Brexit-Konsequenzen Großbritanniens Angst vor der Krise

Die Immobilienpreise sinken, der Arbeitsmarkt ist „im freien Fall“, Unternehmen wollen vorerst nicht investieren: Großbritannien fürchtet nach dem Brexit eine neue Finanzkrise. Notenbankchef Carney bleibt gelassen.

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In Großbritannien wächst die Angst vor einer Wirtschaftskrise. Quelle: Reuters

Angesichts der wirtschaftlich turbulenten Zeiten nach dem Brexit-Votum dämpft der britische Notenbankchef die Furcht vor einer neuer Krise. Die Briten müssten sich keine Sorgen über die Vergabe von Darlehen machen, betonte der Gouverneur der Bank of England (BoE), Mark Carney, am Freitag im Hörfunksender LBC: „Es ist nicht wie nach der Finanzkrise oder während der Euro-Krise.“ Der „moderne Finanzsektor“ funktioniere. Die BoE hatte am Donnerstag das Leitzinsniveau halbiert. Mit 0,25 Prozent liegt es so tief wie nie zuvor seit Gründung der altehrwürdigen Bank of Englang vor mehr als 320 Jahren.

Zudem wurde das Staatsanleihenprogramm zum Ankurbeln der Wirtschaft um 60 Milliarden Pfund (rund 70 Milliarden Euro) aufgestockt sowie ein Anreizprogramm zur Förderung der Kreditvergabe aufgelegt. All dies soll dazu beitragen, die nach dem EU-Austrittsreferendum vom 23. Juni auf Talfahrt gegangene Wirtschaft zu stabilisieren. Auf der Insel herrscht Unsicherheit, ob Großbritannien künftig noch Zugang zum EU-Binnenmarkt haben wird. Dies trübt die Konsumlaune der Verbraucher und hemmt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen.

Der japanische Konzern Nissan kündigte an, künftige Investitionsentscheidungen im größten Autowerk auf der Insel davon abhängig zu machen, unter welchen Bedingungen sich der EU-Ausstieg vollziehen wird. „Die Frage ist doch: Was wird mit Zoll, Handelsbedingungen und der Verbreitung der Produkte“, sagte Renault-Nissan-Chef Carlos Ghosn der BBC. Für den Autobauer ist der Brexit ein besonders brisantes Thema, da ein Großteil der in Sunderland gefertigten Wagen in andere EU-Länder ausgeliefert wird. Die Fabrik gilt als eine der effizientesten der Branche in Europa.

Als weiteres Krisensignal für die britische Wirtschaft gilt, dass die Preise für Wohnimmobilien im Juli unerwartet deutlich gefallen sind. Sie sanken zum Vormonat um ein Prozent und damit fünfmal stärker als von Ökonomen angenommen, wie das Hypothekenunternehmen Halifax mitteilte. Erst kürzlich hatte eine andere Studie ergeben, dass die Häuserpreise im exklusiven Zentrum Londons im Juli so stark sanken wie seit fast sieben Jahren nicht mehr. Diese Zahlen nähren die Sorge, dass Immobilien nach einem EU-Austritt massiv an Wert verlieren könnten, insbesondere am Finanzplatz London, dem eine deutliche Schwächung droht.

In den Bankentürmen der Metropole geht die Furcht um, dass Geschäftsfelder und Arbeitsplätze nach einem Brexit an Standorte in der Europäischen Union verlagert werden. Auch die krisengeplagte Royal Bank of Scotland (RBS) bekommt den Brexit-Schock zu spüren: Das Anti-EU-Referendum sorge jetzt für Unsicherheit, erklärte das Geldhaus, das tiefrote Zahlen schreibt. Das Votum treffe die Bank in ihrem Kernmarkt. RBS will nun die Auswirkungen auf das eigene Geschäft prüfen. Zuvor hatte bereits HSBC, Europas größte Bank mit Sitz in London, erklärt, die eigenen Aktivitäten genau unter die Lupe zu nehmen..

Weitere Hiobsbotschaften kommen vom britischen Arbeitsmarkt: Die Zahl der neu ausgeschriebenen unbefristeten Stellen sei im vergangenen Monat so stark zurückgegangen wie zuletzt während der Rezession 2009, teilte der Berufsverband für Personalvermittlung (REC) zu einer Studie mit. „Der Arbeitsmarkt hat im Juli einen dramatischen freien Fall erlebt“, sagte REC-Chef Kevin Green. „Die wirtschaftlichen Turbulenzen nach dem Votum für ein Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union sind zweifelsohne der Grund.“ Viele Firmen stellten wegen der erhöhten Unsicherheit neue Mitarbeiter nur noch befristet ein.

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