Zukunft des Kapitalismus In jeder Krise steckt eine Chance

In Krisenzeiten gibt es seit jeher herausragende Unternehmer, die neue Wege entdecken, um unorthodoxe Ideen zu verwirklichen. Auch diesmal wird es Krisengewinner geben.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Ryanair-Chef Michael O'Leary Quelle: AP

Kaum zu glauben: Menschen gibt es, die bekommen in diesen Tagen einen erwartungsvollen Glanz in die Augen, wenn sie von der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise sprechen. Nehmen wir zum Beispiel den Iren Michael O’Leary. „Ich liebe diese Rezession“, schwärmt der querdenkerische Chef der Billigfluggesellschaft Ryanair, als drehte er gerade eine Runde auf der Achterbahn, „das Beste, was wir uns für diesen Winter wünschen können, ist eine gute, tiefe Rezession.“

Wie bitte? Ja geht’s denn noch etwas unverfrorener? Und doch: Was sich wie blanker Zynismus des notorisch hemdsärmeligen Ryanair-Oberen anhört, folgt einer inneren Logik. Der Chef-Billigflieger wendet einfach ein Grundgesetz der Aerodynamik auf sein Geschäft an: Gegenwind erzeugt Auftrieb. Je kräftiger einem der Sturm ins Gesicht bläst, das lernt jeder Hobbypilot, desto leichter steigt das Flugzeug in die Höhe. Wirtschaftskrise – das bedeutet für O’Leary fallende Spritpreise und potenziell sinkende Löhne. Doch der Chefmanager erwartet noch mehr Wirkung: Er geht davon aus, dass etliche Airlines in die Knie gehen, auf Flugrouten sowie auf Optionen für neues Fluggerät verzichten werden.

In allen diesen Fällen gedenkt der Draufgänger schnell entschlossen zuzupacken und beherzt all das aufzugreifen, was nervös gewordene Manager in der Krisenangst fallen lassen. „Wo immer in diesen Tagen jemand das Handtuch wirft, werden wir expandieren“, verspricht O’Leary und prognostiziert, Krise hin oder her, für seine Fluggesellschaft ein jährliches Wachstum von 20 Prozent. Für den Ryanair-Chef steckt die Krise also voller Chancen. Der Ire, der Ryanair von einer defizitären Regionalfluggesellschaft zu Europas größter Low-Cost-Airline ausbaute, zählt zu jener einmaligen Unternehmergattung, die im rauen Klima der Rezession und der Krisenzeiten offenbar besonders gut prosperiert. Auf sie trifft zu, was der Poet unter den Zoologen, Alfred Edmund Brehm, in seinem berühmten Tierleben über die Sturmvögel schrieb: „Am liebsten fliegen sie gegen den Wind und, als die Fröhlichsten unter den Fröhlichen, leben sie über den von heulenden Stürmen aufgerührten Wellen.“

In der Wirtschaftsgeschichte tauchten immer wieder solche Sturmvögel auf, die den ökonomischen Krisen positive Seiten abgewannen und die mit Risikobereitschaft, Ideenreichtum, gesunden Nerven und einem gesunden Appetit auf Geld just in denjenigen Situationen ihr Vermögen machten, in denen andere alles verloren. Der Schotte John Law (1671 bis 1729), der gern als Erfinder des Papiergeldes bezeichnet wird, war einer von ihnen. Die Wirtschaftskrise, die nach dem Tod des Sonnenkönigs Ludwig XIV. über das Königreich Frankreich hereinbrach, war der Katalysator für seine große Idee: Kostspielige Kriege, die Vertreibung der calvinistischen Kaufmannschaft, öffentliche Verschwendung, staatliche Misswirtschaft und die rapide dahinschmelzenden Goldreserven hatten das finanziell und wirtschaftlich ausgelaugte Königreich an den Rand des Staatsbankrotts geführt. Die Zeit war reif für den Krisenunternehmer John Law. Seine Formel hieß Kredit, sein Vehikel war das Papiergeld, und seine revolutionäre Idee legte den Grundstein zu einer gänzlich neuen Wirtschaftsform – das moderne Bankwesen.

Die Zentrale der Deutschen Quelle: dpa

In persönlichen Audienzen legte der Finanztheoretiker aus Edinburgh dem finanziell gebeutelten französischen Regenten Philipp von Orléans dar, dass die öffentliche Geldnot nicht das Ende der Welt sei: Wenn die Gold- und Silbermünzen knapp wurden, so Law, mussten eben Scheine her, die sich ohnehin mit geringeren Kosten herstellen und leichter transportieren ließen als das Münzgeld. Sofern der Wert dieser Banknoten garantiert und seine Ausgabe staatlich überwacht werde, könne das Papiergeld seine Aufgabe sogar besser erfüllen und Frankreichs Wirtschaft nachhaltiger ankurbeln als das Münzgeld. Schon ein halbes Jahr nach dem Tod Ludwigs XIV. durfte Law seine Bank in Paris eröffnen und in staatlichem Auftrag Banknoten drucken und ausgeben. Im ganzen Land liefen die Noten frei um, überall wurden sie gern genommen und entlasteten so den allzu engen Geldmarkt. Ein Stoßseufzer ging durchs Königreich: Mais oui! Endlich wieder genügend Geld!

Im Fahrwasser dieses Erfolgs gründete Law etliche Handelsgesellschaften, die einen florierenden Handel mit Frankreichs Kolonialgebieten in Nordamerika, Westindien und Afrika betrieben und später das französische Tabakmonopol, die Generalpacht der Steuern, das staatliche Münzregal und sogar die Finanzverwaltung des französischen Staates übertragen bekamen. Dass Laws Finanzimperium nach weniger als fünf Jahren in sich zusammenstürzte, weil eine spekulativ bedingte Papiergeld-Inflation Frankreich in die nächste Wirtschaftskrise stürzte, schmälert nichts an der Bedeutung des Mannes. Enteignet, aus Frankreich verbannt und mittellos, starb der Erfinder des Papiergeldes und erste globale Unternehmer im Exil in Venedig.

Inhalt
  • In jeder Krise steckt eine Chance
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%