WirtschaftsWoche: Herr Taylor, eine Umfrage der R+V-Versicherung fragt die Deutschen Jahr für Jahr, wovor sie am meisten Angst haben. Raten Sie mal, welches 2013 die drei häufigsten Antworten waren!
Frederick Taylor: Ich würde sagen, die Deutschen haben Angst, dass ihr Auto eine Schramme bekommt, dass sie in der Euro-Rettung für alle zahlen müssen – und, sonst würden Sie mich nicht fragen, dass die Preise weiter steigen.
Sie haben zwei von drei richtige Antworten genannt. Die Bundesbürger fürchten sich am häufigsten vor Naturkatastrophen (Platz 3), den Kosten der Euro-Rettung (Platz 1) und der Inflation (Platz 2).
Ich kenne also die Deutschen gut! (lacht) Es ist wirklich erstaunlich, dass die Angst vor der Geldentwertung so fest im Bewusstsein verankert ist. Das Trauma der Hyperinflation sitzt sehr tief. Aber ich kann das durchaus nachvollziehen. Denn die Deutschen haben es im 20. Jahrhundert gleich zwei Mal erlebt, dass ihr Geld plötzlich nichts mehr wert ist: 1922/1923 und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Das hat Spuren hinterlassen.
Aber warum beschäftigt die Angst vor der Inflation die Deutschen noch heute – gut 90 Jahre später? Zumal auch andere Staaten wie Griechenland oder Österreich Hyperinflationen erlebt haben.
Das stimmt. Auch Österreicher, Griechen und Italiener haben erlebt, wie eine Inflation ihr Erspartes aufgefressen hat. Aber sie haben nicht diese Angst, wie die Deutschen. In Deutschland war der Fall viel tiefer. Deutschland war vor dem Ersten Weltkrieg die kommende Weltmacht. Die Wirtschaft war stark, die Bevölkerung nahm stetig zu und das Militär war gefürchtet. Wenn man damit rechnet, die wichtigste Nation zu werden und plötzlich einen enormen Bedeutungsverlust erleidet, wiegt die Erfahrung umso schwerer.
Hinzu kommt: Das Bildungsbürgertum spielte in Deutschland zum Anfang des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Und diese Schicht, die mittleren und oberen Beamten, zählten zu den größten Verlierern der Hyperinflation. Während die Regierung die Rentner, Soldaten und Arbeiter mit Staatsleistungen wie angepassten Renten so lange wie möglich unterstütze, war die gehobene Mittelschicht auf sich alleine gelassen. Sie haben praktisch alles verloren. Die Kinder und Enkel der so schwer getroffenen Bildungsbürger haben die Geschichte tausendmal zu hören bekommen. Und genau sie sind heute überproportional oft in den Medien und im öffentlichen Dienst beschäftigt und prägen so die öffentliche Meinung.
Zur Person
Der Brite hat Neue Geschichte und Germanistik studiert. Seit Langem beschäftigen ihn die deutschen Traumata: Sein Buch über die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg "Dresden. Dienstag, 13. Februar 1945" (2004) wurde ein internationaler Bestseller. Am 23. September 2013 erschien sein Buch "Inflation – Der Untergang des Geldes in der Weimarer Republik und die Geburt eines deutschen Traumas".
Welche Rolle spielt die Angst der Deutschen vor der Inflation im heutigen Alltag und Politikbetrieb?
Die Deutschen agieren im Wirtschaftsleben äußerst vorsichtig. Sie wählen mehrheitlich immer den sicheren Weg. Das zeigt sich daran, dass nur wenige Deutsche Aktien besitzen. Von der Rallye an der Börse hat der Durchschnittsbürger nichts. Dabei lehrt die Geschichte der Hyperinflation: Die scheinbar sichersten Anlagen, festverzinste Anlagen, waren die schlechteste Versicherung gegen die Krise. Am besten durch die Hyperinflation sind diejenigen gekommen, die zum Beginn der Hyperinflation Unternehmensanteile besaßen. Also: Die Deutschen sehnen sich nach Sicherheit. Sie reagieren empfindlich auf Verschuldung, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Bereich, und auf eine lockere Geldpolitik der Regierung und Notenbank.
"Notenbanken sollten nicht genötigt werden, Regierungen zu assistieren"
Das muss aber doch nicht von Nachteil sein.
Nein, da haben Sie recht. Grundsätzlich begrüße ich eine kritische Haltung gegenüber spendablen Regierungen und legeren Notenbankern. Ich fürchte nur, dass die Deutschen mehr und mehr dogmatisch an die Frage herangehen und nicht pragmatisch. Deutschland darf nicht zu stur auf Haushaltsdisziplin setzen. Als Führungsnation in Europa muss Berlin auch immer die ganze Währungsunion im Blick halten. Momentan ist festzustellen: Der Druck auf die Preise ist in Südeuropa an einigen Stellen zu stark. Eine leichte Lockerung der Sparpolitik, ein bisschen Inflation würde hier helfen. Die Deutschen müssen von ihren Ängsten loslassen.
Ist die Lehre aus der Entstehung der Schuldenkrise nicht gerade, dass Griechenland, Portugal & Co. über ihre Verhältnisse gelebt haben und es verpasst wurde, sie rechtzeitig zu disziplinieren?
Natürlich haben die Länder über ihre Verhältnisse gelebt. Die Angleichung an die wirtschaftlichen starken Nationen sollte mit aller Macht vollzogen werden. Da wurden überhastet große Lohnerhöhungen durchgesetzt. Das sehen inzwischen auch Teile der griechischen Gesellschaft so. Die meisten Griechen verstehen, dass es nicht so weitergehen konnte wie vor dem Ausbruch der Krise 2010. Doch aus den Fehlern der Vergangenheit sollte man Griechenland & Co. heute keinen Strick drehen. Ohne fiskalpolitische Disziplin geht es nicht. Aber ohne Wirtschaftswachstum kommt Griechenland nicht aus der Krise.
Reicht entschiedenes Handeln der Regierungen, um die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Oder sollte die Politik auch durch die Europäische Zentralbank flankiert werden?
Notenbanken stehen immer wieder unter dem Druck der Regierungen. Die Vertreter der Weimarer Republik drängten die Bundesbank nach der Unterzeichnung des Versailler Vertrags zu einer immer lockeren Geldpolitik. Die Folgen sind bekannt. Heute gibt es auf die Europäische Zentralbank aus 17 europäischen Hauptstädten Druck und Forderungen. Nein, eine Notenbank sollte niemals Politik betreiben und nie genötigt werden, Regierungen zu assistieren.
Die EZB ist in der Krise immer mehr zu einer heimlichen Regierung geworden. Sie pumpt massiv Geld in den Markt, um die Wirtschaft anzukurbeln, erklärt aber, rechtzeitig auf die Bremse zu treten. Wie glaubhaft ist die Bekenntnis der Notenbank?
Es ist ein Drahtseilakt. Es ist sehr sehr schwer, den entscheidenden Moment zu finden, die geldpolitischen Zügel wieder anzuziehen. Kommt man zu spät, galoppiert die Inflation möglicherweise schon und dann wird es immer schwerer, die Kontrolle zurückzugewinnen.
Im Moment sind die inflationären Tendenzen in der Euro-Zone aber gering.
Auch hier muss man differenzieren. Künstlichen Niedrigzinsen sind schließlich auch eine Art Inflation und vernichten Vermögen. Wenn Sie nur 0,5 Prozent Zinsen auf Ihre Ersparnisse bei der Bank bekommen, die Inflationsrate aber 1,5 oder 2,0 Prozent beträgt, dann verlieren Sie schleichend Geld. Es braucht keine Hyperinflation, um Vermögen zu zerstören. Und ein zweiter Punkt ist entscheidend: Nicht ich muss überzeugt sein, dass die EZB rechtzeitig eingreift, sollte die Inflation anziehen, sondern die Bürger in Europa und die Investoren. Man kann auch ohne hohe Inflationsraten das Vertrauen in eine Währung reduzieren. Die EZB ist auf dem besten Weg dahin.
"Gold ist haltbar und hat immer einen Gegenwert gehabt"
Die Nationalstaaten werden die EZB wohl nicht bremsen. Schließlich würden Sie Inflation befürworten, da so ihre Schuldenlast verringert wird.
Von einer Inflation profitieren vor allem die Besitzer von Sachwerten, also Immobilien, Schmuck oder Kunstwerke, sowie all jene, die hoch verschuldet sind. Die Regierungen werden also der EZB keinen Einhalt gebieten, das sehe ich ähnlich. Sie verstärken sogar den Vertrauensverlust in die Währung noch, da sich auch die Politik seit jeder schwer tut, solide zu haushalten und das Geld, welchen in Krisenzeiten ausgegeben wird, bei einem Aufschwung wieder einzusammeln.
Heißt das alles, dass Sie ein Scheitern des Euro nach wie vor für möglich halten?
Die Gefahr besteht. Irland hat sich gemacht, da ist die Krise wirklich überstanden und die Weichen für eine gesunde Zukunft sind gestellt. Im Mittelmeer-Raum sieht das anders aus. Dort sind viele Staaten hoch verschuldet und die Wirtschaft erholt sich, wenn überhaupt, nur sehr langsam. Und vergessen Sie Frankreich nicht. Die Franzosen haben große Schwierigkeiten und scheinen nicht bereit, die dringend nötigen Reformen umzusetzen. Das Problem: Anders als Griechenland ist die Verschuldung zu groß um von den anderen Euro-Ländern getragen zu werden.
Muss Deutschland alles versuchen, also koste es, was es wolle, um den Euro zu retten?
Das ist eine politische Frage. Wirtschaftlich ist die Lage ziemlich einfach vorherzusehen. Sollte die Euro-Zone auseinanderbrechen und Deutschland zur D-Mark zurückzukehren, wird das die Nationalwährung massiv aufwerten. Ich glaube aber, dass Deutschlands Wirtschaft und seine Produkte stark genug sind, um weiter exportieren zu können. Griechenland aber, und das Land steht hier stellvertretend für die Krisenländer, wäre Bankrott. Schließlich würden ihre Schulden durch den Währungswechsel dramatisch ansteigen. Das Land würde hohe Inflation erleben, wenn es nicht aufpasst, gar Hyperinflation.
Die zweite Frage ist: Kann Griechenland, sollte es die Euro-Zone verlassen, Mitglied in der Europäischen Union bleiben? Ich denke nicht. Denn die eigene Wirtschaft könnte sich nur erholen, wenn sich das Land gegen Konkurrenten abschottet. Heute finden sie in den griechischen Supermärkten Müllermilch-Produkte, statt griechischen Joghurt. Das ändert sich nicht, wenn Griechenland weiterhin am europäischen Binnenmarkt teilnimmt.
Griechenland wäre also der größte Verlierer eines Euro-Ausstiegs?
Ja. Eine Drachme-Rückkehr wäre für die Griechen ein Schock. Sie sind in den vergangenen 20 Jahren zu einem westeuropäischen Land geworden. Die Orientierung stände zur Debatte. Das wissen die Griechen. Deswegen wollen sie auch im Euro-Raum bleiben. Es geht da um wirtschaftliche Fragen, aber auch um die Identifizierung mit Westeuropa.
Wie soll sich Deutschland in der Schuldenkrise verhalten?
Die Bundesregierung muss die Führung, die ihr aus rationalen Gründen zukommt, übernehmen und steuern. Das heißt nicht, dass Deutschland nun für alle zahlen soll. Die Große Koalition, die langsam zustande kommt, könnte die Balance zwischen Haushaltsdisziplin und finanzielle Anreize für die Wirtschaft ganz gut verkörpern. Und den Bürgern rufe ich zu: Packt nicht all euer Geld auf das Sparkonto und in festverzinste Anlagen. Das ging schon einmal schief. Gönnt euch ein bisschen Freude und geht shoppen! Die Deutschen sollen konsumieren. Das hilft der Lage in der gesamten Euro-Zone – und es macht Spaß.
Und wer zweifelt, kann ja immer noch Gold kaufen.
Das wäre auf jeden Fall besser, als Bargeld im Sparstrumpf zu verstecken. Gold ist haltbar, es ist tragbar und es hat immer einen Gegenwert gehabt. Vor allem aber ist Gold endlich. Diese Tatsache alleine führt zu mehr Disziplin bei den Ausgaben.
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