Chancen in Fernost Deutsche machen gute Geschäfte in Vietnam

Trotz massivem Staatseinfluss profitieren Investoren in Vietnam von hohen Wachstumsraten – vor allem wegen gut ausgebildeter Arbeitskräfte und niedriger Lohnkosten.

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Hanoi Quelle: dpa

Zum Ende seiner drei Jahre als Manager in Vietnam ließ sich Frank Hopfenbach noch einmal auf den extremen Alltag des Gastlandes ein: Er zwängte sich auf den Beifahrersitz eines der 40-Tonnen-Trucks, die für die Messer Group aus Bad Soden am Taunus Industriegase quer durch Vietnam karren.

48 Stunden brauchte der Tanklaster von seiner CO2-Rückgewinnungsanlage im Süden bis in die Hauptstadt Hanoi. Hopfenbach döste nachts auf einer Hängematte im Führerhaus und spürte nach 1550 Kilometer Schlaglochpiste: „Da tut einem ganz schön der Hintern weh.“

Trotzdem war der Ritt durchs Land aufschlussreich: „Man sieht, wie sich Vietnam entwickelt“, sagt Hopfenbach. Zwar käme man über Land meistens nur mit Tempo 40 voran, aber im Umfeld der Industriegebiete lasse die Regierung ordentliche Straßen teeren. Vor allem aber war der Manager vom geringen Ausmaß der Alltagskorruption überrascht: „Sie haben uns nur einmal angehalten – und da mussten wir nicht einmal Schmiergeld zahlen.“

Glück gehabt? Oder ist Vietnam am Ende gar nicht so korrupt, wie es der Index von Transparency International vermuten ließe, wo das Land von 175 getesteten Ländern auf Platz 116 rangiert – auf einem Niveau mit Ländern wie Albanien oder Sierra Leone?

Fest steht, dass viele deutsche Unternehmen in Vietnam Geschäfte machen, auch wenn sie oft schwerfällig anlaufen. Hopfenbach hat in seinen drei Jahren in Hanoi zwei Luftzerlegungsanlagen gebaut, die Luft in seine Bestandteile Stickstoff, Sauerstoff und Argon trennen. Gase also, die in der Industrie Verwendung finden, unter anderem auch in einer Lebensmittelfabrik in der Nähe von Ho-Chi-Minh-Stadt.

Vietnam

Im Moment boomt vor allem die Elektronikindustrie. Südkoreas Hersteller LG hat gerade eine halbe Milliarde Euro in eine Fabrik für Haushaltswaren investiert; Samsung öffnete im Frühjahr ein Werk, in dem demnächst 300,000 Handys montiert werden. Anfang Juli gab der südkoreanische Konzern bekannt, eine Milliarde Dollar in eine Display-Fabrik im Norden zu stecken.

Steigende Löhne in China verleiten Samsung seit 2009, immer mehr Kapazitäten in Vietnam aufzubauen – selbst chinesische Hersteller wie der Computerhersteller Lenovo oder der Telekommunikationsausrüster Huawei folgen dem Beispiel.

Rund 300 deutsche Unternehmen sind in Vietnam vor Ort, Tendenz stark steigend. Mercedes montiert nahe Ho-Chi-Minh-Stadt erstmals außerhalb Deutschlands die S-Klasse: Die Teile kommen per Container aus Europa, in Vietnam werden die Autos für Südostasien endmontiert.

In diesem Jahr stecken die Schwaben zehn Millionen Dollar in den Bau der Montagelinie, wo bald auch Lkws der Marke Fuso gebaut werden sollen. „Wir sind weniger wegen niedriger Löhne hier, denn die sind gerade bei der S-Klasse ein geringer Kostenfaktor“, sagt Michael Behrens, der Landeschef von Mercedes-Benz. „Vietnam verfügt über sehr gut ausgebildete Facharbeiter, die nicht wie in anderen asiatischen Ländern von heute auf morgen einfach kündigen.“ Hohe Steuern und Zölle forcieren natürlich auch die Lokalisierung: In der Region kosten die meisten Import-Fahrzeuge doppelt so viel wie in Europa.

Bruttoinlandsprodukt in Vietnam, Konsumentenpreise in Vietnam

Investoren schwärmen

Als Absatzmarkt ist Vietnam mit seinen 90 Millionen Einwohnern aber zu klein. Darum versuchen Autobauer und erst recht deren Zulieferer, von dort aus in andere Länder Südostasiens zu exportieren. Pepperl + Fuchs, der Mannheimer Hersteller von Sensoren für die Fabrikautomatisierung, produziert in seiner Fabrik in Vietnam auch für China.

Neben Verfügbarkeit von Personal nennt Landeschef Evert Helms die Infrastruktur als Grund für die Ansiedlung: „Wir haben uns hier in der Sonderwirtschaftszone ohne Zölle niedergelassen. Hier sorgt der Staat für alles, einschließlich der Feuerwehr.“ Mittelfristig will er statt Sensoren für Fahrstühle auch hochmoderne Ultraschalltechnologie in Ho-Chi-Minh-Stadt fertigen lassen. Am geistigen Eigentum vergreifen sich Vietnamesen für gewöhnlich seltener als die ehrpusseligen Wettbewerber in China.

Vom Ausbildungsstand der Vietnamesen schwärmen viele Investoren aus Deutschland. ThyssenKrupp etwa hat im Land nicht nur acht Zementanlagen mit lokalen Fachleuten errichtet, sondern auch zwei Ingenieurbüros aufgebaut: „Die Kollegen sind in unsere internationalen Teams integriert“, sagt Landeschefin Silke Klausen, „wir machen uns so den Pool an gut ausgebildeten Leuten zunutze.“ Aus einem ähnlichen Grund stellt Siemens südlich von Ho-Chi-Minh-Stadt Stromschienen her, die in 25 asiatischen Ländern zum Einsatz kommen.

"Preußen Asiens"

Siemens würde gern weiter gehen – und in Vietnam Fachkräfte für ganz Asien ausbilden. Allerdings warten die Deutschen seit acht Monaten auf eine Genehmigung für ein Ausbildungszentrum; Landeschef Thai Lai Pham weiß auch nicht genau, warum. Wenn die Bayern ein Diagnostikgerät verkaufen, müssen sie eine Lizenz beantragen – und zwar für jedes jener 800 medizintechnischen Produkte, die im Jahr nach Vietnam gehen. „Und bei diesem hohen Maß an Bürokratie fragen uns die Behörden dann allen Ernstes, warum wir nicht mehr investieren“, sagt Thai Lai Pham.

Als „Preußen Asiens“ werden die Vietnamesen oft tituliert. Doch noch so viele kluge und gute Leute können nicht wettmachen, woran Vietnam krankt: Ineffizienz, Bürokratie, Korruption – allesamt Faktoren, derentwegen das Land im Mittelfeld des „Doing-Business-Ranking“ der Weltbank auftaucht, hinter Russland und China, weit ab von Konkurrenzstandort Thailand.

Bremsklotz der Entwicklung

Größter Bremsklotz der Entwicklung ist die verschleppte Privatisierung: Staatsbetriebe wie die energieintensiven Stahlerzeuger sind nicht nur wenig wettbewerbsfähig, sondern belasten mit ihren Verlusten den defizitären Staatshaushalt. Zusammen mit den Schulden der Unternehmen steht das Land zu über 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei Gläubigern in der Kreide, was wenig Spielraum für staatliche Investitionen lässt.

Mit dem Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO im Jahr 2007 hat die kommunistische Regierung in Hanoi versprochen, die Wirtschaft radikal zu entstaatlichen – und die Hälfte der momentan 4000 staatlichen Unternehmen zu verkaufen. Nur hat sich bis heute nichts getan. Dabei fällt fast jeder der Staatsbetriebe durch eklatante Ineffizienz auf. An die Privatisierung wagt sich die Regierung nicht: Unternehmen könnten ja Mitarbeiter entlassen, wenn sie den Druck des Marktes spüren.

Politik und Wirtschaft

Hinzu kommt die landesübliche Vetternwirtschaft: Jeder hohe Beamte sitzt auch in irgendeiner Chefetage eines Staatsbetriebs. Im real existierenden Sozialismus sind Politik und Wirtschaft so eng verflochten und so lukrativ, dass Privatisierung in niemandes Interesse ist.

Dennoch tobt im Land ein Machtkampf zwischen der Kommunistischen Partei und dem Ministerpräsidenten Nguyen Tan Dung, von dem es auch heißt, er sei einer der reichsten Männer in Vietnam. In der Öffentlichkeit tritt er mit Vertretern der Wirtschaft auf, verspricht die Öffnung und Deregulierung des Staats, um politisch zu punkten.

Korruption

Derweil kommt an Korruption praktisch kein Unternehmer vorbei. „Eine Schmiergeldzahlung für Baugenehmigungen erwarten die Beamten in Vietnam einfach“, heißt es in der deutschen Diaspora in Hanoi. Das Problem lösen die Investoren zumeist, indem sie lokale Anwälte gegen Honorar mit der Beschaffung von Genehmigungen beauftragen.

„Vietnam ist sicherlich kein einfacher Markt“, sagt Hubertus Pleister, der aus Singapur die Asienabteilung der KfW-Tochter DEG leitet. Ein nicht unwesentliches Problem: Ausländische Banken können keinen Grund und Boden als Sicherheiten erhalten, denn der gehört dem Staat. Außerdem habe man es in Vietnam mit einem wenig ausgebildeten Rechtssystem zu tun, auch die Sprache stelle eine große Schwierigkeit dar. „Trotz durchaus vorhandener Chancen fällt es Ausländern nicht leicht, Risiken in diesem Land adäquat einzuschätzen“, sagt Pleister, dessen DEG in Vietnam unter anderem die Expansion des deutsch-chinesischen Lederherstellers Jsa Tan Tec und einen lokalen Windparkbetreiber finanziert.

Alltag in Vietnam

Auch für Frank Hopfenbach ist Vietnam kein Selbstläufer gewesen – wiewohl der Lkw-Trip vom Süden in den Norden ohne Komplikationen ablief. Doch dass Gaslieferant Messer überhaupt sieben der zehn eigenen Auflieger quer durchs Land kurven lassen muss, hat einen Grund: Neben seiner CO2-Anlage nördlich von Ho-Chi-Minh-Stadt steht eine Bioethanol-Fabrik still, die eigentlich längst hätte in Betrieb sein sollen.

Die Regierung hat entgegen der Zusagen bis heute keinen Biokraftstoff eingeführt, womit der Businessplan der Deutschen nicht funktioniert. „Wir hatten geplant, dass wir das CO2 aus dieser Anlage einfach nebenan nachreinigen und an Kunden der Nahrungsmittelindustrie verkaufen“, erläutert Manager Hopfenbach.

Pepsi und Coca-Cola beziehen Kohlendioxid von den Hessen, die das Gas so rein liefern, wie es kein lokaler Hersteller kann. Da Messer das Gas erst teuer von Kunden im Norden herankarren muss, sinken die Profite – und die Fabrik ist nur zu 40 Prozent ausgelastet. „Außerdem belasten die Fahrten über die Schlaglochpisten unser Transportgerät“, sagt Hopfenbach. Wie sich der Alltag in Vietnam anfühlt, weiß er nun.

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