Angst vor Deflation China zu weiteren Zinssenkungen bereit

Das Schreckgespenst Deflation lässt die Führungsriege in Peking umdenken: Der Zinssenkung vom Freitag könnten nach Angaben von Insidern weitere folgen. Auch eine Senkung der Mindestreserve-Anforderung werde diskutiert.

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Bündel von Yuan-Scheinen: Geld wird in China für Kreditnehmer vermutlich bald noch preiswerter. Quelle: AFP

Peking Die chinesische Führung ist aus Furcht vor einer Deflation nach Angaben von Insidern zu weiteren Zinssenkungen und einer Ankurbelung der Kreditvergabe bereit. Notenbank und Regierung wollten verhindern, dass fallende Preise zu Schuldenausfällen, Firmenpleiten und Arbeitsplatz-Verlusten führten, berichteten der Nachrichtenagentur Reuters Personen, die an den politischen Entscheidungen beteiligt sind. Angesichts der lahmenden Konjunktur hatte Chinas Notenbank am Freitag überraschend erstmals seit mehr als zwei Jahren den Leitzins gesenkt und damit Kursgewinne an den weltweiten Aktienmärkten ausgelöst.

„Die Führungsriege hat ihre Meinung geändert“, erklärte ein ranghoher Volkswirt, der bei einem staatlichen Institut beschäftigt ist und an Beratungen über die Geldpolitik teilnimmt. Die Notenbank habe ihren Fokus auf eine breit angelegte Stimulierung der Wirtschaft verlagert. Sie sei deshalb nicht nur für weitere Zinssenkungen offen, sondern auch für eine Reduzierung der Mindestreserve-Anforderung, die faktisch die Kreditvergabe der Banken deckelt. „Da wir nun einen Zinssenkungs-Zyklus begonnen haben, sollten weitere Zinssenkungen in der Pipeline sein und eine Kappung der Mindestreserve ist ebenfalls wahrscheinlich."

Die Notenbank verbilligte den Schlüsselsatz erstmals seit mehr als zwei Jahren am Freitag auf 5,6 von zuvor sechs Prozent. Zugleich räumte sie den Banken mehr Freiheit bei der Gestaltung von Zinsen auf Kundeneinlagen ein. Sie hatte jedoch gleichzeitig signalisiert, keinen aggressiven Kurs einzuschlagen: Das Wirtschaftswachstum sei noch „leidlich“, so dass die Währungshüter „mit Bedacht“ vorgehen könnten.

Die Konjunktur in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt hat zuletzt an Fahrt verloren. Im Sommer legte sie mit einem Plus von 7,3 Prozent so langsam zu wie seit Anfang 2009 nicht mehr. Dies könnte dazu führen, dass sie erstmals seit 15 Jahren das Wachstumsziel der Regierung von derzeit 7,5 Prozent verfehlt. Zugleich war die Kreditvergabe im Oktober scharf zurückgegangen. An den Finanzmärkten hoffen Investoren aus aller Welt auf einen Schub für die Weltwirtschaft, falls Chinas Konjunktur wieder anzieht.


Warum Analysten vor Chinas Kurs warnen

An den Märkten war die Entscheidung der Pekinger Währungshüter gut angekommen: Am Frankfurter Aktienmarkt kletterte der Leitindex Dax auch deswegen deutlich um mehr als zwei Prozent. Der Preis für Öl , den Schmierstoff der Weltkonjunktur, zog an.

Mit der Leitzinssenkung schwenkt die PBOC laut Ökonom Alexandre Baradez vom Pariser Finanzhaus IG auf einen ähnlichen Kurs ein wie die US-Notenbank Fed, die EZB in Frankfurt und die Zentralbank von Japan: „Sie treiben die Märkte.“ Die Fed hat den Börsen nach der Finanzkrise 2008 mit immer neuen Geldspritzen über Jahre zu einer Kurs-Rally verholfen, bevor sie die Hilfen Ende vorigen Monats einstellte. Die Notenbank von Japan hat die Geldschleusen hingegen jüngst weiter geöffnet. Und die Europäische Zentralbank (EZB) bereitet vorsorglich neue Maßnahmen zur Belebung der Wirtschaft vor.

Manche Experten bezweifeln jedoch, dass die chinesische Notenbank mit der Zinssenkung die Konjunktur wirklich anschieben kann. Angesichts der mauen Wirtschaft scheuten die Banken, mit Krediten neue Risiken einzugehen. Die größten Geldinstitute häuften zuletzt immer mehr faule Kredite an. Die Regierung hat den Banken schon eine Lockerung der Regeln für das Ausreichen von Darlehen in Aussicht gestellt. Insbesondere soll die Vorschrift flexibler gehandhabt werden, wonach das Kreditvolumen einer Bank 75 Prozent der Kundeneinlagen nicht übersteigen darf.

Chinas Führung hat zugleich die Weichen dafür gestellt, die Wirtschaft mit milliardenschweren Investitionen anzukurbeln. Die Reformkommission billigte jüngst Projekte mit einem Gesamtvolumen von umgerechnet rund 90 Milliarden Euro - darunter 16 Bahnhöfe und fünf Flughäfen. Präsident Xi Jinping will allerdings nicht mehr auf Biegen und Brechen an den staatlichen Wachstumsvorgaben festhalten. Er sagte jüngst, auch mit rund sieben Prozent sei China ganz weit vorne dabei.

Das rasante Wachstum im vorigen Jahrzehnt hat das Land in die Spitzengruppe der größten Volkswirtschaften katapultiert. Doch birgt dieser Kurs auch Gefahren, wie Commerzbank-Analyst Carsten Fritsch warnt: „China baut eine Kreditblase auf und zugleich kühlt der Häusermarkt ab. Dies mit einer Zinssenkung zu bekämpfen, ist riskant.“

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