Geistesblitze der Ökonomie (VIII) "You can’t beat the market"

Kaum ein Lehrsatz der VWL war lange so unangefochten und ist dann in der Finanzkrise derart diskreditiert worden wie die Effizienzmarkthypothese. Beide Extrempositionen werden ihr - und ihrem geistigen Vater Eugene Fama - nicht gerecht.

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Mächtige Wall Street? Investoren können den Markt nicht dauerhaft überlisten. Quelle: AP

Man möchte nicht mit Eugene Fama tauschen, zumindest nicht in den vergangenen fünf Jahren. Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 hat der Chicagoer Starökonom einen schweren Stand: Kein Interview, kein Panel, kein Auftritt, bei dem der heute 74-Jährige nicht unter Beschuss gerät. Schadenfroh wollen viele von ihm wissen: Hält er an seinem Credo effizienter Märkte fest, oder gibt er zu, jahrzehntelang auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Fama aber bleibt dabei: "Märkte sind effizient und wenn nicht, wäre es unmöglich, das herauszufinden."

Die größten Ökonomen
Adam Smith, Karl Marx, John Maynard Keynes und Milton Friedman: Die größten Wirtschafts-Denker der Neuzeit im Überblick.
Gustav Stolper war Gründer und Herausgeber der Zeitschrift "Der deutsche Volkswirt", dem publizistischen Vorläufer der WirtschaftsWoche. Er schrieb gege die große Depression, kurzsichtige Wirtschaftspolitik, den Versailler Vertrag, gegen die Unheil bringende Sparpolitik des Reichskanzlers Brüning und die Inflationspolitik des John Maynard Keynes, vor allem aber gegen die Nationalsozialisten. Quelle: Bundesarchiv, Bild 146-2006-0113 / CC-BY-SA
Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises hat in seinen Arbeiten zur Geld- und Konjunkturtheorie bereits in den Zwanzigerjahren gezeigt, wie eine übermäßige Geld- und Kreditexpansion eine mit Fehlinvestitionen verbundene Blase auslöst, deren Platzen in einen Teufelskreislauf führt. Mises wies nach, dass Änderungen des Geldumlaufs nicht nur – wie die Klassiker behaupteten – die Preise, sondern auch die Umlaufgeschwindigkeit sowie das reale Produktionsvolumen beeinflussen. Zudem reagieren die Preise nicht synchron, sondern in unterschiedlichem Tempo und Ausmaß auf Änderungen der Geldmenge. Das verschiebt die Preisrelationen, beeinträchtigt die Signalfunktion der Preise und führt zu Fehlallokationen. Quelle: Mises Institute, Auburn, Alabama, USA
Gary Becker hat die mikroökonomische Theorie revolutioniert, indem er ihre Grenzen niederriss. In seinen Arbeiten schafft er einen unkonventionellen Brückenschlag zwischen Ökonomie, Psychologie und Soziologie und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der „Rational-Choice-Theorie“. Entgegen dem aktuellen volkswirtschaftlichen Mainstream, der den Homo oeconomicus für tot erklärt, glaubt Becker unverdrossen an die Rationalität des Menschen. Seine Grundthese gleicht der von Adam Smith, dem Urvater der Nationalökonomie: Jeder Mensch strebt danach, seinen individuellen Nutzen zu maximieren. Dazu wägt er – oft unbewusst – in jeder Lebens- und Entscheidungssituation ab, welche Alternativen es gibt und welche Nutzen und Kosten diese verursachen. Für Becker gilt dies nicht nur bei wirtschaftlichen Fragen wie einem Jobwechsel oder Hauskauf, sondern gerade auch im zwischenmenschlichen Bereich – Heirat, Scheidung, Ausbildung, Kinderzahl – sowie bei sozialen und gesellschaftlichen Phänomenen wie Diskriminierung, Drogensucht oder Kriminalität. Quelle: dpa
Jeder Student der Volkswirtschaft kommt an Robert Mundell nicht vorbei: Der 79-jährige gehört zu den bedeutendsten Makroökonomen des vergangenen Jahrhunderts. Der Kanadier entwickelte zahlreiche Standardmodelle – unter anderem die Theorie der optimalen Währungsräume -, entwarf für die USA das Wirtschaftsmodell der Reaganomics und gilt als Vordenker der europäischen Währungsunion. 1999 bekam für seine Grundlagenforschung zu Wechselkurssystemen den Nobelpreis. Der exzentrische Ökonom lebt heute in einem abgelegenen Schloss in Italien. Quelle: dpa
Der Ökonom, Historiker und Soziologe Werner Sombart (1863-1941) stand in der Tradition der Historischen Schule (Gustav Schmoller, Karl Bücher) und stellte geschichtliche Erfahrungen, kollektive Bewusstheiten und institutionelle Konstellationen, die den Handlungsspielraum des Menschen bedingen in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. In seinen Schriften versuchte er zu erklären, wie das kapitalistische System  entstanden ist. Mit seinen Gedanken eckte er durchaus an: Seine Verehrung und gleichzeitige Verachtung für Marx, seine widersprüchliche Haltung zum Judentum. Eine seiner großen Stärken war seine erzählerische Kraft. Quelle: dpa
Amartya Sen Quelle: dpa

Eugene Francis Fama, geboren 1934 in Boston als Enkel sizilianischer Einwanderer, gilt als der Begründer der Effizienzmarkthypothese (EMH). Diese geht im Kern davon aus, dass die Preise an den Finanzmärkten die vorhandenen Informationen zu den gehandelten Vermögenswerten vollständig widerspiegeln. Neue Informationen sind transparent und werden von rational handelnden Marktteilnehmern fortwährend eingepreist. Kurz gesagt: Der Investor entscheidet stets rational, der Markt aggregiert die Informationen. Folglich können weder Käufer noch Verkäufer den Markt auf Dauer schlagen.

Das klingt banal, hat jedoch weitreichende Folgen. Jahrzehntelang war die EMH das Mantra der Finanzmarkttheorie und trug zur Deregulierung der Finanzmärkte bei. In den Neunzigerjahren wuchs die Zahl der Kritiker, doch erst mit dem Beinahe-Kollaps des weltweiten Finanzsystems nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers 2008 war es vorbei mit dem ökonomischen Konsens. "Die (Effizienzmarkt-)Theorie wurde auf dem Weltwirtschaftsgipfel 2009 offiziell zu Grabe getragen. Es gab keine Trauergäste", spottete die britische "Times".

Doch ist die Effizienzmarkttheorie tatsächlich tot? Famas Theorie habe in der Finanzkrise versagt, sagen ihre Kritiker, die Zeit sei reif für ein neues Paradigma. Fama hält dagegen: Bislang habe niemand einen belastbaren Gegenentwurf präsentiert. Er sei Empiriker und brauche Beweise.

Harter Schlag - Eugene Fama glaubt unverdrossen an die Effizienz der Finanzmärkte. Quelle: Getty Images - Photo by Ann Summa - Time Life Pictures

Die Debatte um die Effizienz von Märkten ist so alt wie die Nationalökonomie. Ökonomen-Urvater Adam Smith nahm an, dass die Märkte wie von unsichtbarer Hand gesteuert in ein natürliches Gleichgewicht streben. Der britische Ökonom John Maynard Keynes hingegen sah die Märkte von "animal spirits" beeinflusst und daher oft nicht rational und reibungslos agierend. In den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts untersuchte die Moderne Portfoliotheorie das Investitionsverhalten an den Märkten. Sie kam unter der Annahme rationaler, nutzenmaximierender Investoren zu dem Schluss, dass Anleger ihr Vermögen breit streuen sollten, um die Risiken zu minimieren und ihre Renditen zu verbessern - eine Idee, auf der Effizienzmarkttheoretiker aufbauten.

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