Deutsche Konjunktur Deutsche Kommunen versinken in Schulden

Das Haushaltsdefizit vieler deutscher Kommunen gerät immer mehr aus dem Ruder. Trotz der guten Wirtschaftslage versinken die Städte und Gemeinden in den Schulden. Die Experten sehen nur noch einen Ausweg.

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Die leeren Kassen der Bundesländer
Nordrhein-Westfalen Quelle: dpa
Landtag von Niedersachsen Quelle: dpa
Landtag Rheinland-Pfalz Quelle: dpa
Hessischer Landtag in Wiesbaden Quelle: dpa
Berlin Quelle: dapd
Landeshaus in Kiel Quelle: dpa
Bremen Quelle: dpa

Trotz der guten Wirtschaftslage droht einer wachsenden Zahl von Städten die Schuldenfalle. Fast jede zweite Kommune wird einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage der Beratungsgesellschaft Ernst & Young zufolge in den kommenden Jahren tiefer in die roten Zahlen rutschen. "Dass sie überhaupt aus eigener Kraft ihre Schulden jemals werden tilgen können, erwarten nur noch zwei von drei Kommunen", erläuterte Ernst & Young-Partner Hans-Peter Busson.

Die Kämmerer stellen sich für 2013 auf weniger Einnahmen ein. Zudem fürchten sie steigende Sozialausgaben, etwa für die Grundsicherung im Alter. Bürger klammer Kommunen müssen sich zugleich auf höhere Steuern und Gebühren gefasst machen. Jede dritte Gemeinde will die Grundsteuer für Immobilienbesitzer erhöhen.

Bundesländer müssen Gürtel enger schnallen
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse schreibt vor, dass die Bundesländer ab 2020 ohne neue Schulden auskommen müssen. Bis dahin sollte der Haushalt strukturell ausgeglichen sein. "Der Vergleich der sehr unterschiedlichen finanziellen Rahmenbedingungen der Bundesländer zeigt, wo die Konsolidierung der Länder- und Kommunalfinanzen ansetzen kann", kommentiert PwC-Vorstandssprecher Norbert Winkeljohann. In der Studie wurde auf Basis der Finanzsalden 2011 berechnet, in welchem Maß Länder-und Kommunalausgaben bis 2020 sinken beziehungsweise steigen sollten. Dabei wurden Steuereinnahmen, Mittel aus dem Länderfinanzausgleich und Bundesergänzungszuweisungen berücksichtigt und die Ausgabenseite um Zins-und Pensionsverpflichtungen bereinigt. Quelle: dpa
Saarland & BremenDie beiden kleinsten Bundesländer, Bremen und das Saarland stehen vor den größten Herausforderungen. Ihre Ausgaben liegen heute über dem Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer. Diese müssen bis 2020 real gesenkt werden, um die Schuldenbremse noch zu erreichen. "Wichtig für beide Länder ist, dass sie sich in ihrem Ausgabeverhalten an den jeweils für den Aufgabenbereich effizientesten Ländern orientieren und nicht am Durchschnitt der Flächenländer West", erklärt Alfred Höhn, PwC-Partner und Leiter des Bereiches öffentlicher Sektor. Vor allem aufgrund von Zins-und Pensionsverpflichtungen werden sie 2020 deutlich weniger finanzielle Mittel zur Verfügung haben als andere Bundesländer. Der Stadtstaat Bremen musste beispielsweise im Jahr 2011 knapp ein Drittel seiner Finanzmittel für Zinsen und Versorgung verwenden. Anders wäre es, wenn Schulden und Versorgungslasten nicht berücksichtigt werden: Da hätte Bremen 2020 ein Drittel mehr an Kopfmasse pro Jahr zur Verfügung als das durchschnittliche Land. Quelle: dpa
Bayern und Baden-WürttembergGemeinsam mit Hamburg und Hessen gehören die beiden südlichsten Bundesländer zu den Geberländern im Länderfinanzausgleich. Die Länder sind in der günstigen Situation, die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen. So könnte Baden-Württemberg dann rund sechs Prozent, Bayern elf Prozent mehr pro Einwohner ausgeben als der Durchschnitt der westdeutschen Flächenländer. Schulden würden sie dann trotzdem nicht machen. Bayern gibt pro Einwohner 219 Euro in der Kernverwaltung aus. Das sind mehr als 100 Euro mehr als in Hessen. Quelle: dpa
Sachsen-Anhalt & OstdeutschlandDas ostdeutsche Bundesland wird in den kommenden Jahren mit einem erheblichen Bevölkerungsrückgang rechnen müssen. Ein Zehntel seiner Einwohner wird Sachsen-Anhalt bis 2020 verlieren; die Bevölkerung in Bayern hingegen wird wachsen. Insgesamt hast Ostdeutschland - mit Ausnahme von Sachsen - vor erheblichen Herausforderungen stehen, die vor allem aus dem Bevölkerungsrückgang und dem hohen Ausgabenniveau resultieren, wie PWC in einem Interview auf seinem Internetauftritt mitteilt. Quelle: dpa
HessenDas westdeutsche Bundesland steht zum Beispiel mit Bayern auf der "Geberseite" im Länderfinanzausgleich und hat überdurchschnittlich hohe Einnahmen. Anders als Bayern muss Hessen seinen Haushalt bis 2020 deutlich stärker konsolidieren. Der Grund dafür liegt darin, dass Land und die hessischen Kommunen für die Kernverwaltung 352 Euro aufwenden. Außerdem sind in den meisten Aufgabenbereichen die Ausgaben höher als im Bundesdurchschnitt. Quelle: dpa
BerlinDie Bundeshauptstadt weist vor allem im Bereich der Personalausstattung erhebliche Unterschiede zu anderen Bundesländern auf. Nur 3,2 Vollzeitkräfte werden hier pro 1000 Einwohner beschäftigt. Eine deutliche Personalanpassung in den Behörden wie auch in den Verwaltungen sei durch massiven Bevölkerungsrückgang möglich. Berlin verwendet für Zinsen und Versorgung knapp ein Viertel seiner Finanzmittel. Quelle: dpa
Die Föderalismusreform hat Anfang 2009 beschlossen die Staatsverschuldung der Bundesrepublik Deutschland zu begrenzen. Deshalb haben Bund und Länder die Schuldenbremse im Grundgesetz verankert und damit eine verbindliche Vorgabe geschaffen. Deshalb müssen die Haushalte in Zukunft ohne zusätzliche Kredite auskommen. Für die Bundesländer gilt eine Übergangsfrist bis 2020. Danach dürfen sie absolut keine neuen Schulden mehr machen. Sollte sich die wirtschaftliche Entwicklung schlechter werden, so dürfen allerdings neue Schulden aufgenommen werden. Diese müssen dann ausgeglichen werden, wenn sich die Wirtschaft wieder erholt hat. Quelle: obs

Wie Ernst & Young in der Umfrage unter 300 Kommunen mit jeweils mehr als 20.000 Einwohnern ermittelte, rechnen die Kämmerer für 2013 mit um 0,9 Prozent schrumpfenden Gesamteinnahmen im Vergleich zum Jahr 2011. Die Gelder aus der Gewerbesteuer sollen 2013 sogar um 1,1 Prozent zurückgehen: "Offensichtlich rechnen die Kommunen mit einer schwachen Konjunkturentwicklung", erklärte Busson. Zugleich weisen immer mehr Städte ein Defizit auf. Voraussichtlich mehr als die Hälfte werden das Haushaltsjahr 2012 mit roten Zahlen abschließen - drei Prozentpunkte mehr als 2011. Der Anteil der Gemeinden mit Haushaltsüberschuss sinkt sogar um 13 Punkte. Immer mehr Städte und Gemeinden müssen daher sogenannte Haushaltssicherungskonzepte erstellen, wobei die Kommunalaufsicht den Kämmerern genau auf die Finger schaut. In den vergangenen drei Jahren mussten 45 Prozent der Kommunen den Aufsehern Spar- und Schuldenabbaupläne vorlegen. In den kommenden drei Jahren werden es voraussichtlich 64 Prozent sein.

Schuldenlast erdrückend

Jede fünfte Kommune weist einen Gesamtschuldenstand auf, der das jährliche Haushaltsvolumen übersteigt. Fast jede zweite Stadt rechnet damit, dass der Schuldenberg in den kommenden drei Jahren größer wird. Zugleich geht die Schere zwischen armen und reichen Gemeinden immer stärker auseinander. Von den Kommunen, die 2012 einen Haushaltsüberschuss aufweisen, gehen 61 Prozent davon aus, dass sie ihre Schulden in den kommenden drei Jahren verringern können. Die Kommunen mit Haushaltsdefizit sind pessimistischer: Nur 28 Prozent erwarten einen Rückgang.
Um der Finanzmisere Herr zu werden, setzen Städte und Gemeinden weiter den Rotstift an. 41 Prozent planen, Leistungen zu reduzieren oder abzuschaffen - etwa bei der Straßenbeleuchtung oder bei der Kinderbetreuung. 81 Prozent der Kommunen wollen 2012/13 zudem Steuern und Gebühren erhöhen. (Reporter: Reinhard Becker; redigiert von Thomas Seythal)


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