Denkfabrik "Gesundheits-Riester" als Lösung

Wie lassen sich technischer Fortschritt und stabile Kosten im Gesundheitswesen vereinbaren? Ein Ökonomenteam aus Bayreuth plädiert für einen „Gesundheits-Riester“.

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Denkfabrik Ökonomen Quelle: Olaf Tiedje für WirtschaftsWoche

Kommt er oder kommt er nicht? Die anhaltende Diskussion um den Gesundheitsfonds zeigt, dass alle Reformansätze im deutschen Gesundheitswesen nur partielle Lösungen eines dauerhaften Problems darstellen, das lautet: Wie lassen sich in Deutschland künftig nachhaltige Finanzierungs- und Versorgungsstrukturen schaffen?

Nachfrage und Angebot im Gesundheitswesen werden von zwei großen Entwicklungen geprägt: dem demografischen Wandel und dem technologischen Fortschritt in der Medizin. Die Möglichkeiten der Diagnose und Therapie werden künftig durch Innovationen immer größer. Dank des medizinischen Fortschritts leben die Menschen länger. Gleichzeitig nehmen sie jedoch auch länger medizinische Leistungen in Anspruch. Das kostet Geld.

Ohne eine nachhaltige Reform des Gesundheitswesens wird die Diskrepanz zwischen dem medizinisch Möglichen und Finanzierbaren daher zunehmen – sofern die Alternative nicht Rationierung notwendiger Leistungen heißen soll. Geht man davon aus, dass der medizinische Fortschritt einen Prozentpunkt stärker wächst als das Volkseinkommen, so dürften die Krankenkassenbeiträge bis zum Jahr 2050 auf rund 28 Prozent ansteigen – das politische Ziel der Beitragssatzstabilität wäre damit obsolet. Da aber niemand eine Rationierung möchte und zentrales Ziel der Gesundheitspolitik bleiben muss, alle Versicherte am medizinischen Fortschritt teilhaben zu lassen, bedarf es neuer Ideen für einen Systemumbau, der die Finanzierung nachhaltig sichert.

Dass es gleichzeitig Veränderungen auf der Leistungsseite, also bei Ärzten und Krankenhäusern geben muss, etwa bei den Organisations- und Vergütungsstrukturen, ist selbstverständlich. Erste Ansätze dazu gibt es bereits, etwa mehr Wahlfreiheiten der Patienten und erweiterte Vertragsmöglichkeiten der Krankenversicherungen. Doch im Vordergrund einer Reform sollten neue Strukturen für die Finanzierung der Leistungen stehen. Hier setzt unsere Idee eines „Gesundheits-Riesters“ an – angelehnt an die staatlich geförderte zusätzliche private Altersvorsorge, die nach ihrem Erfinder, dem ehemaligen Bundessozialminister Walter Riester benannt wurde.

Heute ist die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) so organisiert, dass die Leistungsansprüche der heute lebenden Generationen einen Anspruch vor allem an die noch nicht geborenen künftigen Generationen darstellen. Bezogen auf das Jahr 2005 gilt, dass rund 51,25 Milliarden Euro der Einnahmen für Umverteilungszwecke genutzt wurden und somit nicht für die eigentliche Leistungsgewährung zur Verfügung standen. Bezogen auf den Längsschnitt lässt sich für das Basisjahr 2005 eine durchschnittliche Belastung durch das bestehende Umlageverfahren (implizite Pro-Kopf-Steuer) von rund 20.000 Euro pro Versicherten ermitteln. Damit stellt sich die Frage, welche Umverteilungseffekte innerhalb der (Pflicht-)Versichertengemeinschaft ökonomisch und gesellschaftlich tragbar sind.

Grundlegend für jedes Versichertenkollektiv im Gesundheitsbereich ist der Ausgleich unterschiedlicher Krankheitsrisiken. Soweit jedoch zusätzliche Umverteilungsziele gewünscht werden – Einkommensausgleich, Familienausgleich, Generationenausgleich – entstehen ungenaue und nicht mehr prognostizierbare Steuerungseffekte. Gerade durch das derzeit herrschende Umlageverfahren in der GKV werden bei Annahme eines stetig wachsenden Fortschritts in der Medizintechnik die Belastungen systematisch auf die nachrückende Generation verlagert.

Wie kann der „Gesundheits-Riester“ das Problem lösen? Einerseits setzt er – ähnlich wie in der Altersvorsorge – auf die Idee einer individuellen Kapitalbildung. Damit wird die intergenerative Umverteilung zumindest ein Stück weit zurückgefahren. Andererseits kann der Gesundheits-Riester dazu dienen, zusätzliche Innovationen zu finanzieren. Geht man davon aus, dass Innovationen grundsätzlich weiterhin aus den normalen GKV-Beiträgen finanziert werden, erhielten gesetzliche Krankenversicherungen zusätzlich die Option, bestimmte förderfähige Wahlleistungsangebote für zukünftige Diagnose- und Behandlungsverfahren anzubieten – die dann vom Patienten über den geförderten „Gesundheits-Riester“ selbst bezahlt werden können.

Der Gesundheits-Riester sollte nicht für alle Bürger verpflichtend sein. Allerdings kann der Staat durch eine Förderung mittels Zulagen – ganz so wie bei der Zusatzrente – dafür sorgen, dass viele Menschen für ihre Gesundheit mehr Geld zur Seite legen. Die Zulagen könnten dabei nach dem Einkommen gestaffelt und somit auch für Niedrigverdiener attraktiv sein. Allerdings: Der Leistungskatalog der GKV, so wie er heute existiert, darf nicht ausgedünnt werden, auch wenn es einen Gesundheits-Riester gibt. Dies ginge zulasten einkommensschwacher Patienten, die sich den neuen Innovationsbonus nicht leisten können. Mehr noch: Auch die Regelleistungen, die jeder erhält, sollten mit der Zeit erweitert werden. Und zwar zeitverzögert um die mit dem Gesundheits-Riester finanzierten Innovationen, sofern sich diese in der Praxis bewährt haben. In welchem Rahmen die Innovationen als Regelleistung übernommen werden, sollte durch ein gesteuertes Verfahren mithilfe von Versorgungsexperimenten und Kosten-Nutzen-Bewertungen entschieden werden. An dieser Stelle sind auch die Kassen gefordert, durch Modellvorhaben selbst aktiv an der Fortentwicklung des Regelkatalogs mitzuwirken.

Fazit: Der Gesundheits-Riester könnte ein neuer Hebel sein, den vermeintlichen Widerspruch von nachhaltiger Finanzierung und Teilhabe am technischen Fortschritt aufzulösen – zumindest ein Stück weit.

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