Ende des Booms Die Zeit des Wachstums ist vorbei

Wachstumsschwäche ist kein Konjunkturproblem, sondern neue Normalität, sagt Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Worauf sich Staat, Bürger und Unternehmen einrichten müssen.

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Wachstumsraten des Brutto Inland Produkts in Deutschland. Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung

"Was tun, wenn das Wachstum schwindet?" Für Ökonomen, Politiker, Journalisten und die meisten anderen Menschen ist die Antwort seit Jahrzehnten dieselbe: Dann muss man eben dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder wächst. Durch staatliche Konjunkturprogramme, Subventionen, Steuersenkungen, durch Zinssenkung und Geldschöpfung, durch Reformen, die die Märkte „entfesseln“ und „Verkrustungen“ lösen, durch die Freisetzung der Arbeitskraft von Frauen, durch Zuwanderung.

Das Ergebnis: Die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts in allen früh entwickelten Volkswirtschaften werden dennoch immer bescheidener. In astronomische Bereiche wachsen dagegen vor allem die Schulden.  Ebenso wuchern die gesellschaftlichen, kulturellen und vor allem ökologischen Nebenwirkungen des Wachstums und der Wachstumspolitik – die messbaren ebenso wie die unmessbaren.

Wachstumsschwäche ist die neue Normalität

Der Demograf Reiner Klingholz und sein Institut für Bevölkerung und Entwicklung  geben in einer heute veröffentlichten Studie eine andere Antwort: Staat, Bürger und Wirtschaftsunternehmen sollten sich auf schwindendes, vermutlich bald ganz verschwundenes Wachstum als „neue Normalität“ einstellen, „den Rückgang akzeptieren und das Gegensteuern mit alten, nicht mehr funktionierenden Instrumenten aufgeben“, so Klingholz. 

Niemand kann ihm und seinen Mitautoren vorwerfen, dass sie sich diese Antwort leicht machen. Denn er tut das weder durch übermäßiges Verdammen der Antriebskräfte der Wachstumswirtschaft - wie bei anderen Wachstumskritikern üblich  – noch durch eine Verharmlosung dessen, was der Wandel zu einer „Postwachstumsgesellschaft“ bedeutet. Eines der sechs Kapitel ist ganz der Darstellung der Abhängigkeiten vom Wirtschaftswachstum gewidmet.

Von Kopf bis Fuß auf Wachstum eingestellt

Klingholz' Studie zeigt das Dilemma auf, in dem alle entwickelten Gesellschaften schon stecken und in das sie mit jedem Tag tiefer verwickelt werden: Das Wachstum schwindet aus Gründen, die nicht zu beseitigen sind, und gleichzeitig sind Staaten, Unternehmen und die vorherrschende Mentalität der Bürger von Kopf bis Fuß auf dieses Wachstum eingestellt. 

Warum ist mittelfristig in der entwickelten Welt und langfristig irgendwann auch auf dem Rest der Welt kein Wachstum mehr zu erwarten? Weil erstens die ökologischen zerstörerischen Nebenwirkungen des Wachstums schon jetzt ökonomisch bremsen und künftig womöglich sogar katastrophale Folgen haben werden, und zweitens die Treibkräfte des Wachstums ausklingen:

Die Phase starken Wachstums in der Wirtschaftsgeschichte – für die westliche Welt vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – war auch Folge des „demografischen Übergangs“: „Wenn erst einmal die Kinderzahlen gesunken und die letzten geburtenstarken Jahrgänge ins Erwerbsalter hineingewachsen sind, steht der Gesellschaft eine überproportional große Zahl von Produktivkräften zur Verfügung.

Diese „Erwerbsbevölkerung“, also jene Gruppe in dem Alter, in dem man sich typischerweise für die Volkswirtschaft verdient macht, kann in dieser Phase einen Anteil von bis zu 70 Prozent erreichen und sie stellt einen demografischen Bonus dar. Weil zu dieser Zeit anteilsmäßig nicht nur weniger Kinder zu versorgen sind als zuvor, sondern weil es auch noch nicht viele von der Gesellschaft abhängige Ältere gibt, können die Erwerbsfähigen, so sie denn ausreichend qualifiziert sind und genügend Arbeitsplätze vorhanden sind, auch erwerbstätig werden und einen regelrechten Wirtschaftsboom auslösen: Aus dem demografischen Bonus wird dann eine demografische Dividende.“

Doch diese demografische Dividende ist ein Einmaleffekt in jeder Volkswirtschaft auf dem Entwicklungspfad. Deutschland und alle entwickelten Volkswirtschaften haben ihn längst hinter sich. Nun steigt der Anteil der nicht mehr produktiven, abhängigen Älteren rapide an - bald auch in den Schwellenländern.

Ein zweites Hemmnis für weiteres Wachstum: Innovationskraft und vor allem Produktivität erhöhen sich immer langsamer - trotz Globalisierung und Digitalisierung. Und drittens: Die soziale Ungleichheit steigt. Letztere bremst einerseits die Konsummöglichkeiten der Mehrheiten.

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