Falsche Prioritäten Industrie attackiert Doktorandenschulen

Die neue, verschulte Art der Doktorandenausbildung in Deutschland treibt die Wirtschaft auf die Barrikaden. Vor allem bei promovierenden Ingenieuren sieht man die traditionelle Bindung an Unternehmen bedroht.

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In Politik und Wirtschaft gelten die Graduiertenschulen nach US-Vorbild als neues Non-Plus-Ultra. Quelle: dpa Quelle: handelsblatt.com

BERLIN. Promotionen werden zunehmend in "Graduiertenschulen" oder "Doktorandenkollegs" absolviert. Das aber "drängt die klassische Assistenz-Promotion in den Hintergrund", warnt etwa der Präsident des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Manfred Wittenstein. Zum Schaden der Unternehmen: "Es ist alarmierend, denn diese Assistenten arbeiten eng mit der Wirtschaft zusammen und lernen dabei auch noch Projektmanagement, das sie später in Unternehmen dringend brauchen", sagte er dem Handelsblatt. Vor allem die Ingenieurpromotion dürfe keinesfalls verschult werden.

In Politik und Wissenschaft hingegen gelten die Graduiertenschulen nach US-Vorbild als neues Non-Plus-Ultra. Im Zuge des Bologna-Prozesses für einen europäischen Hochschulraum will Deutschland auch hier international kompatibel werden. Nebenbei soll das traditionelle Übel verschwinden, dass Doktoranden an den Hochschulen mitunter jahrelang als billige Zuarbeiter einzelner Professoren ausgebeutet werden.

Im Rahmen der Exzellenzinitiative sind Graduiertenschulen die zentrale Säule für die Förderung des Top-Nachwuchses und werden mit jährlich 60 Mio. Euro gefördert. So wird die Doktorandenausbildung - nach Bachelor und Master - zur dritten Stufe der akademischen Ausbildung. Mittlerweile wird rund jeder zehnte Doktorand in solchen Kollegs ausgebildet. Rechnet man alle Formen strukturierter Promotion hinzu, sind es nach Angaben der Hochschulrektorenkonferenz sogar nahezu 40 Prozent.

Der VDMA ist jedoch nicht der einzige Mahner wider den Zeitgeist. Acatech, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften, empfiehlt: Die Zusammenarbeit mit der Industrie muss auch in Zukunft zentraler Bestandteil der Ingenieur-Promotion sein. Schließlich sei der enge Bezug zur Industrie ein "Alleinstellungsmerkmal der deutschen Ingenieurswissenschaften, heißt es in einer umfangreichen Stellungnahme.

"Mit gewisser Sorge" sieht selbst der Präsident der Vereinigung der neun führenden technischen Unis, der TU9, Ernst Schmachtenberg, den "leisen Druck der Politik und des Wissenschaftssystems, die Doktorandenausbildung umzustellen". Der Präsident der Elite-Uni RWTH Aachen macht dafür nicht nur hehre Qualitätsziele verantwortlich, sondern auch den Spardruck: "Doktorandenkollegs sind weit billiger als die Finanzierung von Assistentenstellen", sagte er dem Handelsblatt.

Aber vor allem für Ingenieure und Naturwissenschaftler gelte: "Wenn wir die Besten für eine Promotion an der Uni halten wollen, müssen wir ihnen feste Stellen bieten". Das sei gerade angesichts des geplanten Ausbaus der akademischen Ausbildung unverzichtbar. Finanziell sei das in der bisherigen Struktur auch gut möglich, "denn die Wirtschaft zahlt ja oft für Forschungsprojekte, in denen Doktoranden arbeiten".

Es sei zwar sinnvoll, Doktoranden nebenher freie Rede, Personalmanagement oder die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens beizubringen, räumt Schmachtenberg ein. "Das darf aber nicht mehr als zehn Prozent der Arbeitszeit in den Instituten kosten."

"Dass Doktorandenschulen für Ingenieure in England und Frankreich auf dem Vormarsch sind, ficht den TU9-Präsidenten nicht an. "Es ist weder nötig noch sinnvoll, dass wir in Europa die Hochschulsysteme mit Gewalt angleichen".

Die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel, jedoch verteidigt die Graduiertenschulen gegen die Kritik: Gerade in den Technikwissenschaften werde die enge Verbindung zwischen Hochschulen, Forschungsinstituten und Unternehmen "durch Graduiertenschulen noch verbessert".

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