China Zwischen Kritik und Kniefall

Wie kann der Aufstieg Chinas den westlichen Ländern nützen? Damit befasst sich Frank Sieren in seinem Buch. Was das Buch lesenswert macht, obwohl es auch in die falsche Richtung argumentiert.

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Chinesische Bedienungen in der Kleidung der Qing-Dynastie (1644-1912) Quelle: dpa

Weiter auf der Angstwelle vor China surft der frühere Peking-Korrespondent der WirtschaftsWoche, Frank Sieren. Beschrieb er in seinen bisherigen Büchern („Der China-Code“, „Der China-Schock“) das wiedererstarkte Reich der Mitte, variiert er das Thema in seinem neuesten Buch „Angst vor China“ ein wenig:

Im Vordergrund steht nicht die Analyse des chinesischen Aufstiegs, sondern, so der Untertitel, „Wie die neue Weltmacht unsere Krise nutzt“. 

Schwächen Chinas ausgeblendet

Mit uns meint Sieren mal die Deutschen, weil sie aus der Kernenergie aussteigen, während die Chinesen aussichtsreiche deutsche Kerntechnik weiterentwickeln. Mal sind die Europäer oder die Amerikaner gemeint, die den Chinesen die Technologien für den Bau von Großflugzeugen liefern und sie so als Konkurrenten erst richtig stark machen. Mal ist es der Westen insgesamt, der durch die Finanzkrise mehr und mehr in die Abhängigkeit vom chinesischen Banker gerät.

Stärken und Schwächen der BRIC-Staaten
Die Skyline der Millionen-Metropole Shanghai, China Quelle: REUTERS
Leute shoppen auf den Straßen von Sao Paulo, Brasilien Quelle: dapd
Der ehemalige brasilianische Präsident Lula da Silva mit ölverschmierten Händen auf einer Ölplattform vor Bacia De Campos Quelle: dpa
Indien befindet sich laut einer Studie der Weltbank zu den Rahmenbedingungen für unternehmerische Tätigkeiten nur auf Platz 132. Genehmigungen, Kredite bekommen, Vertragseinhaltung - alles ist auf dem Subkontinent mit erheblichen Aufwand und Unsicherheiten verbunden. Hinzu kommt Korruption, eines der größten Probleme für das Land. Transparency International listete Indien im Jahr 1999 noch auf Patz 72, elf Jahre später ist das Land auf Platz 87 im Korruptionsindex abgerutscht. Nicht nur für die ausländischen Unternehmen ist Korruption ein Ärgernis, weil sie stets fürchten müssen, dass Verträge nicht eingehalten werden. Korrupte Beamte und Politiker sind auch eine enormes Problem für die mittleren und unteren Schichten, denen schlicht das Geld zur Bestechung fehlt. Um öffentliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die den Bürgern per Gesetz zustehen, müssen laut Transparency International mindestens 50 Prozent ihrer Befragten Bestechungsgelder zahlen. Der volkswirtschaftliche Schaden ist immens. Analysten gehen davon aus, dass die Direktinvestitionen in Indien um ungefähr 31 Prozent zurückgegangen sind und aus dem indischen Aktienmarkt etwa 1,4 Milliarden Euro abgezogen worden sind. Besonders brisant: nach einer Studie der Washingtoner Global Financial Integrity Organisation leitete die Liberalisierung und Markt-Deregulierung im Jahr 1991 die Hochzeit der Korruption und des illegalen Geldtransfers ein. Im Bild: Der Antikorruptions-Aktivist, Anna Hazare, im August 2011 in Neu Delhi. Hazare ging für zwölf Tage in einen Hungerstreik, um gegen die grassierende Korruption seines Landes zu protestieren. Tausende Sympathisanten unterstützen den Aktivisten bis zum Schluss seiner Aktion. Quelle: dapd
Verkehrsstau auf dem Delhi-Gurgaon Expressway, in Neu Delhi, Indien. Quelle: AP
Im Bild: eine Fabrikarbeiterin in einer Textilfabrik aus der Provinz Anhui, China. Quelle: REUTERS
Im Bild: Ein Eierverkaufsstand in Jiaxing, Zhejiang Provinz. Quelle: REUTERS

Sieren legt viele Fakten vor, das macht das Buch lesenswert. Doch geht es meist nicht über anekdotische Evidenz hinaus. Anders als der Titel suggeriert enthält das Buch keine systematische Stärke-Schwäche-Analyse, weder für Deutschland, Europa oder die USA noch für China.

Während Sieren lustvoll die Schwächen des Westens auf Korn nimmt, blendet er die endogenen Risiken und Schwächen Chinas, ähnlich wie Subramanian, systematisch aus. Trendbrüche sind in seiner Sicht ausgeschlossen, für China zumindest.

China-Versteher

Wen Jiabao Quelle: REUTERS

Das kann dennoch ganz informativ sein. Beim Thema Menschenrechte jedoch wird seine prochinesische Haltung problematisch. So macht er indirekt westliche Politiker oder das Nobelpreiskomitee mitverantwortlich für das harte Vorgehen der chinesischen Behörden gegen Oppositionelle, etwa im Fall des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo oder des Künstlers Ai Weiwei.

Eine kleine Gruppe konservativer Politiker in der Führung nutze die westliche Kritik an den chinesischen Menschenrechtsverletzungen zum Rollback gegen die Reformer. Sieren macht sich deshalb die Position der Chinesen zu eigen, die sich jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas verbitten. Allenfalls "hinter verschlossenen Türen" sei Kritik statthaft.

"Wandel durch Annährung"

Und wenn ein Chinese den Nobelpreis verdient hätte, dann der Reformer Wen Jiaobao.

In solchen Passagen mutiert Sieren vom distanzierten China-Experten zum willfährigen China-Versteher. Dann klingt er wie weiland die Appeasementpolitiker, die glaubten, die aufsteigende Macht durch Entgegenkommen und Verständnis schon in die richtigen Bahnen lenken zu können.

Die westliche Politik solle sich im Umgang mit China an Willy Brandts Ostpolitik „Wandel durch Annäherung“ orientieren, meint Sieren denn auch und ruft Egon Bahr zu seinem Kronzeugen auf. Eine historisch einseitige Sicht. Als wäre die UdSSR allein durch Willy Brandts liebevolle sozialdemokratische Umarmung in die Knie gegangen  und nicht gleichzeitig auch dadurch, dass sie sich auf das Wettrüsten mit Ronald Reagan einließ und wirtschaftlich ausblutete.

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