Gary Becker Der ökonomische Imperialist

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Freund der großen Kontroverse

Humankapital Quelle: dpa/dpaweb

Wenn gut ausgebildete Frauen auf einen gut bezahlten Job verzichten, um sich der Kindererziehung zu widmen, müssen sie laut Becker hohe „Zeitopportunitätskosten“ in Kauf nehmen. Er kommt zu dem Schluss, „dass die wachsende wirtschaftliche Freiheit der Frauen die Scheidungsraten erhöht und die Fertilität gesenkt“ habe. Zudem sei das Scheidungsrisiko bei wohlhabenden Paaren geringer als bei armen – weil diese (materiell) mehr zu verlieren haben. Umgekehrt „mag sich eine arme Frau durchaus fragen, ob es lohnt, mit jemandem verheiratet zu bleiben, der ein Langzeitarbeitsloser ist“.

Eine Heirat kommt erst dann zustande, wenn beide Partner glauben, ihre individuelle Wohlfahrt zu maximieren – weil der Nutzen der Ehe für sie höher ist als die Kosten des Alleinseins und die Suche nach einem (anderen) Partner. Becker schlägt unter anderem vor, dass alle Heiratswilligen einen Ehevertrag abschließen müssen – um einen ökonomischen Anreiz zu schaffen, bei späteren Krisen die Beziehung nicht vorschnell zu beenden.

Haushalte sind für Becker eine Art Fabrik, die eine möglichst hohe Zeit- und Kosteneffizienz erreichen will. In dieser Gedankenwelt sind Kinder „langlebige Konsumgüter“, deren „Erträge“ für die Eltern unter anderem darin bestehen, dass sie im Alter auf eine Unterstützung der Sprösslinge setzen können – wenn ihre „Investitionen“ zuvor ausreichend waren. Becker kommt zu dem Schluss, dass eine höhere Kinderzahl auf Kosten der „Qualität“ (gemeint: das Ausbildungsniveau) geht. Berühmt wurde sein „Rotten-Kid-Theorem“: Vereinfacht ausgedrückt, sehen danach auch egoistische Familienmitglieder ein, dass die Maximierung ihres eigenen Nutzens letztlich von der Maximierung des familiären Gesamtnutzens abhängt.

Auf Umwegen zur Wirtschaftswissenschaft

Mit derartigen Thesen hat Becker, dem „political correctness“ stets fremd war, große Kontroversen ausgelöst. Kritiker werfen ihm ein zynisches Welt- und Menschenbild vor; wer hört schon gerne, dass selbst edelster Altruismus am Ende nur Produkt eines individuellen Nutzenkalküls ist. Speziell bei seiner Familientheorie ist sich die Fachwelt nicht völlig sicher, ob Methodik und Erkenntnisse nun genial oder schlicht banal sind. Der Princeton-Ökonom Alan Blinder verspottete Becker, indem er eine „ökonomische Theorie des Zähneputzens“ entwickelte und im angesehenen „Journal of Political Economy“ veröffentlichte.

Doch es ist Gary Beckers historisches Verdienst, in der Wissenschaft ein interdisziplinäres Bewusstsein für soziale Phänomene geschaffen und menschliche Entscheidungen aus dem Nebel des diffus Psychologischen hervorgeholt zu haben. „Becker ist in der Geschichte der Ökonomie eine ganz zentrale Figur. Er hat die im 19. Jahrhundert einsetzende thematische Verengung der Volkswirtschaftslehre beendet und den Bogen zurück zu Adam Smith geschlagen, der die Ökonomie als Gesellschaftswissenschaft sah“, sagt der Becker-Experte Ingo Pies, Professor für Wirtschaftsethik an der Universität Halle-Wittenberg. Ausgehend von seiner ökonomischen Theorie der Familie, habe Becker zudem die Humankapitaltheorie entscheidend weiterentwickelt.

Zur Wirtschaftswissenschaft ist Becker dabei erst auf Umwegen gekommen. Er wird am 2. Dezember 1930 in der Kohlestadt Pottsville in Pennsylvania geboren. Der Vater ist Einwanderer aus Kanada, die Mutter stammt aus Osteuropa. Gary wächst mit drei Geschwistern in Brooklyn auf. Als Jugendlicher interessiert er sich mehr für Handball und ist von ökonomischen Fragen genervt, weil er seinem Vater, einem Kleinunternehmer, ständig die Aktienkurse und Wirtschaftsnachrichten aus der Zeitung vorlesen muss. „Meine Mutter und mein Vater waren sehr intelligent, aber nicht sonderlich gebildet“, schreibt er lapidar über sein Elternhaus. Eher lustlos studiert er zunächst Ökonomie an der Princeton-Universität; die Wirtschaftswissenschaft „schien mir nicht geeignet, mir Klarheit über Probleme wie Ungleichheit, Klasse, Rasse und Prestige und dergleichen zu verschaffen, die mein Interesse für die Ökonomik erst geweckt hatten“.

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