Ausbildung Kampf um Nachwuchs: Viele Lehrstellen bleiben unbesetzt

Die Zahl der Ausbildungsverträge steigt auf Rekordhöhe. Trotzdem bleiben noch viele Lehrstellen unbesetzt, weil Bewerber zu schlecht ausgebildet sind.

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Bäckerei-Betriebsleiter Dreißig Quelle: Hans Scherhaufer für WirtschaftsWoche

Es sind Bewerbungen, bei denen Personaler fassungslos die Hände über den Kopf schlagen: Bis zu fünf Rechtschreibfehler in einem Satz, schlechte Noten für soziales Verhalten und eine Ausdrucksweise, die nicht erkennen lässt, was der Autor eigentlich kann und will. Solche Schreiben bekommt Thomas Büdel, Geschäftsführer des Elektroinstallationsbetriebs Hinkel + Sohn in Frankfurt, immer häufiger. Daher hat sein Betrieb auch immer weniger Auszubildende. Ob er dieses Jahr überhaupt neue Lehrlinge bekommt, weiß der Handwerker noch nicht, obwohl das Ausbildungsjahr in wenigen Wochen beginnen wird.

Hinkel + Sohn ist kein Einzelfall. Auch Bäcker Markus Dreißig aus Brandenburg sucht vergebens nach Azubis. Die Banken- und Versicherungsbranche sowie das Gastgewerbe tun sich laut einer Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) bei der Bewerbersuche ebenfalls schwer. Verantwortlich ist nicht nur die mangelnde Ausbildungsfähigkeit des Nachwuchses, sondern auch die steigende Nachfrage nach Auszubildenden. Wegen der guten Konjunktur suchen die Unternehmen mehr Nachwuchs. 2007 stieg die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge um 8,6 Prozent auf 625 914. In diesem Jahr registrierten allein die Industrie- und Handelskammern bis Ende Juni gegenüber dem entsprechendem Vorjahreszeitpunkt einen weiteren Anstieg um 7,1 Prozent auf 187 126; in den alten Bundesländern kam es zu einem Zuwachs um 8,0 Prozent, in Ostdeutschland noch zu einem Plus von 1,1 Prozent.

Otto Kentzler, Präsident der Handwerkskammern, verkündet dass „die Zahl der Neuverträge im Juni 2008 das hohe Niveau des Vorjahres erreicht“. Dabei verzeichnen die Handwerkskammern in Westdeutschland eine leichte Steigerung, in den neuen Bundesländern liegt die Zahl dagegen trotz steigenden Ausbildungsplatzangebotes niedriger. Kentzler: „Insgesamt ist das Handwerk zuversichtlich, auch 2008 seine hohe Ausbildungsquote von zehn Prozent realisieren zu können.“

Unter dem Strich, wenn sich der bisherige Trend in Industrie, Handel und Handwerk fortsetzt, „gibt es in diesem Jahr einen neuen Rekord bei den abgeschlossenen Ausbildungsverträgen“, prognostiziert DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun.

Die Lage am Ausbildungsmarkt hat sich damit dramatisch gewandelt. Wollten die Gewerkschaften noch vor einem Jahr die Wirtschaft per Ausbildungsplatzabgabe zwingen, mehr Lehrstellen zur Verfügung zu stellen, so sind diese Stimmen jetzt verstummt. Vielmehr ist ein Kampf um den Nachwuchs entbrannt. „Wir hören von immer mehr Unternehmen“, sagt Braun, „dass sie Ausbildungsplätze nicht mehr » besetzen können.“ Da es an ausreichend geeigneten Bewerbern mangelt und immer noch viele Stellen frei sind, appelliert Braun an „die Altbewerber, die bislang nicht zum Zug gekommen sind, ihre Chance zu suchen und sich jetzt zu bewerben“.

In der Wirtschaft und insbesondere im Handwerk wächst nun die Sorge, nicht mehr genügend Nachwuchs rekrutieren zu können. In den neuen Bundesländern „schlagen viele unserer Betriebe Alarm“, so ZDH-Generalsekretär Hanns-Eberhard Schleyer.

Starker Rückgang

Das Handwerk leidet unter seinem wenig attraktiven Image im Vergleich zu großen Unternehmen, aber auch an den zum Teil verheerenden schulischen Leistungen der Jugendlichen an Haupt- und Realschulen. Auf die schwer vermittelbaren Schulabgänger konzentrieren sich auch die politischen Bemühungen.

Nach dem jüngsten Bildungsbericht der Kultusministerkonferenz bekommt jeder zweite Hauptschüler nach seinem Schulabgang keinen Ausbildungsplatz. Für die rund 76.000 Jugendlichen, die jedes Jahr die Schule ohne Abschluss verlassen, sieht es noch schlechter aus. Nur 20 Prozent von ihnen haben eine Chance auf eine Lehrstelle.

Für diese Problemgruppen hat Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) jetzt einen Ausbildungsbonus ersonnen. 4000 bis 6000 Euro bekommen Betriebe, die einen Jugendlichen „mit Vermittlungshemmnissen“ ausbilden, also jemanden, der seit einem Jahr vergeblich einen Ausbildungsplatz sucht. Der Bund verspricht sich vom Ausbildungsbonus bis zu 100.000 Zusatz-Lehrstellen bis zum Jahr 2010.

Parallel dazu startet bald an 1000 Schulen ein Pilotprojekt, das förderungsbedürftige Jugendliche auf das Leben nach der Schule vorbereiten soll. Dabei sollen Sozialarbeiter die schwachen Schüler gezielt fördern. Sie beraten und unterstützen die Kandidaten von der Berufsorientierung über die Bewerbungsphase bis ins erste Ausbildungsjahr. Das rund 450 Millionen Euro teure Programm soll aus den Überschüssen der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden.

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