Geistesblitze der Ökonomie (XIV) "Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage"

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Umdenken nach dem Crash

Lange bezweifelte niemand die Say’sche Logik, warum auch. Die Maschinen brummten, täglich strömten die Arbeiter in die Fabrikhallen, die industrielle Revolution war in vollem Gange. Doch die Krisen nahmen zu. Spätestens mit der Weltwirtschaftskrise Anfang des 20. Jahrhunderts setzte ein radikales Umdenken in der Wirtschaftswissenschaft ein. Börsencrash, Massenarbeitslosigkeit, Hungersnöte – unter den Eindrücken der Great Depression formulierte Says größter Kritiker seinen Gegenentwurf: John Maynard Keynes. Plötzlich waren die Prämissen der Klassik und Neoklassik nicht mehr Standard. Keynes drehte den Spieß um. Für ihn ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage die entscheidende Größe für Produktion und Beschäftigung. Nachfrage und Angebot seien nicht immer so verknüpft, dass Vollbeschäftigung herrsche, weil der Konsum nie die gesamte Produktion absorbieren könne. Keynes bezweifelte, dass sich Ersparnisse per se in Kredite verwandeln. In Krisenzeiten neige die Industrie dazu, Arbeitsplätze abzubauen, anstatt zu investieren. Für Keynes muss in diesen Fällen der Staat einspringen.

Die angebotsorientierten Monetaristen und ihr wohl prominentester Vertreter Milton Friedman holten das Say’sche Theorem später allerdings wieder aus der Versenkung. Seither liefern sich die beiden Denkschulen einen Wettstreit um die beste Wirtschaftspolitik.

Streng formal betrachtet, gilt das Say’sche Theorem in modernen Volkswirtschaften nicht mehr. Schon Karl Marx hatte Say als Vertreter der „Vulgärökonomie“ gescholten. Wenn jedes Angebot von alleine den Absatz produzierter Ware sicherstellen würde, könnte es keine Konjunkturschwankungen und unfreiwillige Arbeitslosigkeit geben. In der Realität sind Konsum- und Sparneigungen der Menschen nicht so einfach gestrickt. Say ging in seinem Modell zudem von einer Vollauslastung der Kapazitäten aus.

Dennoch, Say wird auch heute noch als Argument gegen eine ausschließlich nachfrageorientierte Politik und gegen einen zu starken Staatssektor herangezogen. Die Schulbuch-VWL verschreibt sich heute weder dem einen noch dem anderen Extrem, sondern plädiert für einen Mittelweg zwischen Keynesianismus und Denkschulen, die auf die Klassik zurückgehen.

Dass sich nun ausgerechnet der staatsgläubige François Hollande auf Say bezieht, zeigt indes, welche Wirkung klassische Ökonomen auch heute noch auf politische Entscheidungsprozesse haben können. „Langfristig kann die französische Wirtschaft in der Tat von der Stärkung der Angebotsseite profitieren“, sagt Klaus Schmidt, Ökonomieprofessor an der Universität München.

Eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik müsse nun mal beide Seiten beachten – die Nachfrage, aber auch das Angebot.

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