EZB Schwacher Euro könnte Lockerung ersparen

Der Euro habe zuletzt abgewertet, was die Europäische Zentralbank nach Ansicht von Visco von zusätzlichen Schritten zur Konjunkturförderung abhalten könnte. Die Inflationserwartungen sollten wieder dahin, wo sie waren.

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Der Euro ist derzeit schwach. Das könnte der EZB eine weitere geldpolitische Lockerung ersparen. Quelle: dpa

Die Europäische Zentralbank kann nach Ansicht von Ignazio Visco möglicherweise auf zusätzliche Schritte zur Konjunkturförderung verzichten. Der Euro habe in den vergangenen drei Monaten infolge von Maßnahmen der Notenbank abgewertet, sagte das Mitglied des EZB-Rats in einem Interview mit Bloomberg News am vergangenen Samstag im australischen Cairns.

„Die Inflationserwartungen müssen wieder dahin, wo sie waren“, sagte Visco am Rande der G-20-Tagung in Cairns. „Das heißt nicht, dass es einen nächsten Schritt geben wird. Wir sind kühn genug gewesen, die Zinsen auf ein Niveau zu senken, das der Markt nicht erwartet hatte.“

Seit Anfang Juni, als die EZB einen negativen Einlagensatz für überschüssige Gelder der Banken einführte, hat die Gemeinschaftswährung rund sechs Prozent abgewertet. Im September senkten die Währungshüter die Kreditkosten weiter und versprachen, die Bilanz der Notenbank durch den Ankauf von forderungsbesicherten Wertpapieren (ABS) und gedeckten Anleihen um bis zu eine Billion Euro auszuweiten.

Das Ausmaß der Euro-Abwertung ist „angesichts der zwischen Juni und September vorgenommenen Maßnahmen, mehr oder weniger die angemessene Reaktion“, sagte Visco, der an der Spitze der italienischen Notenbank steht. Er verwies darauf, dass die EZB keinen bestimmten Wechselkurs für den Euro anstrebt.

Bei der ersten von insgesamt acht Liquiditätsspritzen für eine Ausweitung der Kreditvergabe der Banken teilte die EZB vergangene Woche im sogenannten TLTRO-Programm 82,6 Milliarden Euro zu. Das war weniger als Volkswirte in einer Umfrage von Bloomberg News erwartet hatten. Es löste bei Ökonomen und Investoren Spekulationen aus, die EZB könne sich gezwungen sehen, ihr Ziel mit umfangreichen Ankäufen von Staatsanleihen zu erreichen.


Der Verbraucherpreis im Euroraum ist gestiegen

„Im Zusammenhang mit den TLTROs sind Missverständnisse aufgekommen, denn man hat sie als großen Misserfolg wahrgenommen“, sagte Visco. „Die zweite Tranche ist wichtiger als die erste. In einer Reihe von Ländern haben wir beobachtet, dass die Banken das Programm erst im Dezember in Anspruch nehmen wollen. Was die italienischen Banken betrifft, so ist genau das eingetroffen, was wir erwartet haben.“

UniCredit SpA, die größte Bank des Landes, nahm nach eigenen Angaben 7,8 Milliarden Euro auf, Intesa Sanpaolo SpA, die Nummer zwei der italienischen Branche, 4,0 Milliarden Euro.

EZB-Vizepräsident Vitor Constancio bezeichnete gegenüber Bloomberg News am vergangenen Donnerstag die TLTROs als umfangreichsten Posten bei der Ausweitung der Bilanz der Notenbank. Die Inanspruchnahme werde insgesamt „erheblich“ ausfallen. Der Beitrag der Ankäufe von forderungsbesicherten Wertpapieren und Covered Bonds werde demgegenüber weniger ins Gewicht fallen.

EZB-Präsident Mario Draghi will die Bilanz auf bis zu drei Milliarden Euro ausweiten – den Umfang, den sie auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise 2012 hatte. Um dieses Ziel zu erreichen, „muss man vielleicht mehr tun, wenn die Inflation auf diesem erbärmlichen Niveau verharrt“, sagte Visco.

Die Verbraucherpreise im Euroraum sind im August gegenüber dem Vorjahr um 0,4 Prozent gestiegen. Die EZB strebt eine Preissteigerungsrate von knapp unter zwei Prozent an. Sie hat im September ihre Inflationsprognose für 2014 auf 0,6 Prozent gesenkt; für 2015 und 2016 erwartet sie eine Teuerungsrate von 1,1 Prozent bzw. 1,4 Prozent.


Euroraum nicht im „Deflationsmodus“

Visco sieht den Euroraum eindeutig „nicht im Deflationsmodus“. „Wir befinden uns in einer exzessiven Disinflation, und das ist keine Angelegenheit eines einzelnen Landes, es ist breit angelegt“, sagte er.

„Der Währungsraum zieht Ermutigung aus der Industrieproduktion“, sagte Visco, fügte aber hinzu, der Beitrag Italiens zu der Kennziffer sei „enttäuschend“. „Investitionen setzen Vertrauen und Gewissheit voraus. Es besteht Ungewissheit in mehreren Bereichen, darunter den Reformen. Es ist nicht klar, ob die Reformen Fortschritte machen. Insgesamt denke ich es gibt Fortschritte.“

Der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi sagte vergangene Woche, er sei bereit, das Risiko einer Niederlage bei der nächsten Wahl einzugehen, um Reformen voranzutreiben.

Die ABS-Komponente des EZB-Ankaufprogramms umfasst auch hypothekenbesicherte Wertpapiere – eine Anlageklasse, deren Ruf seit der Finanzkrise angeschlagen ist. Visco sagte, dies sei in der Absicht geschehen, den Umfang des Programms auszuweiten, denn der europäische ABS-Markt sei klein. Die Tatsache, dass die EZB Vertrauen in das Produkt zeige, werde dazu beitragen, die Vorbehalte abzubauen. Die Entscheidung, Covered Anleihen zu kaufen, sei ebenfalls von der Sorge um den Umfang des Programms getrieben gewesen, sagte Visco.

„Es wird, soweit TLTROs und ABS betroffen sind, gewiss die Kreditvergabe fördern und, was Covered Bonds angeht, eher quantitativ wirken“, sagte er. „Bei ABS liegt eindeutig ein Marktversagen vor, bei gedeckten Anleihen liegt kein Marktversagen vor.“

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