100. Geburtstag Milton Friedmans Lehre ist aktueller denn je

Seite 4/4

Mit seiner Radikalität machte er sich viele Feinde

US-Präsident Ronald Reagan Quelle: Photoreporters/Weinstein/dpa

Auf Basis ihrer Ergebnisse führen Friedman und Schwartz die Weltwirtschaftskrise der Dreißigerjahre auf geldpolitische Fehler der Fed zurück. Vom zyklischen Hoch im August 1929 bis zum Tief im März 1933 ging die Geldmenge in den USA um mehr als ein Drittel zurück. Statt den Banken frisches Geld zur Verfügung zu stellen, blieb die Notenbank passiv. Die schrumpfenden Zentralbankgeldbestände zwangen die Banken, Kredite vorzeitig fällig zu stellen und ihren Kunden die Kreditlinien zu kürzen. Die Bilanzsumme des Bankensektors schrumpfte, die Geldmenge auch.

Erst nachdem die Geldmenge 1933 wieder expandierte, erholte sich die Wirtschaft. 1937/38 machte die Fed den nächsten Fehler. Sie verdoppelte die Mindestreserve-Pflicht der Banken und entzog ihnen freie Überschussreserven. Die Wirtschaft stürzte erneut in die Rezession. "Die Große Depression", urteilte Friedman, "wurde wie die meisten Phasen hoher Arbeitslosigkeit durch das Versagen staatlicher Instanzen, nicht aber durch eine inhärente Instabilität der Privatwirtschaft verursacht."

Friedman empfahl den Zentralbanken daher, eine Geldpolitik der ruhigen Hand zu betreiben und die Preise stabil zu halten. Vehement wandte er sich gegen die Vorstellung keynesianischer Ökonomen, die Zentralbank könne durch mehr Inflation die Arbeitslosigkeit senken. Sein Credo: Die Arbeitnehmer unterliegen allenfalls kurzfristig einer Geldillusion. Mittelfristig setzen sie höhere Löhne zum Ausgleich der Inflation durch. Der Zuwachs der Reallöhne lässt dann die Arbeitslosigkeit wieder auf das Ausgangsniveau steigen

"Kapitalismus und Freiheit" als libertäres Manifest

Um die Preise stabil zu halten, empfahl Friedman, die Geldmenge um einen jährlich festen Prozentsatz zu erhöhen, der dem Wachstum des Produktionspotenzials entspricht. 1975 folgte die Bundesbank als erste Notenbank der Welt dem Friedmanschen Konzept und verkündete ein Geldmengenziel. 1979 schwenkte auch die Fed um und versuchte, über die Steuerung der Zentralbankguthaben der Geschäftsbanken die Geldmenge M1, später auch M2, stabilitätsgerecht auszuweiten. Doch 1982 gab die Fed das monetaristische Experiment auf. Finanzinnovationen und Deregulierung hatten zu heftigen Schwankungen der Geldnachfrage und damit der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes geführt. Der Zusammenhang zwischen Geldmenge, Wachstum und Preisen hatte sich zu stark gelockert.

Mit Ausnahme der Europäischen Zentralbank (EZB), die im Rahmen ihrer Zwei-Säulen-Strategie weiter die Geldmenge beobachtet, haben die meisten Zentralbanken das monetaristische Konzept zu den Akten gelegt. Stattdessen versuchen sie, die Inflation direkt durch Zinsänderungen zu steuern (inflation targeting). Die Geldmenge spielt dabei keine Rolle mehr.Für Kritiker jedoch hat dieser Ansatz entscheidend zur Finanzkrise beigetragen. Durch die Fokussierung auf die Verbraucherpreise blendeten die Notenbanken aus, dass die Kredit- und Geldmengen kräftig zulegten und die Preise an den Vermögensmärkten gefährlich in die Höhe schossen.

So könnte eine der wichtigsten Lehren aus der Finanzkrise sein, dass die Notenbanken in Zukunft wieder mehr auf die Entwicklung von Kredit- und Geldmengen achten. Denn die Beobachtung Friedmans, dass "Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen ist", ist nach wie vor gültig.

Nach seinen akademischen Erfolgen wandte sich Friedman Mitte der Sechzigerjahre einem breiteren Publikum zu. Regelmäßige Kolumnen im US-Magazin "Newsweek", Fernsehauftritte und zahlreiche Vorträge sorgten dafür, dass er Ende der Sechzigerjahre der führende libertäre Denker in den USA geworden war. Die intellektuellen Grundlagen für seinen Kreuzzug für die Freiheit hatte er 1962 mit dem Buch "Kapitalismus und Freiheit" gelegt. Das Werk ist neben Friedrich August von Hayeks "Der Weg zur Knechtschaft" das wohl wichtigste libertäre Manifest des 20. Jahrhunderts. Mit brillanter Rhetorik fordert Friedman darin die Abschaffung aller Zölle und Subventionen, den Verzicht auf Mindestlöhne, die Privatisierung der Sozialversicherung, den freien Zugang zu allen Berufen, die Einführung von Bildungsgutscheinen, die Abschaffung der Wehrpflicht – und sogar die Freigabe von Drogen.

Mit seiner Radikalität machte er sich viele Feinde. Als Friedman 1976 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt, protestierten bei der Verleihung in Stockholm Tausende Gegner gegen die Preisvergabe. Der Grund: Mehrere Schüler Friedmans waren nach dem Militärputsch in Chile 1973 zu hochrangigen Wirtschaftsberatern des Diktators Augusto Pinochet aufgerückt.

Friedman hatte jedoch nur wenig Kontakt zu seinen Schülern, den sogenannten "Chicago boys", und machte klar, dass er keinerlei Sympathie für Pinochets Regime hegte. Doch hoffte er, dass die von seinen Schülern vorangetriebenen liberalen Wirtschaftsreformen die Basis für Wohlstand und politische Reformen legen könnten.

Anfang der Achtzigerjahre berief US-Präsident Ronald Reagan Friedman zu seinem wichtigsten Wirtschaftsberater. Reagan setzte um, was Friedman ihm aufschrieb: niedrigere Steuern, weniger Staatsausgaben, mehr Wettbewerb. Friedman hatte geschafft, was sein Kollege in Chicago, George Stigler, schon immer gewusst hatte: "Milton will die Welt verändern. Ich will sie nur verstehen."

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%