Unruhen in Xinjiang Han-Chinesen rächen sich an Uiguren

Ziemich genau 48 Stunden nachdem in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi muslimische Uiguren auf Han-Chinesen losgingen, begannen diese ihren Rachefeldzug. Bewaffnet mit Knüppeln, Eisenstangen und Macheten zogen sie durch muslimische Stadtviertel und zerstörten Häuser, Restaurants und Geschäfte. WirtschaftsWoche-Korrespondent Matthias Kamp berichtet aus Urumqi.

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Starke Militärpräsenz in Quelle: REUTERS

Hetian Jie, Straße des friedlichen Feldes, heißt die kleine Gasse im Zentrum von Urumqi. Am Dienstagabend dieser Woche um kurz vor acht war es mit dem Frieden vorbei. „Auf einmal standen rund 600 Han-Chinesen in der Straße“, erzählt ein muslimischer Uigure, der dort seit zehn Jahren ein kleines Restaurant betreibt. Knüppel, Eisenstangen und Langmesser hätten sie dabeigehabt, sagt der 66-Jährige.

Von seinem Restaurant haben die Randalierer nicht viel übrig gelassen. Die Scherben der eingeschlagenen Fenster bedecken den Boden. Überall liegen zerschlagene Teller und Tassen. Tische und Stühle sind umgekippt. Der Bildschirm der Computerkasse liegt zertrümert auf dem Boden. Bei etwa 4000 Euro liegt der Schaden – in dieser Region drei durchschnittliche Jahresverdienste.

In den Restaurants in der Nachbarschaft sieht es ähnlich aus: Überall zerschlagene Fensterscheiben, umgestürzte Teeboiler, zertrümmerte Möbel. Kaum ein Restaurant haben die randalierenden Han-Chinesen verschont. Es war ihre Rache gegen die Muslime, die zwei Tage zuvor ebenfalls zu Hunderten chinesische Geschäfte, Autohäuser und Restaurants zerstört hatten. Insgesamt mehr als 150 Menschen, so die Angaben der Regierung, sollen bei den Unruhen ums Leben gekommen sein.

Massenaufmarsch von Armee und Polizei

Um ein Wiederaufflammen der Unruhen zu verhindern, hat die chinesische Regierung heute Zehntausende Armeetruppen, bewaffnete Polizei und Spezialeinheiten aus anderen Provinzen des Landes nach Xinjiang gebracht. Urumqi gleicht inzwischen einer riesigen Militärbasis. Überall stehen Panzer und Armee-Lastwagen. Truppen patroullieren Parolen rufend durch die Straßen. Mit ein Grund für den Massenaufmarsch: Lokale Polizei und Armee sollen bei den Unruhen sowohl am vergangenen Sonntag als auch am Dienstag auf ganzer Linie versagt haben.

„Etwa zehn Polizisten standen auf der Straße, als sie unser Restaurant angegriffen haben“, sagt der 66-jährige Uigure. „Aber sie haben den Randalieren nur zugerufen, sie sollten es mit der Gewalt nicht übertreiben.“ Schließlich hat sich der Alte in seiner Wohnung nebenan versteckt. Inzwischen hat auch ein uigurischer Mitarbeiter der Stadtverwaltung bei ihm vorbeigeschaut, um den Schaden zu begutachten. Doch viel Hoffnung auf eine Entschädigung kann er sich wohl nicht machen. „Der Mann hat gesagt, Kompensation gibt es nur für Schäden, die bei den Ausschreitungen der Uiguren gegen die Han-Chinesen entstanden sind.“

Die Wohnung des alten Uiguren strahlt orientalische Gemütlichkeit aus. An der Wand ist ein bunter, schwerer Teppich befestigt. Gegenüber hängt ein Hirschgeweih. Auf dem Tisch stehen getrocknete Pflaumen, Fladenbrot und Süßigkeiten. Seine Tochter schenkt Tee ein.

Immer mehr Han-Chinesen

Zunächst zögert der Restaurantbetreiber, doch mit der Zeit wird er deutlicher. „In den Achtzigerjahren war das soziale Gefüge in Xinjiang stabil“, sagt der Uigure, auch dank der Kommunistischen Partei. Doch mit dem wirtschaftlichen Boom in China in den Neunzigerjahren und dem Wechsel in der Führung in Peking sei es mit der Stabilität in der Region allmählich bergab gegangen. „Die haben sich nicht mehr um den Ausgleich zwischen den Nationalitäten bemüht.“ Es seien immer mehr Han-Chinesen in die Region gekommen, es sei nur noch um die Wirtschaft, um Investitionen und Rohstoffe gegangen, die Konflikte hätten zugenommen.

So wird die Wirtschaft Xinjiangs inzwischen weitgehend von Han-Chinesen kontrolliert. „Wir Uiguren haben immer schlechtere Jobchancen“, sagt der Alte. Sein Sohn, ein schlanker Mittdreißiger in blauem Poloshirt, stimmt zu. „Wir sind klar im Nachteil.“ Vor zwei Jahren hätten die Behörden beispielsweise damit begonnen, den Uiguren ihre Pässe abzunehmen, damit sie nicht mehr ins Ausland reisen können. Peking fürchtet, die Uiguren könnten sich muslimischen Organisationen in Übersee anschließen.

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