Wirtschaftskulturen Unterschiede machen Europa stark

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"Wirtschaftskulturen ändern sich nicht so einfach"

Die größten Staatspleiten
England 1345 Quelle: Gemeinfrei
Österreich 1811 Quelle: Gemeinfrei
Griechenland 1893 Quelle: Gemeinfrei
Lenin Quelle: dapd
Kinder spielen 1923 mit wertlosen Markscheinen Quelle: AKG
Demonstrnten in Buenos Aires, im Jahre 2001 Quelle: AP
Blick auf Rio De Janeiro Quelle: dpa

Das heißt, die Menschen müssen sich einig sein, dass es wichtig ist, zum Beispiel ein Defizit einzuschränken. Und das kann man nicht durch Gesetze erreichen?

Man kann es versuchen, zum Beispiel durch den Vertrag von Maastricht und den Fiskalpakt. Aber so etwas funktioniert in der Regel nicht, weil hinter diesen gesellschaftlichen Mentalitäten noch eine dritte Ebene kommt, nämlich handfeste, sehr widerstandsfähige Wirtschaftskulturen. Mit Gesetzen ist da nichts zu erreichen, da ist Hopfen und Malz verloren.

Man könnte dagegen einwenden, dass wir längst auf dem Weg in eine gemeinsame, globale Kultur sind, die auch die Wirtschaft umfasst.

 Es gibt zweifellos eine globale Popkultur. Und wenn Sie durch die Städte gehen, so sehen die Geschäfte überall auf der Welt zum Verwechseln ähnlich aus. Aber das trifft nicht auf die Organisationsweise der Wirtschaft zu, wie wir in unserem aktuellen Buch zeigen. Je globaler die Märkte zusammenhängen, desto wichtiger wird es, komparative Vorteile zu entwickeln. Bei der Wirtschaftskultur, wie ich sie verstehe, geht es nicht um den Einzelnen und nicht um Gesellschaft und Staat, sondern um die Organisation der Wirtschaft und die Denk- und Handlungsweisen ihrer Akteure. Die Unternehmer, die Gewerkschafter, auch die Konsumenten akzeptieren einfach in manchen Regionen der Welt besondere Spielregeln, weil sie sich davon Vorteile versprechen. Und diese ändern sich nicht so einfach. Die Banken haben in Deutschland und Mitteleuropa zum Beispiel die historische Erfahrung gemacht, dass es für unsere Wettbewerbsfähigkeit gut ist, über geduldiges Kapital zu verfügen. Dass es gut ist, eine langfristige unternehmerische Perspektive  zu finanzieren.

Aber hat sich das nicht gerade geändert? Ist die Deutschland AG nicht  passé?

Wir haben noch die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken - fast 60 Prozent des Bankensystems. Und die bringen diese Geduld immer noch auf. In England und Amerika ist das sehr selten. Deren komparativer Vorteil ist das Risikokapital – was auf vielen Märkten ebenfalls wichtig ist. Man kann nicht sagen, die einen sind schlechter organisiert als die anderen. Das deutsche Bankensystem ist so wie es ist, weil die hiesige Produktionsweise es so erfordert. Das ist historisch so gewachsen: Wir sind auf nachindustrielle Maßschneiderei ausgerichtet, und die braucht eine langfristige Finanzierung. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht.

Die verborgenen Schätze der Krisenländer
Griechenland - Schwieriger PrivatisierungsplanDer griechische Staat besitzt Unternehmensbeteiligungen im geschätzten Wert von 34 Milliarden Euro. Hinzu kommt staatlicher Grundbesitz, den die Regierung in Athen auf rund 280 Milliarden Euro taxierte. Doch die Privatisierung der Besitztümer kommt nicht so richtig in Gang. Bisher konnten nur 1,8 Milliarden Euro durch Privatisierungen eingenommen werden. In diesem Jahr soll nach Aussage der Regierung nur noch die staatliche Lotterie und ein Gebäude in Athen verkauft werden. Das hier zu sehende Parlamentsgebäude in Athen steht jedoch nicht zum Verkauf. Quelle: dpa
Der griechische Staat soll mehr als 50 öffentliche Unternehmen besitzen, vom Athener Gemüse-Großmarkt über Hafenanlagen bis zu den Staatsbahnen OSE. Doch die meisten Unternehmen schreiben rote Zahlen und sind deshalb schwer zu verkaufen. Das ist allerdings die einzige noch verbleibende Vermögensquelle des Landes: Die Gold- und Devisenreserven sind auf gerade mal 5,8 Milliarden geschmolzen. Immerhin befinden sich noch 244 Milliarden Euro an Geldvermögen im Besitz der Bürger. Quelle: dpa
Portugal - Versteckte GoldreservenGemessen am Bruttoinlandsprodukt hat Portugal mit sechs Prozent die größten Gold- und Devisenreserven der Euro-Zone: 18 Milliarden Euro ist der Schatz der Notenbank wert. Doch laut Gesetz kann die Zentralbank dem Finanzministerium nur jedes Jahr die Erträge aus Zins- und Wertpapiererträgen überweisen - das Gold kann also nicht zur Schuldentilgung verwendet werden. Portugals Privathaushalte besitzen ein Geldvermögen von immerhin 384 Milliarden Euro. Ein Teil davon stünde für eine Vermögensabgabe und damit zur Sanierung der Staatsfinanzen zur Verfügung. Quelle: dpa
Außerdem befinden sich Unternehmensbeteiligung im Wert von 32 Milliarden Euro im Besitz des Staates. Der aktuelle Sanierungsplan der Troika sieht acht Milliarden Euro aus Privatisierungserlösungen vor - bisher nahm die Regierung circa drei Milliarden Euro ein. Derzeit stehen noch der Flughafenbetreiber ANA, das Energieunternehmen GALP sowie die Fluggesellschaft TAP zum Verkauf, für die sich auch die Deutsche Lufthansa interessiert. Quelle: dpa
Irland - Die Angst vor dem RamschverkaufDie Regierung in Dublin (Foto) hat der Bevölkerung versichert, sie lasse sich von den internationalen Geldgebern nicht zu einem „Ramschverkauf" von Staatsvermögen zwingen. Geschätzt wird der Wert der Unternehmen in Staatsbesitz auf knapp 22 Milliarden Euro geschätzt. Die in der Krise verstaatlichten Banken sind jedoch nach wie vor defizitär und praktisch unverkäuflich. Irlands Refinanzierungsbedarf bis Ende 2013 beläuft sich auf knapp zwölf Milliarden Euro. In der nächsten Zeit stehen die Privatisierung der Lotterie, der Ländereien und Holtzwerke, des Gasversorgers BGE an und der restliche 25-Prozent-Anteil an Aer Lingus an. Quelle: dapd
Darüber hinaus besitzt der irische Staat ganz oder teilweise ein Dutzend Häfen, mehrere Nahverkehrs- und Busunternehmen, die Eisenbahn, Stromversorger, den staatlichen Rundfunk- und TV-Sender RTE und die Nationale Agentur für Ölreserven. Dieses Portfolio soll aber offenbar nicht privatisiert werden Bei den eigenen Gold- und Devisenreserven ist für das Land, dessen Banken voll von der Finanzkrise getroffen wurden, nichts mehr zu holen. Der "Staatsschatz" beträgt nur noch 1,4 Milliarden Euro. Dagegen besitzen die Privathaushalte ein Geldvermögen von 297 Milliarden Euro, das zum Teil durch eine Vermögensabgabe abgeschöpft werden könnte. Quelle: dapd
Italien - Reiche leben das Dolce VitaRegierungschef Mario Monti (Foto) will 26 Milliarden Euro will er binnen drei Jahren im Haushalt einsparen. Auch von der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnte Privatisierungen sind kein Tabu, um den Schuldenberg von fast zwei Billionen Euro abzubauen. Und hier ist einiges zu holen: Der Immobilienbesitz des Landes wird auf bis zu 370 Milliarden Euro geschätzt, hinzu kommen Unternehmensbeteiligungen für mehr als 100 Milliarden Euro. Viele Immobilien lassen sich allerdings nicht sofort zu Geld machen, weil sie Ministerien oder Ämter beherbergen. Aus ihrem Gebäudebestand will die Regierung nun Immobilien im Wert von rund 40 Milliarden Euro über Fonds verkaufen. Bei der Privatisierung von Staatsunternehmen zögert sie noch, weil der Versorger Enel und der Ölkonzern Eni, an denen der Staat je ein Drittel hält, lange als Dividenden-Garanten galten. Quelle: Reuters

Schauen wir mal auf die Eurozone. Was unterscheidet die deutsche Wirtschaftskultur von der der Mittelmeerländer?

Da kann man weit zurückgehen. Seit rund tausend Jahren gibt es die Handelsachse der Hanse von Flandern über Skandinavien bis Nowgorod. Dann gibt es ebenfalls seit vielen Jahrhunderten die Achse von Flandern über die Champagne nach Genua und die von Flandern über Köln, Frankfurt, Augsburg und Nürnberg nach Venedig. Das sind gewachsene Wirtschaftsräume, die zu einer Vereinheitlichung des Denkens und Handelns geführt haben, also zu einer relativ einheitlichen Wirtschaftskultur. Deutschland ist also eingebettet in eine gewachsene Wirtschaftskultur, die von Skandinavien bis Norditalien, von der Seine bis an die Oder reicht. Die Entstehung ihrer heute noch gültigen Ausprägung kann man ziemlich genau festmachen in der langen Depression von 1873 bis 1896. Es war keine Depression der Löhne und Arbeitsmärkte, sondern eine der Renditen. Da das ausländische Kapital Deutschland verließ und es wenige investitionswillige Wirtschaftsbürger gab, mussten die Universalbanken die langfristige Finanzierung der neuen Industrien übernehmen. Und dann veränderten sich auch die Arbeitsbeziehungen spätestens in den 1890er Jahren mit dem Aufstieg der Gewerkschaften und der Einführung der Mitbestimmung. Denn die neuen Industrien, die Chemie, die Elektrotechnik, der Maschinenbau brauchten qualifizierte Arbeiter. Hire and Fire kam da teuer zu stehen. Die von Bismarck für die Sozialversicherung eingeführten paritätischen Ausschüsse wurden daher zu Mitbestimmungsgremien – ohne gesetzliche Grundlage übrigens, die kam erst 1920.

Und wie sieht es nun südlich von Genua aus?

Ich will nicht behaupten, diese Länder hätten keine Wirtschaftskultur. Sie haben eine andere. Nur funktioniert sie gegenwärtig nicht allzu gut. Die südeuropäischen Krisenländer haben eines gemeinsam, nämlich die Schwäche des Staates und der Gesellschaft. Die Ursache dafür liegt in rückständigen feudalen Strukturen und im Falle Griechenlands und Süditaliens außerdem in jahrhundertelanger Fremdherrschaft, die dazu führte, dass der Staat als Feind betrachtet wurde. Und wenn der Staat schwach ist, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Unter solchen Bedingungen fällt es schwer, Haushaltslöcher zu stopfen, die Staatsverschuldung zu bremsen oder die Korruption zu bekämpfen. Nicht zufällig haben all diese Länder faschistische Diktaturen erlebt. Die Faschisten wollten die Schwäche des Staates durch autoritäre Ordnung überwinden. Sie scheiterten. Die Europäische Gemeinschaft hat diese Länder an sich gebunden, damit sie nicht zurückfallen in autoritäre Politikmuster.

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