Hat man diese Sätze im Ohr, liest sich „unternehmerische Freiheit“ wie ein Synonym für Rücksichtslosigkeit und Kälte – und Milton Friedman steht wie ein übler Zyniker da. Aber der Kapitalismus als ausbeuterisches System – das ist nur die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte der Wahrheit ist: Der Kapitalismus ist ein lernfähiges System mit pazifistischen Talenten. Er emanzipiert Ausgebeutete zu Konsumenten. Und Besitzlose zu Eigentümern. Er erobert nicht nur die Welt und richtet die Menschen zu Werkzeugen seiner Wachstumslogik ab, sondern er richtet diese Welt auch zunehmend reich ein. Anders als die meisten seiner Rezensenten meinen, gereicht ihm seine moralische Neutralität dabei keineswegs zum Nachteil, ach was: Der Opportunismus des Kapitals ist sein größter Vorzug. War nicht etwa die „Moral“ in Europa bis weit ins 19. Jahrhundert hinein das, was die regierende Macht sich unter ihr vorstellte? Und spricht nicht etwa viel dafür, dass ausgerechnet das un-moralische Geld die feudale Machtmoral im 15./16. Jahrhundert sehr erfolgreich zersetzt hat – lange bevor sie in politischen Pamphleten herausgefordert wurde? Ohne die wirtschaftlichen Interessen der Kaufleute, ohne den Ehrgeiz der vielen, sich ein besseres Leben buchstäblich zu verdienen, ist der Siegeszug von Demokratie und vorstaatlichen Menschenrechten undenkbar – wer diese Provokation nicht aushält, sollte von der „Vorherrschaft des Geldes“ schweigen. Zynisch ist nicht der Kapitalismus. Zynisch sind die Wohlstandsverwöhnten in den Industrieländern, die behaupten, die Geldgier sei die Wurzel aller Übel, weil sie die Menschen zu Sklaven des Sachzwangs herabwürdige. Das Übel der Geldgier kann niemals größer sein kann als das Übel des Geldmangels. Wer darüber Näheres erfahren will, möge sich nur mal in bengalischen Dörfern umhören.
Daran freilich, dass the business of business nichts anderes als business ist, glaubt nach der Oligarchisierung des Geldes an den Finanzmärkten und nach dem Aufstieg des Staatskapitalismus in China niemand mehr. Der Eigennutz eines Investmentbankers mehrt nicht das Gemeinwohl. Und das Wettbewerbsprinzip des Kapitalismus diffundiert nicht die Staatsmacht in Peking. Was also ist schiefgelaufen mit der Idee der wirtschaftlichen Freiheit?
Der Aufstieg des Business-Class-Liberalismus
Eine Antwort darauf wüsste ausgerechnet Milton Friedman. Er hat 1976 kein Problem darin gesehen, der chilenischen Militärjunta „technischen wirtschaftlichen Rat zu geben“ – und damit nicht nur die materielle Not vieler Chilenen gelindert, sondern auch die Idee der unteilbaren Freiheit verraten. Seither sind wirtschaftliche und politische Freiheit keine zweieiigen Zwillinge mehr. Seither neigen „Liberale“ dazu, „der Wirtschaft“ Vorfahrt vor „der Politik“ zu gewähren. Echte Liberale wie Ralf Dahrendorf oder Karl-Hermann Flach hätten sich für solche Vereinseitigungen der Freiheitsidee geschämt. Ihr Liberalismus meinte den „Freiheitsdrang der Menschen“. Und ihr Wirtschaftsliberalismus meinte leistungsfördernden Wettbewerb innerhalb eines staatlichen Ordnungsrahmens – und keinen Business-Class-Liberalismus, der die Marktmacht von globalen Konzernen protegiert, die liberale Demokratie als Fessel des Marktes schmäht und sich vor autoritativen Staaten wie Singapur ihrer „wirtschaftlichen Freiheit“ wegen verneigt.