Brexit-Folgen für Europas Banken Die Angst vor dem langen Abschied der Briten

Der Brexit wirbelt die wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse in der EU durcheinander. Die Furcht vor Krisen wächst. Die Bundesbank hat beruhigende Worte für die Finanzgemeinde – und macht der Deutschen Börse Hoffnung.

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Bundesbankvorstand Andreas Dombret warnt vor Ausflüchten der europäischen Banken. Quelle: Reuters

Frankfurt Das Brexit-Votum der Briten hat den ohnehin bereits geschwächten europäischen Banken einen weiteren schweren Schlag versetzt. Vor allen in Italien geht die Angst um, dass die allgemeine Verunsicherung nach dem Brexit das angeschlagene Finanzsystem endgültig in die Krise stürzt. Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret warnte bei einer Diskussion in Frankfurt allerdings davor, die neuen EU-Regeln zur Bankenrettung auszuhebeln. „Der Brexit darf nicht als Entschuldigung dienen, um die Pfeiler der finanziellen Stabilität zu umgehen, die wir gerade erst in der EU aufgestellt haben“, betonte der Notenbanker. Ansonsten würde die Marktdisziplin ausgehebelt und es wäre eine „logische Konsequenz“ für die Aufseher, die Kapitalanforderungen für die Banken weiter zu verschärfen.

Italiens Banken sitzen auf einem Berg fauler Kredite von 360 Milliarden Euro. Die Regierung in Rom glaubt, dass bis zu 40 Milliarden Euro an Staatshilfen nötig sind, um die Banken zu stabilisieren. Damit gerät Rom allerdings in Konflikt mit den neuen EU-Regeln, die vorsehen, dass im Falle einer Schieflage zuerst Eigentümer und Gläubiger einer Bank haften müssen, bevor der Staat eingreifen darf.

Die Furcht vor einer flächendeckenden Bankenkrise durch die Folgen des Brexit hält Dombret aber für übertrieben. Es gebe in der Euro-Zone zwar einige strukturelle Probleme in der Branche – und der Brexit mache die Lage nicht leichter, aber eine regelrechte Bankenkrise sei nicht zu erwarten.

Dombret ist bei der Bundesbank unter anderem für die Bankenaufsicht zuständig. Ähnlich beurteilt EZB-Bankenaufseher Ignazio Angeloni die Lage. Die Banken und die Aufseher seien gut auf das Brexit-Votum vorbereitet gewesen, lobte Angeloni. Bei den Geldhäusern habe es nach dem Referendum keine Liquiditätsengpässe oder Finanzierungsprobleme gegeben, die Systeme hätten trotz des Ansturms der Kunden gehalten. Auch Angeloni betonte, dass die Regeln der EU-Bankenunion trotz der Turbulenzen in Italien „nicht aufgegeben oder aufgehoben werden sollten“. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist für die Aufsicht über die größten Geldhäuser der Euro-Zone zuständig.

Dombret erwartet durch den Brexit aber nicht nur Belastungen für Europas Banken, sondern auch erhebliche Machtverschiebungen im Wertpapier- und Devisenhandel. Der Bundesbanker glaubt, dass Abwicklungshäuser und Wertpapierverwahrer für Euro-Geschäfte nach einem EU-Ausstieg nicht in London und damit außerhalb der EU verbleiben können. „Das ist ein Toleranzlevel, das ich mir nicht vorstellen kann, und das ich nicht unterstützen kann.“ Die Banken müssten sich zudem darauf einstellen, dass auch der Handel mit Euro-Produkten außerhalb der EU keine Zukunft habe.

Ronald Kent vom britischen Bankenverband räumte ein, dass eine Verlagerung des billionenschweren Euro-Derivatehandels eine ernstzunehmende Möglichkeit ist, und dass die Verschiebung die Londoner City schwächen würde. Er warnte allerdings Frankfurt davor, sich zu früh zu große Hoffnungen zu machen, schließlich mache auch Frankreich im Kampf um das Euro-Clearing mobil. „Ich habe Neuigkeiten für Sie, Paris meldet seine Ansprüche ebenfalls bereits an“, sagte Kent.

Trotz der drohenden Verwerfungen durch den Brexit am Finanzplatz London will die Deutsche Bank erst einmal abwarten, bevor sie Entscheidungen über eine mögliche Verlagerung von Geschäft und Personal trifft. Als Institut mit Hauptsitz in der EU müsse sich die Bank ohnehin keine großen Sorgen machen, betonte Vorständin Sylvie Matherat. „Wir sind einer sehr komfortablen Situation“. Die Bank, die in Großbritannien rund 9000 Mitarbeiter beschäftige, werde sich rechtzeitig an die neue Situation anpassen, antwortete die Managerin auf eine Frage von Handelsblatt-Chefredakteur Sven Afhüppe, der die Diskussion moderierte.

Bei der vom Bundesverband deutscher Banken organisierten Runde in der Frankfurter Goethe-Universität waren sich alle Teilnehmer in einem Punkt einig: Noch ist es viel zu früh, um die Langzeitfolgen des britischen EU-Ausstiegs zu bewerten. Da die Wirtschaft und die Märkte aber nichts mehr hassen als Unsicherheit, müssten die entscheidenden Weichen für den EU-Ausstieg des Vereinigten Königreichs so schnell wie möglich gestellt werden.

Trotz seiner Erwartung, dass sich erhebliche Teile des Handelsgeschäfts zurück auf den Kontinent verschieben werden, unterstützt Bundesbanker Dombret die geplante Fusion zwischen der Frankfurter und der Londoner Börse: „Es mag zunächst bizarr klingen, aber ein solcher Zusammenschluss macht nach dem Referendum noch mehr Sinn“, betonte der Bundesbanker. Gerade wenn Großbritannien der EU den Rücken kehre, seien wirtschaftliche Brücken zwischen beiden Lagern wichtiger denn je.
Dombret ist der bisher ranghöchster deutsche Amtsträger, der sich klar für den rund 25 Milliarden Euro schweren Zusammenschluss ausspricht.

Zuletzt hatten Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und der Chef der Finanzaufsicht, Felix Hufeld, die Fusionspläne kritisiert, weil der angepeilte Hauptsitz der Superbörse in London nach einem Brexit außerhalb der EU liegen würde. In dieser Frage sieht auch Dombret noch Nachbesserungsbedarf. „Die betroffenen Parteien müssen eine Unternehmensstruktur finden, die allen vernünftigen Interessen gerecht wird.“ Die Deutsche Börse will deshalb mit der LSE über eine Verlagerung des Firmensitzes in die EU oder über eine Doppelholding Frankfurt-London sprechen, auch wenn diese Lösung teurer wäre.

Der Segen der Aufseher gilt als die heikelste Hürde für die geplante Fusion. Um zumindest bei der Zustimmung ihrer Aktionäre auf Nummer sichern zu gehen, hatte die Deutsche Börse die Mindestannahmequote am Montag von 75 auf 60 Prozent gesenkt und die Annahmefrist um zwei Wochen verlängert. Am Mittwoch konnte Börsenchef Carsten Kengeter zumindest einen Teilerfolg melden: Bis zum Nachmittag gaben rund 53 Prozent der Eigentümer der Deutschen Börse grünes Licht für den Zusammenschluss.

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