Gefahr einer neuen Krise

Rentenmärkte werden für Notenbanken zum Problem

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Der Einstieg in eine neue Wirtschaftskrise?

Vergleichbare Effekte sind auch in den Vereinigten Staaten sichtbar. Hier hat die Notenbank über die Krisenjahre zwischen 2007 und 2013 ihren Anteil an den ausstehenden US-Staatsanleihen von Werten unterhalb von zehn Prozent auf gut 15 Prozent ausgeweitet. Dies gibt bereits längere Zeit Anlass zu der Vermutung, dass die offiziellen Stellen in den Vereinigten Staaten versucht sein könnten, den global operierenden Investoren einen zukünftig gegebenenfalls anstehenden Ausstieg aus US-Anleihen zu versauen.

Dies könnte umso virulenter auf die Tagesordnung kommen, wenn die US-Notenbank einen neuen Leitzinserhöhungszyklus beginnen sollte und damit einen breit angelegten Renditeaufwärtstrend initiiert, zumindest für den US-Dollar-Raum.

"EZB hat völliges Neuland betreten"
"Eher symbolische Maßnahmen""Für sich betrachtet sind die Zinssenkungen und der negative Einlagezins eher symbolische Maßnahmen: Sie werden weder die Kreditvergabe in den Krisenländern maßgeblich verbessern noch das Deflationsrisiko deutlich mindern", kommentierte DIW-Chef Marcel Fratzscher die EZB-Entscheidung. "Ich interpretiere sie aber als Startsignal und Anfang einer neuen EZB-Strategie einer stärkeren geldpolitischen Expansion. Als erste Schritte in einer Reihe von weiteren Maßnahmen in den kommenden Monaten sind sie bedeutungsvoll. Die EZB-Maßnahmen bergen große Risiken: Sie könnten die Blasenbildung und das riskante Verhalten von Banken noch verstärken. Allerdings wäre es noch riskanter und eine deutlich schlechtere Option, wenn die EZB nichts täte." Quelle: dpa
"Genau das falsche Rezept""Der Schritt der EZB markiert eine neue Eskalationsstufe. Damit wird das Niedrigzinsniveau weiter verfestigt, zulasten der Vorsorgesparer in Deutschland. Ihre Sparanstrengungen werden durch die EZB untergraben", kritisiert Alexander Erdland, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). "Deshalb sind wir in Sorge. Ökonomisch ist die Maßnahme genau das falsche Rezept. Denn die niedrigen Zinsen lösen kaum noch Wachstumsimpulse aus. Viel wichtiger wäre die Fortsetzung der Strukturreformen zur Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Politik des billigen Geldes wird zum Irrweg." Quelle: AP
"Zinspulver fast verschossen""Geldgeneral Draghi hat sein Zinspulver nun (fast) verschossen. Aktionäre und Immobilienbesitzer dürfen jubeln, Kontensparer und Versicherungssparer dürfen kapitulieren", sagt Ingo Theismann von der Vermögensverwaltung Consulting Team. "Erstmals müssen Banken Strafzinsen für ihre Einlagen zahlen, damit sollen über höhere Kreditvergaben Konjunktur und Inflation herbeigezaubert werden. Doch was sagte dazu bereits Ex-Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller vor 47 Jahren: 'Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie selber.' Wir können nur hoffen, dass diese riskante Wette der EZB auch aufgeht."
"Erhebliche Risiken""Ich sehe erhebliche Risiken durch die Niedrigzinspolitik und die vergleichsweise üppige Geldversorgung durch die EZB", sorgt sich Michael Fuchs, stellvertretender Fraktionschef der Unionsparteien im Bundestag. "Der Druck der Märkte auf Reformen und Einsparungen gerade in den EU-Krisenländern schwindet. Darüber hinaus gefährden Niedrigzinsen in der gesamten EU die Bereitschaft zum Sparen und zur Altersvorsorge in der Bevölkerung." Quelle: dapd
„Der Handlungsspielraum der EZB ist mehr homöopathisch“Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger hält die Wirkung weiterer Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) für sehr begrenzt. „Der Handlungsspielraum der EZB ist mehr homöopathisch“, sagte das Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung dem Südwestrundfunk. Ein Leitzins, der noch näher bei null liege, und ein Strafzins für Geschäftsbanken, die überschüssiges Geld bei der EZB parken wollten, stellten als Konjunkturimpulse keine schweren „Geschütze“ dar. Um die Wirtschaft im Euroraum zu beleben, sollten die Politiker darüber nachdenken, wie man die Investitionsanreize stärken kann, sagte Bofinger: „Dass also mehr Kreditmittel auf den Märkten von Investoren aufgenommen werden, und dann steigen auch die Zinsen wieder.“ Eine Hauptkritik aus Deutschland an der Politik des billigen Geldes ist, dass das niedrige Zinsniveau die Sparer belaste. Quelle: dapd
"Völliges Neuland""Die EZB hat völliges Neuland betreten, in ihrer Mission, die Wirtschaft in der Euro-Zone zu unterstützen", konstatiert Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING Diba. "Wird das die Wirtschaft anschieben? Wahrscheinlich nicht, aber es zeigt zumindest die Entschlossenheit der EZB und ihre Handlungsmöglichkeiten." Quelle: PR
"Ein ganz gefährlicher Weg, den die EZB da einschlägt."Sparkassen-Präsident Georg Fahrenschon (im Bild links neben dem Co-Chef der Deutschen Bank Jürgen Fitschen) wettert gegen die EZB-Ankündigungen, die Geldschleusen weiter zu öffnen. „Statt der erhofften Impulse für die Wirtschaft in den Krisenländern werden durch die erneute Zinssenkung die Sparer in ganz Europa weiter verunsichert und Vermögenswerte zerstört“, sagte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Georg Fahrenschon. Die Maßnahmen machten die Finanzmärkte auch nicht stabiler - „im Gegenteil, das überreichliche Geld quillt schon jetzt aus allen Ritzen und sucht sich immer riskantere Anlagemöglichkeiten“. Schon am Morgen vor der EZB-Entscheidung äußerte Fahrenschon im ARD-Morgenmagazin seine Sorgen darüber aus, dass viele Menschen, die mit Versicherungen für ihr Alter vorgesorgt hätten, jetzt ungefragt zur Kasse gebeten würden: „Das ist ein ganz gefährlicher Weg, den die EZB da einschlägt.“ Allein in Deutschland würden Sparer, die fürs Alter vorsorgen, 15 Milliarden Euro verlieren: „Das sind vom Baby bis zum Großvater 200 Euro pro Kopf. Und das ungefragt. Und das Geld fehlt. Es ist weg.“ Quelle: dpa

Tatsächlich meldet die Presse aktuell, dass offizielle Vertreter der Fed den Gedanken hegen, alsbald schon Gebühren in nennenswerter Größenordnung zu erheben, sollten Investoren darangehen, ihre Bestände an US-Dollar-Anleihen zu reduzieren. Den bislang vorliegenden Bekundungen nach sollen sich diese Gebühren schwerpunktmäßig gegen Privatanleger richten, nicht so sehr gegen institutionelle Investoren; auch werde, wie es heißt, nicht der US-Staatsanleihemarkt als gefährdet und daher als schützenswert erachtet, sondern der Markt für US-Unternehmensanleihen. Nichtsdestotrotz: Austrittsbarrieren sind auch immer Eintrittsbarrieren für potentielle Investoren. Ein bereits jetzt auch am US-Staatsanleihemarkt zu spürendes Liquiditätsdefizit wird durch eine Initiative für Austrittsgebühren nur verstärkt.

Ein dysfunktionaler Rentenmarkt, ob nun durch fehlende Liquidität oder durch institutionelle Hürden wie Verkaufsgebühren, ist in der aktuellen Phase sicherlich das letzte was die Notenbanken beabsichtigen. In den USA wird nun schon seit einiger Zeit über den Zeitpunkt der anstehenden Zinswende spekuliert. Gleichzeitig zieht sich die Fed mit immer geringeren Anleihekäufen langsam aus dem Markt zurück. In Großbritannien wird offen diskutiert, ob die Bank of England noch in 2014 oder erst Anfang 2015 anfängt die Zinsen anzuheben.

Wenn die Notenbanken beginnen das aktuell extrem lockere geldpolitische Umfeld zu straffen und die Funktionsfähigkeit der Rentenmärkte nicht gegeben ist, kann es zu starken Kursrückgängen bei Staatsanleihen kommen. Die damit dann merklich ansteigenden Renditen für Staatsanleihen, dürften die zunächst nur leicht restriktiven Effekte der langsam steigenden Notenbankzinsen, deutlich übertreffen und sich entsprechend deutlich negativ auf die realwirtschaftliche Entwicklung der einzelnen Länder, aber auch der Weltwirtschaft auswirken.

Bei solchen Effekten an den Rentenmärkten lässt sich eine Normalisierung der Geldpolitik nicht sinnvoll managen. Es ist den Notenbanken also dringend anzuraten, wieder für eine Normalisierung der Liquidität an den Rentenmärkten zu sorgen und von institutionellen Handelsbarrieren abzusehen. Wenn man dies versäumt, kann der Ausstieg aus der lockern Geldpolitik, der Einstieg in eine neue Wirtschaftskrise werden.

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