Die Bundesregierung sieht angesichts der aktuellen Spannungen im deutsch-türkischen Verhältnis im Moment keinen Anlass, die Türkei wirtschaftlich zu unterstützen. Es gebe zur Zeit neben der Verhaftung des Journalisten Deniz Yücel noch eine Reihe von Problemfeldern, „das lässt uns halt zurückhaltend sein, was Diskussionen über Wirtschaftshilfen angeht“, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin.
Kritisch sieht die Bundesregierung nach seinen Worten auch die jüngsten Massenfestnahmen. Der Sprecher sagte, die Aufklärung des Putsches vom vergangenen Juli sei zwar wichtig. Es sei aber schwer zu glauben, „dass so eine lange Zeit nach dem Putsch die Verhaftung von 1000 Personen wirklich verhältnismäßig sein soll“.
Bei einer Großrazzia gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung in den Reihen der Polizei waren laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Anadolu 1009 Menschen festgenommen worden. Die Regierung macht den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen und seine Anhänger für den fehlgeschlagenen Putschversuch verantwortlich.
Das ist die Gülen-Bewegung
Der heute 75-jährige Prediger Fethullah Gülen hat sich ursprünglich als einflussreicher islamischer Prediger einen Namen gemacht. Bis in die Achtzigerjahre hinein wirkte er als Iman in verschiedenen türkischen Städten. Mit seinen Predigten und Büchern über den Islam, über Bildungs- und Wissenschaftsfragen soziale Gerechtigkeit und interreligiösen Dialog begeisterte Gülen viele Gläubige. Seit 1999 lebt der gesundheitlich angeschlagene Prediger im US-Staat Pennsylvania. Er war nach einer Anklage wegen staatsgefährdender Umtriebe emigriert.
Gülen steht hinter der Bewegung Hizmet („Dienst“). Hizmet sieht einen ihrer Schwerpunkte in der Verbesserung von Bildungschancen.
Für die meisten innenpolitischen Krisen macht Präsident Recep Tayyip Erdogan seit längerem die mächtige Bewegung Gülens mitverantwortlich. Erdogan wirft seinem einstigen Verbündeten vor, einen Staat im Staate errichten zu wollen und seinen Sturz zu betreiben. Die Regierung geht massiv gegen mutmaßliche Gülen-Anhänger vor, die sie vor allem bei der Polizei und in der Justiz vermutet. Die Gülen-Bewegung wurde zur Terrrororganisation erklärt, viele ihrer führende Köpfe stehen auf einer Liste der meistgesuchten Terroristen der Türkei.
Der „Welt“-Korrespondent Yücel sitzt seit Februar in Untersuchungshaft. Ihm werden Terrorpropaganda und Volksverhetzung vorgeworfen. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte deutschen Politikern während der Kampagne für die Verfassungsreform Nazi-Methoden vorgeworfen.
Vize-Regierungschef Mehmet Simsek hatte im Gespräch mit der „Bild“-Zeitung diese Woche dafür geworben, wieder zur Normalität zurückzukehren. Die angeschlagene türkische Wirtschaft müsse wieder auf die Beine kommen, „dafür brauchen wir Deutschland“.