Leidet die europäische Einigungspolitik also unter Geschichtsblindheit?
Man hat zu sehr auf die Ökonomen gehört. Die sagten, das kriegen wir schon hin, wir öffnen die Märkte, investieren, und dann wird sich alles angleichen. So kam es aber nicht, und man hätte es wissen können. Aus der Erfahrung Italiens. Dessen Eliten sind seit 150 Jahren nicht in der Lage, das Land zu vereinheitlichen. Kollektive Mentalitäten ändern sich nicht so einfach – die Wirtschaftskultur sowieso nicht.
Aber es gibt doch durchaus positive Beispiele aus der Wirtschaftsgeschichte.
Das beste Beispiel ist Japan. Japan hatte auch vor der Öffnung des Landes und der Meiji-Restauration eine funktionierende Wirtschaftskultur. Aber sie war international nicht wettbewerbsfähig. Und das haben die Japaner sofort verstanden, als 1853 die amerikanischen Kanonenboote vor ihrer Küste aufkreuzten. Da haben sie gewaltige Arbeit geleistet, Studiengruppen in die ganze Welt entsandt und sich informiert, wie man das Land und die Wirtschaft besser organisieren kann. Die größte Leistung war, alles im Rahmen der japanischen Traditionen laufen zu lassen. Denn eine Wirtschaftskultur kann man nicht gegen starken Widerstand aufzwingen, das geht nicht. Sie muss mit den herrschenden Denkweisen kompatibel und für die Menschen akzeptabel sein.
Die Japaner haben es aus eigener Kraft geschafft, zur Wirtschaftsgroßmacht zu werden. Den Südeuropäern wird durch die Kohäsionsfonds der EU seit vielen Jahrzehnten von den Mittel- und Nordeuropäern geholfen. War das vielleicht sogar ein Fehler?
Das Problem ist nicht die Hilfe an sich, sondern wie geholfen wird. Bis jetzt glauben die Europäer, Harmonisierung sei der Weg zum Erfolg. Aber auf der Ebene der Wirtschaftskulturen ist das falsch. Man muss feststellen, wo die Vorteile unserer Wirtschaftskulturen liegen – und zwar auf ihre jeweiligen Märkte bezogen. Und dann muss man sie stärken, auch wenn dies differenzierte Strategien der Wirtschaftspolitik erfordert. Das ist natürlich eine Herkulesaufgabe. Brüssel wäre damit völlig überfordert.
Und was machen wir nun mit einem Land wie Griechenland?
Es ist keine Lösung, Griechenland aus der EU zu werfen. Ich denke, man könnte Griechenland im Rahmen der EU helfen, Staat und Gesellschaft zu stärken – obwohl ich nicht weiß, wie genau das gehen soll. Aber eine Wirtschaftskultur wie die griechische in die Disziplin einer Hartwährungsunion einzubinden, das ist völlig absurd.
Die Instrumente zur Euro-Rettung
Pro: Mit einer gemeinsamen Einlagensicherung und mit einem EU-weiten Sicherheitsnetz für Europas Banken könnte zwei bedrohlichen Szenarien vorgebeugt werden: einem Bank-run, bei dem die Sparer panisch ihre Einlagen von der Bank abheben. Und der Gefahr, dass nationale Auffangfonds nicht ausreichen, um nationale Banken zu stützen.
Contra: Gesunde Banken, allen voran in Deutschland, müssten im Ernstfall für ihre maroden Konkurrenten in anderen Euroländern zahlen. Außerdem gibt es noch keine effiziente europäische Bankenaufsicht. Damit gelten für die Banken noch unterschiedliche Voraussetzungen - und es besteht keine Möglichkeit, die Geldhäuser zu kontrollieren und Abwicklungen und Restrukturierungen zu erzwingen.
Wahrscheinlichkeit: nur vorhanden, wenn es vorher eine effiziente europäische Bankenaufsicht gibt. Das soll die Europäische Zentralbank übernehmen. Wenn dazu eine überzeugende Einigung gelingt: 60 Prozent.
Pro: Mit direkter Bankenhilfe aus dem ESM oder von der EZB wären Krisenländer wie Spanien ihr größtes Problem los: dass nämlich Notkredite der Europartner die Schuldenlast das Staatshaushaltes und damit die Pleitegefahr deutlich erhöhen. Der Rettungsfonds könnte den Banken direkt Sicherheiten zur Verfügung stellen, mit denen diese das notwendige Geld zur Rekapitalisierung aufnehmen. Im besten Fall verdient der ESM daran, weil er das Geld billiger aufnimmt als verleiht.
Contra: Bei direkter Bankenhilfe hätten die Euroländern keine Möglichkeit, Gegenleistungen von den Regierungen zu erzwingen. Zudem wäre nicht garantiert, dass die Banken die Unterstützung zurückzahlen, wenn kein Staat dahinter steht. Unklar ist überdies, wie Auflagen für die Banken selbst durchgesetzt werden sollten.
Wahrscheinlichkeit: Siehe BANKEN-UNION: ohne eine effiziente europäische Bankenaufsicht gleich null. Nach Aufbau einer europäischen Aufsicht: 70 Prozent.
Pro: Dahinter verbirgt sich die Idee gemeinsamer Staatsanleihen, die von den Ländern der Eurozone ausgegeben würden. Ihr Reiz läge darin, dass alle Staaten zusammen für die Rückzahlung haften und sich so gegenseitig Rückendeckung geben. Dadurch könnten selbst von den Anlegern geschmähte Euro-Sorgenkinder wie Spanien, Italien und Griechenland wieder zu günstigeren Zinsen an frisches Geld kommen - und so ihre schwächelnde Konjunktur ankurbeln. Befürworter wie Frankreich hoffen, dass damit der Teufelskreis aus steigenden Staatsschulden und höheren Zinsen ein für alle Mal durchbrochen und ein abschreckendes Signal an Spekulanten ausgesendet wird.
Contra: Vergleichsweise solide haushaltende Staaten wie Deutschland, dessen Bundesanleihen bei Investoren als sicherer Hafen gelten und deshalb ein historisches Zinstief erreicht haben, müssten bei der Ausgabe gemeinsamer Euro-Bonds wieder höhere Renditen in Kauf nehmen - und somit Milliarden draufzahlen. Gegner monieren zudem fehlende Reformanreize für hoch verschuldete Staaten, weil großzügige Ausgabenpolitik die eigene Bonität nicht mehr direkt beeinträchtigen würden. Sie lehnen auch eine gesamtschuldnerische Haftung ab - denn beim Ausfall eines Schuldners müsste das Kollektiv, also Deutschland wie jedes andere Land, komplett für dessen Verbindlichkeiten haften.
Wahrscheinlichkeit: tendiert auf absehbare gegen Null Prozent, wegen des vehementen Widerstands der Bundesrepublik und anderer Nordländer.
Pro: Euro-Bills sollen die Kritiker der Euro-Bonds beschwichtigen, weil sie eine kürzere Laufzeit haben und in der Summe begrenzt wären. Mit ihrer Hilfe dürfte sich jeder Staat nur bis zu einem bestimmten Prozentsatz seiner Wirtschaftsleistung finanzieren. Wer die damit verbundenen Haushaltsregeln nicht einhält, würde im Folgejahr vom Handel mit den Papieren ausgeschlossen. Die Idee wurde in EU-Kreisen als Kompromiss lanciert, weil sich vor allem Berlin stoisch auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts beruft, das eine in Dauer und Höhe unbegrenzte Schuldenübernahme untersagt.
Contra: In Diplomatenkreisen werden die Euro-Bills als kleine Brüder der Euro-Bonds belächelt. Das erhoffte überwältigende Signal an Märkte und Spekulanten, dass Wetten gegen Euro-Staaten zum Scheitern verdammt sind, wären sie jedenfalls nicht mehr. Da Volumen und Laufzeit begrenzt sind, stellt sich zudem die Frage, ob sie die Nöte hoch verschuldeter Euro-Sorgenkinder unter steigendem Zinsdruck überhaupt effektiv zu lindern.
Wahrscheinlichkeit: 10 Prozent, weil Euro-Bills weder für die Befürworter noch für die Gegner gemeinschaftlicher Staatsanleihen die erhoffte Lösung wären.
Pro: Mit einem Schuldentilgungsfonds, wie ihn die fünf deutschen Wirtschaftsweisen vorgeschlagen haben, würden nur nationale Verbindlichkeiten jenseits von 60 Prozent gemeinschaftlich und zu niedrigen Zinsen bedient - also erst über der Marke, die der EU-Stabilitätspakt gerade noch zulässt. Bis zu dieser roten Linie müssten die Länder weiterhin alleine für ihre Schulden gerade stehen, andere Euro-Staaten also nicht für die gesamte Schuldensumme ihrer europäischen Partner haften. Der zu gründende Fonds würde sich selbst an den Finanzmärkten refinanzieren und dort über eine kollektive Haftung aller Mitgliedstaaten abgesichert.
Contra: Während neben der SPD und den Grünen zuletzt auch das Europäische Parlament und der Internationale Währungsfonds Sympathien für diese Lösung bekundet haben, hegt die Bundesregierung verfassungsrechtliche Zweifel. Koalitionspolitiker sehen in ihr den Einstieg in die Vergemeinschaftung von Schulden, wie sie die No-Bailout-Klausel der europäischen Verträge verbiete. Die Bundesbank empfindet schon die Bezeichnung "Schuldentilgungspakt" als missverständlich, weil damit keine harten Einsparauflagen und Überschüsse zur Rückzahlung der Staatsschulden einhergingen.
Wahrscheinlichkeit: 20 Prozent, da der Tilgungsfonds letztlich zwar ebenfalls die Übernahme fremder Schulden bedeutet, allerdings zu einem geringeren Umfang als bei Euro-Bonds oder Euro-Bills.
Pro: Mit der Ausgabe dieser Projektanleihen sollen in der EU bis Ende 2013 Privatinvestitionen von rund 4,5 Milliarden Euro mobilisiert werden. Dafür stünden in einer Pilotphase zwar nur 230 Millionen Euro aus dem EU-Budget zur Verfügung, Brüssel hofft jedoch auf einen 20-fachen Hebelfaktor: Mit der Europäischen Union im Rücken sollen Investoren kreditwürdiger erscheinen, dadurch an billigeres Geld kommen und so grenzüberschreitende Verkehrs- oder Energieprojekte finanzieren. Es bestünde also die Hoffnung, mit relativ geringem Risiko einen beachtlichen Effekt zu erzielen.
Contra: Skeptiker halten dem entgegen, dass sich für ökonomisch sinnvolle Projekte meist auch ohne staatliche Hilfe Privatinvestoren finden. Außerdem gebe es bislang lediglich eine Hand voll konkreter Vorhaben, die zudem nicht alle besonders ausgereift konzipiert seien.
Wahrscheinlichkeit: 95 Prozent, da eine informelle Einigung bereits Ende Mai erzielt wurde und die einzusetzenden Mittel in einem günstigen Verhältnis zum erhofften Nutzen stünden.