Die meisten Roma in Varna sprechen kein Bulgarisch. Kaum jemand kann lesen und schreiben. Einige der Bewohner sammeln Schrott und verdienen damit ein paar Cent am Tag. Lokale Mafiabanden dagegen verdienen an den Ärmsten der Armen viel. In den Hütten machen Geschichten von Roma, denen Organe entnommen wurden, die Runde. Drogen- und Babyhandel seien üblich, berichten Hilfsorganisationen. Die Hoffnung auf ein besseres Leben in der Heimat haben die meisten längst aufgegeben. Zustände wie in Varna treiben viele in den Westen. „Auswandern nach Deutschland lohnt auf jeden Fall“, sagt der 16-jährige Isis, „das Geld dort ist gut, und es ist schnell verdient.“
Die volle Freizügigkeit für alle Bulgaren und Rumänen wird die EU deshalb in Zukunft vor weit größere Anpassungsprobleme stellen, als dies bisher der Fall war. Wie sehr Deutschland aber bisher von Arbeitskräften aus dem Osten profitiert hat, wird nahe der Grenze deutlich. In Pasewalk zum Beispiel: Straßenschilder auf Deutsch und Polnisch, polnische Ärzte im örtlichen Krankenhaus. Vor zehn Jahren hat die EU-Osterweiterung das Leben in der Region verändert. Seither zogen Tausende Polen nach Vorpommern oder in die Grenzregionen Brandenburgs. Sie füllten leer stehende Plattenbauten als Mieter, kauften Häuser in Schrumpfgemeinden oder machten sich als Kleinunternehmer selbstständig.
„Natürlich gab es da auch eine Sozialneiddebatte“, sagt die Landtagsabgeordnete Beate Schlupp (CDU) aus dem grenznahen Uecker-Randow heute. Gerüchte hätten die Runde gemacht, dass ganze Wohnblöcke nun von Polen bewohnt seien und diese Wohngeld vom deutschen Staat bezögen. Doch vor allem gewinnt die einst abgelegene Gegend: „Ohne Stettin hätten wir keine eigene Kraft zu wachsen“, sagt Schlupp.
Die Grenzgemeinde Löcknitz lässt sogar neue Baugebiete ausweisen – in einer ehedem abgehängten Region. Ein Kindergarten wurde neu gebaut, die Schule erweitert. Jeder zehnte der rund 3000 Einwohner kommt aus dem Nachbarland, etliche arbeiten in Deutschland. Die Älteren auf dem Land sind aus Sicht Schlupps auch für die Neuen. „Sie merken, dass sie jetzt im Dorf nicht mehr die Letzten der Bastion sind, wenn polnische Familien zuziehen.“
Doch die Reibung, die durch das Fremde und durch einsatzfreudige Neulinge entsteht, ruft in Mecklenburg-Vorpommern und anderswo auch immer wieder die rechtsextreme NPD auf den Plan. Leider, sagt Schlupp, verfange diese „undifferenzierte Stimmungsmache“ bei manchen. In einigen Örtchen holt die NPD bei Wahlen deshalb bis zu einem Drittel der Stimmen.
Für die Europawahl ist das alles andere als ein gutes Zeichen.