Bundesbank-Chef Jens Weidmann Euro-Zone wird Brexit-Folgen trotzen

Der Chef der deutschen Notenbank ist bekannt für seine Kritik an der ultralockeren Geldpolitik der EZB. Daran ändern auch das Brexit-Votum und seine möglichen Folgen nichts.

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Auf die möglichen Folgen des Brexit-Votums reagiert der Bundesbankpräsident gelassen. Quelle: AP

Frankfurt Bundesbankpräsident Jens Weidmann reagiert gelassen auf die möglichen Folgen des Brexit-Votums. Die Entscheidung der Briten für einen Austritt aus der EU wirft aus seiner Sicht den Konjunkturaufschwung in der Euro-Zone nicht aus der Bahn. Der wirtschaftliche Ausblick für den Währungsraum ändere sich durch das Votum nicht grundlegend, sagte Weidmann der Wochenzeitung „Die Zeit“.

„Es dürfte zwar einen kleinen Dämpfer geben, aber insgesamt wird sich die Aufwärtsbewegung fortsetzen.“ Es sei allerdings noch zu früh, um eine verlässliche Aussage darüber zu treffen, was das für die Preisentwicklung bedeute. Darüber werde sicherlich auf den nächsten Sitzungen des EZB-Rats diskutiert.

Die Zinsen seien schon jetzt sehr niedrig, die Finanzierungsbedingungen kein wirkliches Investitionshemmnis, sagte Weidmann. „Und klar ist auch: Die Wirkung der ultralockeren Geldpolitik nimmt mit der Zeit ab, und die Risiken und Nebenwirkungen nehmen zu.“

Allerdings sei die Unsicherheit derzeit ausgeprägt, und es müssten die nächsten Konjunkturindikatoren abgewartet werden, um die Konsequenzen des Brexit-Votums besser abschätzen zu können. Die Europäische Zentralbank (EZB) entscheidet im September das nächste Mal über den Leitzins für die Euro-Zone.

In Großbritannien steuert die Wirtschaft nach dem Votum für ein Ausscheiden aus der Europäischen Union dagegen auf den stärksten Konjunktureinbruch seit sieben Jahren zu. Experten rechnen daher damit, dass die britische Notenbank diesen Donnerstag ihren Leitzins senkt, um das Wachstum zu stützen.

In dem Interview plädiert Bundesbankchef Weidmann zudem dafür, bei möglichen Änderungen am großen Staatsanleihen-Kaufprogramm der EZB – im Fachjargon „QE“ genannt – das grundsätzliche Design der Käufe beizubehalten. Es gebe Anpassungsmöglichkeiten. „Wir müssen aus meiner Sicht aber sehr vorsichtig bei der Ausgestaltung sein“, sagte Weidmann, der das Programm generell kritisch sieht.

Die Länderquoten nach Kapitalanteilen an der EZB seien beispielsweise sinnvoll und zielten auf die Einheitlichkeit der Geldpolitik ab. „Verstärkt Anleihen von Ländern mit besonders hoher Verschuldung oder schlechterer Bonität zu kaufen, würde uns vom Kern unseres Mandats weiter entfernen.“


Kritik an Straffreiheit für Defizitsünder

Bislang orientiert sich die EZB bei den Anleihekäufen von 80 Milliarden Euro monatlich an ihrem Kapitalschlüssel. Das heißt, dass mehr Anleihen jener Länder aufgekauft werden, die der Notenbank mehr Eigenkapital zur Verfügung stellen. Dadurch entfällt ein großer Anteil der Käufe auf Bundesanleihen. Die EZB musste allerdings zuletzt immer mehr deutsche Schuldtitel für ihr Kaufprogramm wegen zu niedriger Zinsen ausschließen. Das Brexit-Votum hatte diesen Renditerückgang noch beschleunigt. Nach Einschätzung von Analysten drohen am Markt deshalb Bundesanleihen allmählich knapp zu werden.

Mit deutlichen Worten kritisiert Weidmann zudem, dass Spanien und Portugal trotz hoher Etatdefizite keine Strafen erhalten und attackiert damit indirekt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. „Regelverstöße müssen irgendwann Konsequenzen haben. Nach meiner Auffassung sind die Kommission und der Europäische Rat nicht konsequent genug“, erläuterte Weidmann im „Zeit“-Interview.

Die Finanzminister der Europäischen Union (EU) hatten Ende Juli entschieden, auf Strafzahlungen zu verzichten, die die entsprechenden Regeln eigentlich vorsehen. Dies geschah mit ausdrücklicher Billigung Schäubles, der sich dem Vernehmen nach um die Stabilität der Regierungen in beiden Ländern sorgte.

Weidmann sagt, durch ein solches Vorgehen würden „die Regeln zu einer Schönwetterveranstaltung und entfalten keine Bindungswirkung“. Zudem leide die Akzeptanz der EU bei den Bürgern wenn Regeln, „die wir uns gemeinsam gegeben haben, nicht eingehalten werden.“


Schützenhilfe für die Deutsche Bank

Den Vorwurf, von der Deutschen Bank gingen besonders hohe Risiken für die Finanzstabilität aus, wies der Bundesbankpräsident zurück. In diesem Sinne war eine Studie des Internationalen Währungsfonds interpretiert worden. Er äußere sich zwar aus Prinzip nicht zur Lage einzelner Institute, sagte Weidmann. Er glaube aber, dass die Studie des Währungsfonds fehlinterpretiert wurde. Sie habe „nicht die Solidität einzelner Banken untersucht, sondern deren Bedeutung für das internationale Finanzsystem“.

Es sei immer klar gewesen, dass sich wegen der Größe der Deutschen Bank und dem hohen Grad der Vernetzung mit anderen Finanzunternehmen mögliche Probleme des Geldinstituts auf die Stabilität des Gesamtsystems auswirken würden. „Die Deutsche Bank ist in hohem Maße systemrelevant, das war die Aussage des Berichts“, sagt Weidmann.

Allerdings stünden die Banken in Deutschland „vor Herausforderungen“, sagte Weidmann. Sie litten unter einer „strukturellen Ertragsschwäche“, und das Niedrigzinsumfeld schmälert die Erträge weiter. „Dieser Effekt wird in Zukunft stärker zutage treten, weil die Banken im Moment noch viele, früher vergebene, höher verzinste Kredite in ihren Büchern stehen haben“, prognostizierte der Notenbankpräsident.

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