EZB Draghi in der Höhle des Löwen

Aus keiner anderen Partei bekommt EZB-Chef Mario Draghi so viel Kritik wie aus der CSU. Am Freitagabend hat er in München eine Laudatio für den Ehrenvorsitzenden der Partei, Theo Waigel, gehalten. Ein Ortsbesuch.

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Wird oft aus München kritisiert. Quelle: Reuters

München Es ist eine ungewöhnliche Kulisse vor der Mario Draghi gleich sprechen wird. Ein Kinosaal in der Münchener Hochschule für Film und Fernsehen. Auf der Bühne stehen neben dem Rednerpult ein Piano und eine Gitarre. In den roten Sesseln davor sitzen die Münchner High-Society und Promis wie zum Beispiel ZDF-Abendtalker Markus Lanz oder Cherno Jobatey.
Nicht nur die Kulisse ungewöhnlich – auch der Ort. Nirgendwo ist Mario Draghi so umstritten wie in Bayern. Für viele CSU-Politiker gehören scharfe Attacken gegen ihn quasi zum guten Ton. So hatte beispielsweise der bayerische Finanzminister Markus Söder jüngst die Bundesregierung dazu aufgerufen, einen „Richtungswechsel in der Geldpolitik“ einzufordern. Die Notenbank entwickle sich „mehr zu einer Filiale der Wallstreet als zu einer europäischen Bundesbank“.

Auf den ersten Blick erscheint es deshalb ungewöhnlich, dass Draghi am Freitagabend eine Laudatio in München ausgerechnet für den CSU-Ehrenvorsitzenden Theo Waigel hält. Doch die beiden verbindet eine lange Freundschaft und der gemeinsame Einsatz für den Euro. Als Bundesfinanzminister von 1989 bis 1998 war Theo Waigel einer der Architekten der Wirtschaftsunion mit der DDR und Wegbereiter für die Einführung des Euro.

Begonnen habe ihre Freundschaft Anfang der 90er Jahre, erzählt Draghi. Waigel sei damals deutscher Finanzminister gewesen und er selbst habe als „einfacher Bürokrat“ im italienischen Finanzministerium gearbeitet. „Die Finanzminister in Italien haben damals im Rhythmus von weniger als einem Jahr gewechselt“, erinnert sich Draghi. Bei Treffen mit der deutschen Seite sei deshalb immer ein anderer Minister dabei gewesen. „Alles hat sich geändert, nur ich war immer da.“

Es war die Zeit, als der Maastrichter Vertrag über die Währungsunion verhandelt wurde. Waigels Lebenswerk forme Europa noch heute, sagt Draghi. „Er war jemand, der langfristig dachte und seinen Überzeugungen folgte, nicht dem Zeitgeist.“ Unter seinem Einfluss habe sich die Bundesregierung für den Euro entschieden. Und ihm sei zu verdanken, dass der Euro mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt „in einen Rahmen eingebettet wurde, der Haushaltsdisziplin gewährleistete.“


Waigel verteidigt Draghi

Der Pakt sei mehr gewesen als nur ein Regelwerk, sondern die Grundlage für gegenseitiges Vertrauen, so Draghi. „Theo Waigel hatte verstanden, dass eine Union aus verschiedenen Ländern, nur auf der Grundlage gegenseitigen Vertrauens aufgebaut werden kann.“ Allerdings dauere die Annäherung zwischen reichen und armen Mitgliedsstaaten viel länger als zunächst erwartet.
Deshalb müsse die Währungsunion weiterentwickelt werden. „Wir müssen einen Weg finden, um in den Mitgliedsstaaten und bei den Menschen Vertrauen zu schaffen.“ Dafür müssten Bedürfnisse, die gemeinsam besser sichergestellt werden könnten, wie zum Beispiel die Vorteile eines integrierten Finanzraums, besser erkannt und erläutert werden.


In seiner Rede beschränkt sich Draghi vor allem darauf, seinen Freund Theo Waigel zu loben. Dafür bekommt er sogar vom Münchner Publikum höflichen Applaus. Den Part der Verteidigung der Geldpolitik von Draghi und der EZB übernimmt dagegen Waigel. „Ich weiß es zu schätzen, dass du in der gegenwärtig sehr schwierigen Zeit auch angesichts vieler kritischer Kommentare und persönlicher Angriffe nach München gekommen bist“, dankt der CSU-Politiker dem Gast aus Frankfurt. Er plädiere seit Jahren für einen rationalen und persönlich fairen Umgang mit der EZB und ihrem Präsidenten.
Den Euro hält Waigel nach wie vor für ein Erfolgsprojekt – auch für Bayern. So würden sich die Exporte aus dem Freistaat auf 180 Milliarden Euro im Jahr belaufen. Schon CSU-Gründer Josef Müller habe sich kurz nach dem Krieg für eine gemeinsame Währung ausgesprochen, weil Länder, die eine gemeinsame Währung haben, keinen Krieg gegeneinander führen.


8,75 Prozent Zinsen zu Zeiten der Wiedervereinigung

In Waigels Zeit als Finanzminister fielen die wichtigen Weichenstellungen zur Einführung des Euro. Auch in der aktuellen Debatte um die EZB-Politik zieht der frühere Finanzminister Parallelen zur Vergangenheit – und nimmt sich Kritikpunkte an der EZB vor. So hatten CSU-Parteifreunde unter anderem gefordert, dass sich die Stimmgewichtung im EZB-Rat nach der Wirtschaftskraft der Mitgliedsländer bemessen sollte. Und sie sprachen sich für eine Intervention der Bundesregierung gegen die EZB-Politik aus. Dabei seien die Unabhängigkeit der Zentralbank und die Gewichtsverteilung im Zentralbankrat ein Vorschlag der Deutschen Bundesbank gewesen, mit dem sie sich durchgesetzt habe, so Waigel.


In puncto Niedrigzinsen bekennt er: „Mir wären in den 1990er Jahren niedrigere Zinsen zur Finanzierung der deutschen Einheit lieber gewesen.“ Damals hätten die Zinsen für Staatsanleihen zur Finanzierung des Haushalts bei 8,75 Prozent gelegen. Er beneide Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble um sein Amt nicht. „Aber ich halte es für zutiefst ungerecht, dass ich 8,75 Prozent zahlen musste – und er bekommt das Geld noch nachgeworfen.“

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