Gesundheitsökonom "Enorme Wirtschaftsschäden durch Hygienemängel"

Nach dem Tod dreier Säuglinge im Mainzer Uniklinikum ist eine generelle Debatte über die Hygiene-Vorschriften in deutschen Krankenhäusern ausgebrochen. Der Kölner Gesundheitsökonom Sebastian Krolop schätzt, dass bis zu einer Million Patienten jedes Jahr an Infektionen erkranken, weil Ärzte und Pflegekräfte Regeln missachten. Das verursache hohe ökonomische Kosten.

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Quelle: handelsblatt.com

DÜSSELDORF. "Das Hygiene-Problem kommt die deutsche Volkswirtschaft teuer zu stehen", sagte der Geschäftsführer der Unternehmensberatung Admed, die auf Kliniken spezialisiert ist, Handelsblatt Online. "Auch wenn die direkten und indirekten Kosten dieses Problems nur schwer zu quantifizieren sind, so ist der Schaden für die Krankenkassen, privaten Krankenversicherungen und letztlich für den Steuerzahler enorm." Pro Jahr werde eine Summe von 1,3 Milliarden Euro pro Jahr angenommen, die das Gesundheitssystem zusätzlich schultern müsse.

Die schwerkranken Kleinkinder in der Uniklinik hatten eine mit Bakterien verseuchte Nährlösung erhalten. Es ist noch nicht eindeutig geklärt, ob das die Todesursache war.

Krolop, der auch regelmäßig für das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen Studien erstellt, kritisierte, dass "einige" Bundesländer ihrer Verantwortung in Sachen Hygiene nur "unzureichend" nachkämen. Nur wenige Länder hätten eine Hygiene-Verordnung. "Wichtig wäre eine Vereinheitlichung der Vorschriften, die dann für alle gilt." Das könnten die Länder selbst regeln, sagte der Ökonom. Doch leider sei der Föderalismus in Deutschland in dieser Frage bisher "immer sehr hinderlich" gewesen. "Wenn aber nichts geschieht, sollte der Bund die Sache in die Hand nehmen und eine bundesweit verbindliche Verordnung erlassen", sagte Krolop. "Mit einer einem zentral abgestimmten Konzept könnte man einen Großteil der Keime viel wirkungsvoller bekämpfen."

Krolop regte zudem an, dass die Krankenhäuser oder notfalls die Krankenkassen für mehr Hygiene-Transparenz sorgen. "Möglich wäre, dass sie Krankenhausinfektionen öffentlich machen", sagte der Ökonom. "Patienten können sich viel besser ein Bild über den Zustand einer Klinik machen, wenn sie über die Komplikationsraten Bescheid wissen." Krolop schätzt, dass zwischen 500.000 und einer Million Patienten jedes Jahr an Infektionen erkranken, weil Ärzte und Pflegekräfte einfache Hygienestandards wie Desinfizieren der Hände oder das Tragen von Gummihandschuhen und Mundschutz nicht einhalten. "Bei Patienten auf Intensivstationen liegt das Infektionsrisiko sogar bei über 15 Prozent", fügte er hinzu.

Krolop sprach in diesem Zusammenhang von einer "relativ laschen Hygiene" in einigen Krankenhäusern, die dazu führe, "dass durch die anschließende schrotflintenartige Antibiotika-Behandlung eines Patienten resistente Keime regelrecht gezüchtet werden". Deswegen seien "klare Hygiene-Regeln" umso wichtiger.

Das Bundesgesundheitsministerium kündigte am Dienstag an, bei der nächsten Gesundheitsministerkonferenz gemeinsam mit den Ländern zusätzliche Regelungen für eine bessere Hygiene zu erörtern. Bisher steht es jedem Bundesland offen, ob es Hygieneverordnungen für Krankenhäuser erlässt. Bislang haben dies nur Berlin, Bremen, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Sachsen getan.

"Wir haben auf dem Gebiet der Krankenhaus-Hygiene ein großes Problem, auf das der Gesetzgeber dringend reagieren muss", sagte FDP-Fraktionsvizechefin Ulrike Flach der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Die FDP-Fraktion werde deshalb im September die Initiative für eine bundesweite Regelung ergreifen.

Ähnlich äußerte sich der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn: "Es ist höchst unbefriedigend, dass trotz lange bekannter Defizite bei der Hygiene in Krankenhäusern bisher wenig passiert ist." Er sei zuversichtlich, dass sich das trotz der Länderkompetenz für diesen Bereich durch eine Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes des Bundes verfassungskonform umsetzen lasse.

Handlungsbedarf sieht auch die Opposition. Krankenhaus-Hygiene habe immer noch einen zu geringen Stellenwert, kritisierte der Grünen-Bundestagsabgeordnete und Obmann im Gesundheitsausschuss, Harald Terpe. Notwendig sei ein nationaler Aktionsplan, in dem Maßnahmen von Bund und Länder vereinbart würden. Dazu gehörten die Verpflichtung der Kliniken, hauptamtliche Hygienebeauftragte einzuführen sowie eine durch den Bund zu regelnde Meldepflicht für multiresistente Erreger in Krankenhäuser.

Der Forderung schloss sich die SPD an und erhob gleichzeitig schwere Vorwürfe gegen Kliniken und die zuständigen Bundesländer. "Offenbar müssen erst Leichen auf der Straße liegen, bis einige Bundesländer aufwachen und ihrer Verantwortung gerecht werden", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Vorstöße des Bundes, an den Missständen etwas zu ändern, seien in der Vergangenheit stets am Widerstand der Länder gescheitert.

Eine bundesweite Regelung forderte auch die Deutsche Gesellschaft für KrankenhausHygiene. Jährlich gebe es in Deutschland bis zu einer Million Krankenhaus-Infektionen und bis zu 40.000 Tote, sagte der Sprecher der Gesellschaft, Klaus-Dieter Zastrow, im Deutschlandradio Kultur. Die Folgekosten gingen in die Milliarden.

Auch die Krankenkasse KKH-Allianz forderte die Politik auf, die Patientensicherheit in Krankenhäusern stärker in den Fokus zu nehmen. "Der Gesetzgeber sollte sich nicht damit abfinden, dass die Sicherheit von Patienten an Ländergrenzen Halt macht", sagte der Vorstandschef der Krankenkasse, Ingo Kailuweit. Hier müssten nachprüfbare Kriterien her, die Hygienestandards in allen deutschen Krankenhäusern definierten.

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