Bundesbank-Präsident Jens Weidmann „Menschen sind nicht nur Sparer“

Die Kritik an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist zuletzt lauter geworden. EZB-Ratsmitglied Jens Weidmann, Chef der Bundesbank, wehrt sich, ohne Öl ins Feuer zu gießen – und verteidigt EZB-Präsident Draghi.

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Der Bundesbank-Präsident steht zu einer expansiven Geldpolitik – auch wenn er einzelne eingesetzte Werkzeuge kritisiert. Quelle: dpa

Düsseldorf Eine Äußerung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte jüngst für Aufregung unter Notenbankern in Frankfurt sowie professionellen Beobachtern von Bundesbank und Europäischer Zentralbank (EZB) ausgelöst. Schäuble hatte am Freitag vergangener Woche gesagt, dass die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank zur Hälfte die Umfrageerfolge und Wahlergebnisse der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) erkläre. Dies sei ein neues Niveau der politischen Kritik an der eigentlich unabhängigen Zentralbank, so der Vorwurf gegenüber Schäuble.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann – der im EZB-Rat über den geldpolitischen Kurs in der Euro-Zone mitentscheidet – geht in einem Interview mit der „Financial Times“ indirekt darauf ein. „Es ist nicht unüblich für Politiker, Meinungen zur Geldpolitik zu haben, aber wir sind unabhängig“, so Weidmann gegenüber der britischen Wirtschaftszeitung. Die Unabhängigkeit war bei der Schaffung der EZB vor allem auf Drängen Deutschlands zustande gekommen, da das Land gute Erfahrungen mit der ebenfalls unabhängigen Bundesbank gemacht hatte.

Die Kritik in Deutschland an der EZB entzündet sich vor allem daran, dass der Leitzins im März von 0,05 auf 0,0 Prozent gesenkt wurde und die anhaltende Niedrigzinspolitik zu geringen Sparerträgen auf Sparbüchern, Tagesgeldkonen oder Lebensversicherungsbeiträgen führe. CSU-Chef Horst Seehofer hatte zuletzt sogar gewarnt, dass die niedrigen Zinsen ein Ansteigen der Altersarmut wahrscheinlich machten.

Nach Ansicht Weidmanns zielt diese Debatte jedoch nicht auf die weiteren volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Geldpolitik. „Menschen sind nicht nur Sparer, sie sind auch Arbeitgeber, Steuerzahler und Kreditnehmer – und als solche profitieren sie vom niedrigen Zinsniveau“, so Weidmann. Finanzminister Schäuble hatte jedoch zuletzt auf die unterschiedliche Wahrnehmung einer realen Verzinsung von null Prozent hingewiesen: „3 Prozent Zins bei 3 Prozent Inflation ist nicht dasselbe wie 0 Prozent Zins bei 0 Prozent Inflation.“

In ähnlicher Weise argumentieren auch Befürworter des Kurses der Europäischen Zentralbank. So hat der Bund etwa immense Ersparnisse dadurch, dass er deutlich weniger Zinsen für frisch begebene Staatsanleihen begeben muss. Für zehnjährige Papiere sind derzeit Zinsen von jährlich 0,149 Prozent fällig.

Die Attacken auf die Europäische Zentralbank und deren Präsidenten Mario Draghi haben aber auch Verteidiger auf den Plan gerufen. Vor allem aus der SPD wird Draghi in Schutz genommen. „Die einseitige Debatte zur EZB in Deutschland beschädigt die Reputation dieser Institution, die sich als einzige in der Krise als durchgängig handlungsfähig erwiesen hat“, sagte Carsten Schneider, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Ein Reputationsverlust der EZB, die derzeit ja auch noch für die Bankenaufsicht zuständig ist, liege nicht im deutschen Interesse. „Der Finanzminister und die Politik insgesamt sind aufgerufen, die Unabhängigkeit der Geldpolitik zu verteidigen“, forderte Schneider.

Unterstützung für den Kurs Mario Draghis

Dem pflichtet auch der finanzpolitische Sprecher der SPD, Lothar Binding, bei. „Wenn man die Unabhängigkeit der EZB hochhält, darf man die Kritik nicht so scharf formulieren, dass es den Anschein hat, man wolle Geld- und Währungspolitik ändern“, sagte der SPD-Finanzexperte. Die Debatte über die Auswirkungen von Draghis Geldpolitik wird auch unter Sozialdemokraten geführt. Schließlich bekommen auch sie das Unbehagen der Wähler zu spüren, die für ihr Erspartes keine Zinsen mehr erhalten.

Schäuble selbst weiß um die Bedeutung der Unabhängigkeit und auch, dass der deutsche Geldpolitiker Otmar Issing das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank maßgeblich entwickelt hatte. Das Ziel einer Preissteigerung von knapp unter zwei Prozent zu erreichen, versucht die EZB derzeit durch die Nullzinsen, negative Einlagezinsen für Banken und Aufkäufe von Staatspapieren und bald auch Unternehmensanleihen zu erreichen.

Dennoch hält der Finanzminister die ultralockere Geldpolitik für riskant, weil sie neue Blasen und damit neuen Krisen auslösen könnte. „Das ist eine legitime Diskussion, die muss geführt werden“, hatte Schäubles Sprecher am Montag gesagt. Die Unabhängigkeit der Zentralbank dürfe aber nicht in Gefahr geraten, betonte er.

Weidmann hat zwar selbst immer wieder die extrem gelockerte Geldpolitik kritisiert. Doch die Preise in der Euro-Zone sind zuletzt gefallen (in Deutschland gab es nur ein leichtes Plus von 0,3 Prozent im März), die Sorge vor einer Deflation – einer Abwärtsspirale aus fallenden Preisen – nicht ausgeräumt. „Die EZB muss ihr Mandat der Preisstabilität erreichen und insofern ist eine expansive Geldpolitik zu diesem Zeitpunkt angemessen“, so Weidmann zur „FT“. Das sei unabhängig davon richtig, ob es unterschiedliche Ansichten über spezifische Werkzeuge gebe. Eine solche öffentliche Unterstützung für den Kurs Draghis, dürfte in der EZB gerne gesehen werden.

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