Es ist noch ein weiter Weg bis Jamaika: Zwischen den möglichen Koalitionspartnern Union, FDP und Grünen gibt es viele Bereiche, in denen die Ziele und Leitlinien auseinandergehen – gerade in der Haushaltspolitik. Die einen fordern sinkende Steuern, andere deutlich höhere Ausgaben für Familien, den Gesundheitssektor und die vielerorts marode Infrastruktur. Diese Forderungen treffen auf den Widerstand derjenigen Politiker, die auch in dieser Legislaturperiode einen ausgeglichenen Haushalt sicherstellen wollen.
Die Bürger haben für alle diese Ziele durchaus Verständnis. Sie unterstützen mehrheitlich jede dieser Forderungen – zumindest, solange sie unabhängig voneinander zur Diskussion gestellt werden und nicht im Konflikt miteinander stehen. Das Problem ist nur: Bei einer Umsetzung aller Ausgaben- und Entlastungswünsche wäre ein ausgeglichener Haushalt nicht zu erreichen, die schwarze Null also Geschichte. Hier bezieht die überwältigende Mehrheit klar Position; sie folgt keineswegs der Argumentation, dass ein Verzicht auf neue Schulden unproblematisch wäre: Drei Viertel halten es für wichtig oder sogar sehr wichtig, dass Deutschland auch künftig einen ausgeglichenen Haushalt erreicht. Die große Mehrheit unterstützt auch die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse für Bund und Länder.
Gleichzeitig wünscht sich die Mehrheit Steuersenkungen, insbesondere die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. In den vergangenen zehn Jahren war zwar immer eine Mehrheit für ein Ende des Soli, aber noch nie war die Unterstützung für diese Forderung so groß wie zurzeit. Vor vier Jahren sprachen sich 55 Prozent für das Ende des Solis aus – aktuell 72 Prozent.
Zur Autorin
Renate Köcher ist Geschäftsführerin des Instituts für Demoskopie Allensbach und Mitglied des Aufsichtsrates mehrerer Dax-Unternehmen.
Die Prioritäten der Bürger werden deutlich, wenn verschiedene Ziele miteinander konkurrieren. In den vergangenen Jahren ist das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts nie ernsthaft infrage gestellt worden. Streit entzündete sich jedoch an der Frage, wofür die Mehreinnahmen des Staates verwendet werden sollen: für den Schuldenabbau, für Steuersenkungen oder für zusätzliche Investitionen. Auch die Bürger sind sich in dieser Frage uneinig, plädieren aber am ehesten für mehr Investitionen. 47 Prozent sprechen sich für mehr Ausgaben für Bildung, Verkehrs- und Betreuungsinfrastruktur aus, während 32 Prozent fordern, die Überschüsse im Staatshaushalt vor allem für Steuersenkungen zu nutzen. 23 Prozent räumen hingegen dem Abbau von Staatsschulden Priorität ein.
Vor allem im Bildungssektor halten die meisten die bisherigen Anstrengungen des Staates für unzureichend. Die Bürger wissen, dass die Zukunft des Landes auch von einem hervorragenden Bildungssystem abhängt, und die Mehrheit ist überzeugt, dass der Staat dem bisher unzureichend Rechnung trägt. Bund und Länder sind hier also gefordert, mehr zu investieren. Wenn die Bürger auflisten, wo der Staat mehr investieren müsste, steht ganz oben die Ausstattung von Schulen. Es folgen der Gesundheitssektor, die Polizei und die Kinderbetreuung. Auch im Hinblick auf die Renten, die Forschungsförderung und die Ausstattung von Universitäten, auf den Umweltschutz und die Verkehrsinfrastruktur hält die große Mehrheit mehr staatliches Engagement für wünschenswert.
Soli und Subventionen: Kernpunkte der Jamaika-Haushaltssondierungen
Die Jamaika-Unterhändler bekennen sich grundsätzlich zum ausgeglichenen Haushalt. Sie wollen also keine neuen Schulden aufnehmen. Das wäre ohnehin schwierig, weil die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse dem Bund seit 2016 die Aufnahme von Krediten weitgehend verwehrt. Nur in geringem Umfang von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung sind neue Schulden erlaubt. Bezogen auf das Bruttoninlandsprodukt 2016 entsprach das etwa 10,97 Milliarden Euro. Für „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen“ ist ausnahmsweise auch eine höhere Schuldenaufnahme erlaubt, für die aber ein Tilgungsplan erstellt werden muss.
Die potenziellen Koalitionäre wollen keine neuen Substanzsteuern, schließen also die im Grünen-Wahlprogramm geforderte Vermögenssteuer aus. Für Union und FDP ist sie ein rotes Tuch. Auch eine Erhöhung der Erbschaftsteuer wäre wohl unwahrscheinlich. Andere Substanzsteuern wie etwa die Grundsteuer auf Grundstücke erhebt der Staat schon heute.
Hier sollen unter anderem Familien mit Kindern profitieren.
Die verhandelnden Parteien wollen den „Soli“ abbauen. Die FDP will ihn in der aktuellen Wahlperiode komplett abschaffen, und zwar möglichst schnell. Die Union will stufenweise vorgehen. Die Grünen halten das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne den Soli hingegen nicht für machbar. Die Abschaffung würde eine Lücke in den Staatshaushalt reißen: Der Solidaritätszuschlag spülte 2016 insgesamt 16,9 Milliarden Euro in die Staatskasse.
Gebäude verursachen in Deutschland etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 30 Prozent des Ausstoßes des Treibhausgases CO2. Investitionen zum Beispiel in eine bessere Wärmedämmung oder in moderne Heizkessel könnten in Zukunft besser von der Steuer abgesetzt werden.
Hier wollen die möglichen Jamaika-Partner den Mangel an Mietwohnungen angehen. Investoren könnten dann etwa ihre Kosten teilweise steuerlich absetzen. Auch landwirtschaftliche Flächen sollen dazu für den Wohnungsbau freigegeben werden.
Vor allem Unternehmen sollen die Anschaffungskosten für bewegliche Wirtschaftsgüter wie Maschinen oder Fahrzeuge stärker von der Steuer absetzen können. „Degressiv“ bedeutet, dass Güter mit längerer Nutzungsdauer in immer geringerem Umfang abgesetzt werden können. AfA steht für „Absetzung für Abnutzungen“.
Firmen, die in Forschung und Entwicklung investieren, sollen ihre Aufwendungen zum Teil steuerlich absetzen können.
Auf Betreiben der Grünen sollen vor allem staatliche Hilfen auf den Prüfstand, die den Klimazielen widersprechen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer nannte als mögliches Beispiel aber auch die Förderung von Elektroautos, weil davon vor allem Besserverdiener profitieren würden.
Klare Vorstellungen
Allerdings: Selbst wenn die Politik nur einen Teil dieser Forderungen umsetzt und zugleich neue Schulden vermeiden will, muss sie Ausgaben kürzen. Auch hier haben die Bürger klare Vorstellungen.
Dabei fällt allerdings auf, dass Kürzungsmöglichkeiten vor allem da gesehen werden, wo die meisten selbst nicht betroffen sind: bei den Hilfen an verschuldete Euro-Länder und bei Beamtenpensionen, bei der Förderung der neuen Bundesländer, Subventionen für einzelne Wirtschaftszweige und den Ausgaben für die Unterbringung und Integration von Flüchtlingen.
Die Ausgaben für die Bundeswehr, für Arbeitslosenunterstützung und Kultureinrichtungen sehen immerhin rund vier von zehn Bürgern als Streichposten.
Keine Angst vor Einschnitten
Durch die gute Konjunktur der vergangenen Jahre und die sprudelnden Steuereinnahmen ist jedoch kaum ernsthaft über Einsparungen und Umverteilungen in den öffentlichen Haushalten diskutiert worden.
Dass sich die Bürger zu Beginn einer Legislaturperiode fürchteten, es könne zu nennenswerten Einschnitten kommen, die sie auch persönlich betreffen, liegt mittlerweile zwölf Jahre zurück. Und auch in der kommenden Legislaturperiode können sich die Bürger in dieser Hinsicht entspannen: Es wird in erster Linie um die Frage gehen, wie weit und wo die Ausgaben steigen, ob es zu einer nennenswerten Entlastung der Bürger kommt – und ob das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts dafür zurückgestellt wird.
Zunächst haben sich alle potenziellen Koalitionäre zur schwarzen Null bekannt.