Denkfabrik Was wir von den Webern des 19. Jahrhunderts lernen können

Spaltet der technische Fortschritt die Arbeitswelt in digitale Gewinner und Verlierer? Das muss nicht sein. Die Digitalisierung ist eine Jahrhundertchance.

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Wie auch schon bei der Erfindung des mechanischen Webstuhls könnte auch die Digitalisierung zu einer sozialen Revolution führen. Quelle: dpa

Vernichten die neuen digitalen Technologien die Arbeit, wie wir sie bisher kannten? Tatsächlich sprechen zahlreiche Studien für das Ende der traditionellen Arbeitswelt. Jobs, die uns über Jahrzehnte Sinn, Selbstwert und materielle Sicherheit verliehen haben, scheinen nun durch immer leistungsfähigere Computer ersetzt werden zu können.

Nach dem digitalen Siegeszug bei manueller Arbeit dringt die digitale Technologie mit wachsendem Tempo auch in die Wissensarbeit ein. Vorerst sind es Routinetätigkeiten, die in Feldern wie der Medizin, der Buchhaltung oder dem Management automatisiert werden. Aufgrund der großen Fortschritte der künstlichen Intelligenz dürften jedoch bald auch komplexere Aufgaben an Maschinen abgegeben werden können.

Jede Revolution bringt einen sozialen Umbruch

Als jüngst das Computerprogramm AlphaGo die weltbesten Spieler des strategischen Brettspiels Go besiegte, bekam man einen Eindruck davon, was künstliche Intelligenz zu leisten vermag. Und es ist bezeichnend, dass das Silicon Valley mit GAFA (Google, Apple, Facebook, Amazon) und NATU (Netflix, Airbnb, Tesla, Uber) eine führende Rolle in der Automatisierung der Arbeit übernommen hat – alles Unternehmen, die im Vergleich zu ihrem Firmenwert wenig Arbeitsplätze schaffen.

Zur Person

Spaltet sich die Arbeitswelt also in zwei Lager, wie es die Wiener Technologieexpertin Isabella Mader beim Peter Drucker Forum 2015 in Wien beschrieben hat? Gibt es am Ende wenige Privilegierte, die „oberhalb des Algorithmus“ arbeiten, und die Massen, die von den Algorithmen gemanagt werden? Eine solche Vision passt gut zu den pessimistischen Prognosen mancher Ökonomen über eine Jahrhundertstagnation.

Doch realistischer ist eine andere Sichtweise. Zahlreiche Ökonomen haben dargelegt, dass bisher jede technologische Revolution einen sozialen Umbruch im Gepäck hatte – jedoch letztlich mehr Arbeitsplätze schuf, als sie vernichtete. Als zu Beginn der industriellen Revolution in England viele Weber die automatischen Webstühle zertrümmerten, hielt das die Fabrikanten nicht davon ab, in diese neue Technologie zu investieren.

Niemand konnte vorhersehen, dass die Zahl der Weber sich in den nächsten Jahrzehnten vervierfachen würde. Denn als die Produktionsleistung pro Weber pro Stunde um den Faktor 50 stieg, schufen die radikal gesunkenen Preise neue Massenmärkte für Textilien. Noch deutlicher war dieses Phänomen bei der Schaffung neuer Industriezweige und Infrastrukturen wie etwa Straßen- und Stromnetze.

Nicht die Technologie gestaltet die Zukunft, sondern Menschen

Weshalb sollte es heute anders sein? 7,5 Milliarden Menschen auf dem Globus haben enorme vitale Bedürfnisse, die gestillt werden wollen. Die Einzigartigkeit der digitalen Technologie besteht darin, dass sie einen geradezu unbegrenzten Spielraum zur Neugestaltung aller Lebens- und Wirtschaftsbereiche liefert. Hier liegt eine Jahrhundertchance. Nicht die Technologie gestaltet unsere Zukunft, sondern es sind letztlich immer Menschen, die die Weichen stellen. Peter Drucker hat dies bereits 1967 auf den Punkt gebracht: „Die wichtigsten Fragen, die Technologie betreffen, sind nicht technische, sondern menschliche Fragen.“

Stufen der industriellen Entwicklung

Unser Denken und Handeln ist freilich noch tief im Industriezeitalter verwurzelt. Calestous Juma, Professor an der Harvard Kennedy School, beschreibt in seinem neuen Buch „Innovation and its Enemies“ die Mechanismen, die hier am Werk sind. Die Schere zwischen Technologien, die sich in exponentieller Weise beschleunigen, und gesellschaftlichen Institutionen, die sich im Schneckentempo bewegen (sowie Gruppeninteressen, die sich gegen Neuerungen stellen), droht weiter aufzugehen.

Nötig ist eine Portion Mut

Um hier gegenzusteuern, muss man bereit sein, die Fesseln politischer Korrektheit zu sprengen. Eine Gesellschaft, die auf Eigenverantwortung, Weltoffenheit, Pragmatismus, Lernbereitschaft und unternehmerischem Denken aufbaut, sollte in der Lage sein, auch im Zeitalter der Digitalisierung der wichtigsten Ressource zum Durchbruch zu verhelfen – der menschlichen Schaffenskraft. Wenn das gelingt, werden wir Arbeitsplätze im Überfluss haben.

Von Einstein ist der Ausspruch überliefert: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber beim Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Nötig ist ein Schub an kollektiver Intelligenz und eine gehörige Portion Mut in den Führungsetagen, um die digitale Zukunft zu gestalten. Dann können wir zumindest in diesem Fall beweisen, dass Einstein unrecht hatte.

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