Erdrutschsieg wurde ihr prophezeit. Doch es kam anders: Die Tories sind zwar die stärkste Kraft geblieben. Aber ihre absolute Mehrheit haben sie verloren.

Nach dieser Wahlschlappe haben sich die Konservativen nun grundsätzlich auf eine Zusammenarbeit der nordirisch-konservativen Partei DUP (Democratic Unionist Party) geeinigt. Es scheint, dass die DUP eine Minderheitsregierung von May unterstützen wird. Diese Unterstützung werden die Tories jedoch nicht kostenlos bekommen. Die Forderungen der DUP werden sich dabei sehr auf die Belange von Nordirland ausrichten. Was das politische Gleichgewicht in Großbritannien insgesamt und speziell in Nordirland stören könnte.

Der große Gewinner der Unterhauswahl ist der Chef der Labour-Party Jeremy Corbyn. Als für die meisten Briten nicht wählbarer, schwacher Anführer einer zerstrittenen Partei angetreten, konnten er und Labour deutlich Sitze im Parlament gegenüber 2015 hinzugewinnen. Der Erfolg von Corbyn und der Labour-Party wurde durch eine große Unterstützung der jüngeren Wählerschichten getragen. Der konsequent auf soziale Themen setzende Wahlkampf fiel in dieser Bevölkerungsgruppe offensichtlich auf sehr fruchtbaren Boden.

"Schallende Ohrfeige" für Theresa May
Martin Schulz Quelle: dpa
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Reinhard Bütikofer Quelle: dpa
Elmar Brok Quelle: dpa
Nigel Farage Quelle: dpa
George Osborne Quelle: REUTERS

Rücktritt nach Regierungsbildung würde nicht stören

Damit setzt sich in Großbritannien ein Trend fort, den man bereits in den USA und teilweise auch in Frankreich beobachten konnte. Soziale Sicherheit und Teilhabe sind Themen, die zunehmend in den politischen Mainstream kommen und dabei insbesondere auch von den jüngeren Wählerschichten unterstützt werden. Die gesellschaftliche Diskrepanz zwischen den etablierten Bevölkerungsgruppen und den jüngeren Bevölkerungsschichten wird immer offensichtlicher. In Deutschland ist diese Entwicklung bislang nicht sichtbar. Jedoch sollte man sich den Sorgen der jüngeren Wähler mehr annehmen, um hier eine gesellschaftliche Lösung zu erreichen.

Eine weitere Überraschung war, dass Theresa May nach dieser Wahlschlappe nicht sofort zurückgetreten ist. Diese Entscheidung ist aber wohl den anstehenden Brexit-Verhandlungen geschuldet. Die Brexit-Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der EU werden am 19. Juni beginnen. Bei einem jetzigen Rücktritt Mays hätte sich aber die Regierungsbildung verzögert, da die Tories dann zunächst einen neuen Parteichef und Premierminister hätten suchen müssen.

Harte Linie kaum durchzuhalten

Die Verhandlungen zum Brexit müssen aber im Herbst 2018 abgeschlossen sein, um die Ergebnisse der Verhandlungen durch die Parlamente absegnen lassen zu können, bevor der Brexit im Frühjahr 2019 offiziell wird. Eine Verlängerung der Verhandlungen scheint aus heutiger Sicht nur schwer vereinbar zu sein.

Daher fehlt für einen Rücktritt von May zum jetzigen Zeitpunkt einfach die Zeit. Jedoch ist es wahrscheinlich, dass May nach Regierungsbildung zurücktritt. Dies würde die Brexit-Verhandlungen dann aber nicht stören.

Das Wahlergebnis selbst wird auch inhaltliche Konsequenzen für die anstehenden Brexit-Gespräche haben. Premierministerin Theresa May oder auch ein potenzieller Nachfolger gehen deutlich geschwächt in die Verhandlungen. Zwar dürfte die initiale Strategie sich nicht deutlich verändern. Jedoch wird die DUP entscheidende Forderungen stellen. Nord-Irland hat enge wirtschaftliche Beziehungen zur Republik Irland, die Teil der EU ist und bleibt. Aus diesem Grund wird die DUP darauf bedacht sein, dass die wirtschaftlichen Beziehungen zu Irland (und damit auch zur restlichen EU) nicht allzu sehr beeinträchtigt werden. Das aber kann nur gegen Zugeständnisse in den Feldern der Zuwanderung und Freizügigkeit erreicht werden.

Die knappe Mehrheit der Tories im neuen Parlament und eine Koalitionsregierung dürften somit das Durchhalten einer harten Linie in den Brexit-Verhandlungen deutlich erschweren, wenn nicht unmöglich machen. Denn am Ende der Verhandlungen muss die Regierung für das Ergebnis eine Mehrheit im Parlament finden und dies wird bei der derzeitig angedachten Strategie eines harten Brexit nicht möglich sein.

Die EU Kommission wird zudem den Druck in den Verhandlungen erhöhen, da die Machtverschiebung sicherlich auch hier in die Verhandlungskonzepte einfließen wird. Die Wahrscheinlichkeit für ein moderates Verhandlungsergebnis bei den Brexit-Verhandlungen ist also nach dieser Wahl deutlich gestiegen.

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