Weiter auf der Angstwelle vor China surft der frühere Peking-Korrespondent der WirtschaftsWoche, Frank Sieren. Beschrieb er in seinen bisherigen Büchern („Der China-Code“, „Der China-Schock“) das wiedererstarkte Reich der Mitte, variiert er das Thema in seinem neuesten Buch „Angst vor China“ ein wenig:
Im Vordergrund steht nicht die Analyse des chinesischen Aufstiegs, sondern, so der Untertitel, „Wie die neue Weltmacht unsere Krise nutzt“.
Schwächen Chinas ausgeblendet
Mit uns meint Sieren mal die Deutschen, weil sie aus der Kernenergie aussteigen, während die Chinesen aussichtsreiche deutsche Kerntechnik weiterentwickeln. Mal sind die Europäer oder die Amerikaner gemeint, die den Chinesen die Technologien für den Bau von Großflugzeugen liefern und sie so als Konkurrenten erst richtig stark machen. Mal ist es der Westen insgesamt, der durch die Finanzkrise mehr und mehr in die Abhängigkeit vom chinesischen Banker gerät.
Sieren legt viele Fakten vor, das macht das Buch lesenswert. Doch geht es meist nicht über anekdotische Evidenz hinaus. Anders als der Titel suggeriert enthält das Buch keine systematische Stärke-Schwäche-Analyse, weder für Deutschland, Europa oder die USA noch für China.
Während Sieren lustvoll die Schwächen des Westens auf Korn nimmt, blendet er die endogenen Risiken und Schwächen Chinas, ähnlich wie Subramanian, systematisch aus. Trendbrüche sind in seiner Sicht ausgeschlossen, für China zumindest.
China-Versteher
Das kann dennoch ganz informativ sein. Beim Thema Menschenrechte jedoch wird seine prochinesische Haltung problematisch. So macht er indirekt westliche Politiker oder das Nobelpreiskomitee mitverantwortlich für das harte Vorgehen der chinesischen Behörden gegen Oppositionelle, etwa im Fall des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo oder des Künstlers Ai Weiwei.
Eine kleine Gruppe konservativer Politiker in der Führung nutze die westliche Kritik an den chinesischen Menschenrechtsverletzungen zum Rollback gegen die Reformer. Sieren macht sich deshalb die Position der Chinesen zu eigen, die sich jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas verbitten. Allenfalls "hinter verschlossenen Türen" sei Kritik statthaft.
"Wandel durch Annährung"
Und wenn ein Chinese den Nobelpreis verdient hätte, dann der Reformer Wen Jiaobao.
In solchen Passagen mutiert Sieren vom distanzierten China-Experten zum willfährigen China-Versteher. Dann klingt er wie weiland die Appeasementpolitiker, die glaubten, die aufsteigende Macht durch Entgegenkommen und Verständnis schon in die richtigen Bahnen lenken zu können.
Die westliche Politik solle sich im Umgang mit China an Willy Brandts Ostpolitik „Wandel durch Annäherung“ orientieren, meint Sieren denn auch und ruft Egon Bahr zu seinem Kronzeugen auf. Eine historisch einseitige Sicht. Als wäre die UdSSR allein durch Willy Brandts liebevolle sozialdemokratische Umarmung in die Knie gegangen und nicht gleichzeitig auch dadurch, dass sie sich auf das Wettrüsten mit Ronald Reagan einließ und wirtschaftlich ausblutete.