Bargeldreform in Indien Gängigsten Rupien-Scheine aus dem Verkehr gezogen

Knall auf Fall hat die indische Regierung die gängigsten Geldscheine aussortiert. Die Menschen sind verunsichert, vor den Banken bilden sich lange Schlangen und Ladenbesitzer klagen über rückläufige Geschäfte.

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Der indische Ministerpräsident zog überraschend alle 500- und 1000-Rupien-Scheine aus dem Verkehr. Quelle: dpa

Düsseldorf Die ersten Bankkunden treffen weit vor Morgengrauen ein und bilden eine lange Warteschlange in Kälte und Smog. Geduldig warten sie auf die Öffnung und damit auf eine Möglichkeit, ihr Geld abzuheben. Mehr als sieben Stunden später treten die Sparer den Heimweg an, jeder mit einer Handvoll Geldscheine im Wert von umgerechnet höchstens 55 Euro. Mehr dürfen ihnen die Bankangestellten nicht auszahlen.

Bis zum Mittag füllt die Warteschlange in etlichen Windungen den gesamten Parkplatz vor der Filiale der Axis Bank im Zentrum von Neu-Delhi. Wer ausschert, muss damit rechnen, sich von einem Polizisten einen Schlag mit dem Bambusstock einzufangen. Doch keiner der Wartenden beschwert sich, die meisten von ihnen Arbeiter oder Menschen ohne Ausbildung.

 

„Sie sagen uns immer wieder, dass das richtig ist so, und vielleicht haben sie recht“, sagt die 36-jährige Shahida Parveen, deren Familie fast kein gültiges Bargeld mehr besitzt. „Aber ich sehe nicht, dass etwas Gutes passiert.“

So wie vor der Axis Bank sieht es Neu-Delhi und andernortens derzeit auch vor anderen Geldhäusern aus. In dem Land mit 1,3 Milliarden Einwohnern benötigen mehrere Millionen verzweifelt Bargeld. Grund ist die chaotische Bargeldreform der indischen Regierung, die ganz plötzlich über den Subkontinent hereinbrach: Ministerpräsident Narendra Modi zog in der vergangenen Woche überraschend alle 500- und 1000-Rupien-Scheine aus dem Verkehr, die gängigsten Zahlungsmittel im Land. Bis Ende Dezember können diese noch umgetauscht werden.


Schritt gegen Korruption und Schwarzgeld

Der Regierungschef begründete den Schritt mit dem Kampf gegen Korruption und Schwarzgeld. Die Reform richtet sich gegen alle Inder, die die großen Scheine im Wert von umgerechnet 6,80 Euro bzw. 13,60 Euro horten, um keine Steuern zu zahlen.

Zunächst stieß der Plan im Land, in dem weniger als drei Prozent der Bevölkerung eine Steuererklärung abgeben, auf breite Zustimmung. Doch von Tag zu Tag wurde deutlicher, wie schlecht die Regierung darauf vorbereitet war, auf einen Schlag 86 Prozent des landesweit im Umlauf befindlichen Bargelds für wertlos zu erklären.

Familien fingen an, kleine Banknoten zu bunkern, Einzelhändler klagten über einen Rückgang ihrer Geschäfte, und Gehälter wurden nicht ausgezahlt. Viele Geschäftsleute weigerten sich, den einzigen auf die Schnelle eingeführten neuen Schein im Wert von 2000 Rupien zu akzeptieren, da sie kein Wechselgeld mehr herausgeben konnten. Die Regierung hat angekündigt, zusätzlich neue 500-Rupien-Noten in Umlauf zu bringen. Doch diese bleiben bisher eine Seltenheit.

Modi räumte zwar ein, dass die Reform kurzzeitig komplizierte Begleiterscheinungen haben könnte. Zugleich versicherte er aber, die Regierung habe „viele Stunden damit verbracht herauszufinden, wie die Unannehmlichkeit minimiert werden kann“. „Die armen Leute können jetzt ruhig schlafen, während die Reichen durch die Gegend rennen, um sich Schlaftabletten zu kaufen“, sagte er und verwies auf Ängste der Wohlhabenden um gehortetes Geld. Bis zum Jahresende werde sich alles wieder normalisiert haben.

Vor der Zweigstelle der Axis Bank in Neu-Delhi spricht indes niemand über einen ruhigen Nachtschlaf. „Das dient nur dazu, Leute wie uns zu drangsalieren“, sagt die Hausfrau und Mutter Parveen, deren Ehemann als Makler bei einem kleinen Immobilienunternehmen arbeitet. Seit der Bargeldreform hat er aber keine Kunden mehr. Die meisten Inder haben keine Bankkonten und nutzen nur Bargeld, auch viele Läden nehmen nur Cash. „Die Leute mit dem ganzen Schwarzgeld werden einen Weg finden, davonzukommen“, sagt Parveen.


Anfragen nach Möglichkeiten zur Geldwäsche

Vermutlich hat sie Recht, auch wenn die Behörden angekündigt haben, größeren Beträgen nachzugehen. Nur wenige Stunden nach Modis Ankündigung stieg der Goldpreis, weil Reiche versuchten, ihr altes Bargeld loszuwerden. Wirtschaftsprüfer berichten über vermehrte Anfragen nach Möglichkeiten zur Geldwäsche. Einer von ihnen hatte nach eigenen Angaben einen Kunden, der umgerechnet mehr als fünf Millionen Dollar in ungültigen Scheinen loswerden wollte.

Andere weichen auf Tricks aus wie den Kauf teurer Bahntickets, die sie sich später zurückerstatten lassen können. Oder sie lassen sich falsche Quittungen ausstellen, die auf die Zeit vor Modis Ankündigung datiert sind, um Schwarzgeld legal erscheinen zu lassen. „Sehen Sie hier irgendjemanden mit Schwarzgeld?“, fragt der 59-jährige Chote Lal, der sich frei nahm, um sich in die Schlange vor der Axis Bank einzureihen. „Den Schaden haben nur die Armen, wer sonst?“

Einige der Wartenden wollen ihr eigenes Geld umtauschen, darunter auch Parveen. Sie zieht je zwei zerknitterte 100-und 50-Rupien-Scheine aus ihrem Portemonnaie: Die umgerechnet 3,70 Euro sind die gesamte Barschaft ihrer fünfköpfigen Familie. Deshalb hofft Parveen verzweifelt darauf, 4000 Rupien in der alten Währung umtauschen zu können.

Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass einige der Wartenden von Reichen bezahlt werden, um deren Geld zu tauschen. „Ich mache das nicht, aber viele Leute hier wechseln für andere“, sagt Sahil Saluja, der bei einer Fluggesellschaft arbeitet. Um sicherzustellen, dass sich niemand mehrfach anstellt, markieren die Banken die Finger von Leuten, die bereits getauscht haben, mit Tinte, so wie es in Indien auch bei Wahlen üblich ist.

Trotz solcher Widrigkeiten beteuert die Regierung, dass alles gut läuft. Die Menschen müssten sich keine Sorgen machen, heißt es in einer Erklärung der Zentralbank: „Sie können Bargeld bekommen, sobald sie es brauchen.“

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