Geld- und Krisenpolitik Streit um Deutschlands Macht im EZB-Rat

Deutschland ist Europas Zahlmeister und könnte dennoch an Einfluss verlieren. Führt Litauen 2015 den Euro ein, ändern sich die Machtverhältnisse im EZB-Rat. Dass die Große Koalition das nicht stört, stößt auf Kritik.

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Die Euro-Skulptur vor dem Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main: Deutschland droht schon bald ein Machtverlust im EZB-Rat. Quelle: Imago

Berlin Die Bundesbank könnte von 2015 an zeitweilig ihr Stimmrecht im für die Geld- und Krisenpolitik entscheidenden Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) verlieren. Hintergrund ist eine Bestimmung in den Statuten der EZB aus dem Jahr 2003. Danach gilt ab einer bestimmten Größe der Euro-Zone im EZB-Rat ein Rotationsverfahren, damit das oberste Entscheidungsgremium beschlussfähig bleibt. Diese Situation kann bald eintreten: Litauen will den Euro im kommenden Jahr einführen. Dann wären erstmals mehr als 18 Zentralbankpräsidenten im EZB-Rat vertreten. Es wäre der Startschuss für das Inkrafttreten des veränderten Abstimmungsverfahrens.

Die Politik ist uneins darüber, wie mit dem drohenden Machtverlust umgegangen werden soll. In der Union wird befürchtet, Deutschland könnte bei wichtigen Entscheidungen, etwa im Krisenfall, bei Abstimmungen außen vor bleiben. In der SPD hält man das für hinnehmbar. Mancher CDU-Politiker hält ohnehin das Direktorium der EZB mit deutscher Beteiligung für wichtiger als den EZB-Rat.

Bislang werden bei Sitzungen des Rats die Stimmen aller Mitglieder gehört und gezählt. Neben den sechs Mitgliedern im EZB-Direktorium sind dies gegenwärtig 18 Präsidenten und Gouverneure der nationalen Zentralbanken des Euro-Systems. Mit jedem weiteren Mitgliedstaat im Euro-System wächst auch der EZB-Rat, wodurch prinzipiell eine effiziente und rechtzeitige Entscheidungsfindung schwieriger wird.

Bereits Ende 2002 hatte der EZB-Rat daher eine Änderung der Abstimmungsmodalitäten auf den Weg gebracht, wonach die Stimmrechte künftig gedeckelt werden und unter den nationalen Zentralbankpräsidenten im EZB-Rat „rotieren“ sollen. Ursprünglich sollte diese Änderung mit Beitritt des 16. Mitglieds zum Euro-Währungsgebiet in Kraft treten. Im Jahr 2008 beschloss der EZB-Rat jedoch, einen vorbehaltenen Spielraum zu nutzen und das Rotationssystem erst einzuführen, wenn die Anzahl der Präsidenten der nationalen Zentralbanken 18 übersteigt.

Nach dem Rotationsprinzip werden die Zentralbankpräsidenten entsprechend der Wirtschaftskraft und der Größe des Finanzsektors ihrer Heimatländer in Gruppen eingeteilt. Bei 19 bis 21 Mitgliedstaaten werden zwei Gruppen gebildet: Die nach den genannten Kriterien größten fünf Länder bilden die erste Gruppe. Auf sie entfallen vier Stimmrechte im EZB-Rat. Zu dieser Gruppe gehören Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und die Niederlande.

Die Stimmen innerhalb dieser Gruppe rotieren im monatlichen Turnus,  sodass jeden Monat einer der Präsidenten der Zentralbanken der fünf größten Länder keine Stimme im Rat hat. Bundesbankpräsident Jens Weidmann, als Vertreter der Bundesbank im EZB-Rat, würde demnach alle fünf Monate aussetzen. Er behielte aber zu jeder Sitzung sein Teilnahme- und Mitspracherecht.

Dieses steht laut dem Rotationsprinzip nämlich auch denjenigen Präsidenten zu, die gerade keine Stimme im Rat haben. Ihre Argumente – etwa zu Zinsentscheidungen oder Sondermaßnahmen – können also weiterhin in jeder Sitzung im Rat vorgetragen werden und so die Entscheidungen der Stimmberechtigten mit beeinflussen.


SPD-Finanzminister warnt vor nationalistischen Tönen

Darauf weisen auch Koalitionspolitiker hin, dennoch ist der zeitweilige Stimmrecht-Verlust umstritten. „Wenn sich die Krise dann wieder einmal zuspitzt und über Nacht Fakten geschaffen werden, – was in den vergangenen Jahren nicht selten vorgekommen ist – dann dürfen wir Deutschen als Hauptzahler nicht einmal mitstimmen“, sagte der CDU-Wirtschaftspolitiker Klaus-Peter Willsch Handelsblatt Online. Die Parlamentarier im Bundestag dürften sich daher „nicht wegducken“. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil zum Euro-Rettungsschirm ESM vom Dienstag „klipp und klar gesagt, dass es keine Automatismen in der Euro-Rettungspolitik geben darf“. Aus diesem Grund habe das Gericht auch schon frühzeitig die Schaffung eines geheim tagenden Sondergremiums verworfen.

Der stellvertretende Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Ralph Brinkhaus (CDU), erinnerte daran, dass der EZB-Rat unabhängig von nationalstaatlichen Interessen sei. „Jeder weiß, dass diese strikte gedankliche Trennung in der Praxis nicht immer ganz einfach ist. Daher ist es durchaus von Bedeutung, dass Bundesbankpräsident Weidmann in der Runde des EZB-Rates ständig dabei ist“, sagte Brinkhaus Handelsblatt Online. Entscheidend sei zudem, dass Deutschland mit Sabine Lautenschläger, der früheren Bundesbank-Vizepräsidentin, eine weitere deutsche Vertreterin in der EZB habe. „Wir sollten auch in Zukunft ein Auge darauf haben, dass Deutschland derart prominent in der EZB vertreten ist.“

Auch die SPD sieht keine Veranlassung an der Rotationsregel zu rütteln. „Die Entscheidungen der EZB dienen der Geldwertstabilität im Euro-Raum insgesamt“, sagte Fraktionsvize Carsten Schneider Handelsblatt Online. Die wichtigsten Grundlagen dafür seien die Glaubwürdigkeit und deshalb die Unabhängigkeit der EZB. „Eine nationale Betrachtung dieser Entscheidungen wäre deshalb diesen Grundlagen abträglich.“

Ähnlich äußerte sich der Finanzminister von Rheinland-Pfalz, Carsten Kühl. „Wer das verabredete Prozedere in Zukunft anders gestalten will, muss sich auch damit durchsetzen. Ich denke nur, wir sollten hier keine nationalistischen Töne anschlagen“, sagte der SPD-Politiker Handelsblatt Online. „Als Nettozahler nehmen wir Verantwortung wahr und die hört nicht beim Portemonnaie auf, sondern setzt sich fort im Ringen um den besten Weg für Europa.“ Deutschlands Einfluss würde er daher eher danach bemessen wollen, „ob wir gute Vorschläge machen und möglichst viele für deren Umsetzung überzeugen können“.

Im Übrigen gebe es einen Machtverlust für Deutschland nur dann, „wenn die Mitglieder des EZB-Rates die Welt mit ihrer nationalen Brille sehen und dann auch so entscheiden würden“, sagte Kühl weiter. „Aber genau so ist es nicht, sondern es geht hier um die Verantwortung für die Geldpolitik für ganz Europa.“ Bisher habe der Rat diese Verantwortung „angemessen und erfolgreich“ wahrgenommen. Wenn der Bundesbankpräsident  im Jahr in rund vier Sitzungen nicht entscheide, sei das „akzeptabel“, betonte der Minister. Ziel sei es, Entscheidungsprozesse effizient zu gestalten und dabei alle Euro-Länder angemessen zu berücksichtigen. §Entscheidend ist“, so Kühl, „dass der Präsident der Deutschen Bundesbank, auch wenn er nicht stimmberechtigt ist, mit am Tisch sitzt und seine Argumente vortragen und damit überzeugen kann.“


AfD-Chef Lucke bangt um deutschen Stabilitätskurs

Der CDU-Politiker Willsch würde es hingegen „ausdrücklich“ begrüßen, wenn das Parlament als Ganzes mehr an sich ziehen würde, zumal eine abermalige Zuspitzung der Euro-Krise nicht ausgeschlossen sei. „Es herrscht derzeit eine trügerische Ruhe. Eine Entspannung ist aber nicht eingetreten, eher eine Gewöhnung“, sagte der CDU-Politiker. Die Schuldenstände in den Schuldenstaaten stiegen weiterhin. „Schaut man sich beispielsweise das Defizit Griechenlands an, so denkt man, es hätte nie einen Schuldenschnitt gegeben“, kritisierte Willsch.

Auch für den FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing ist es nicht hinnehmbar, dass Deutschlands Stimme in der Zentralbank wegrotiert wird. „Deutschland sollte als größter Kapitalgeber auch über eine angemessene Vertretung im EZB-Rat verfügen. Das ist eine politische Selbstverständlichkeit“, sagte Wissing Handelsblatt Online. „Allerdings hat Deutschland den derzeitigen Regeln zugestimmt und kann diese nur gemeinsam mit den Partnerländern ändern.“

Nach Wissings Vorstellung sollten die Stimmverhältnisse in der EZB ein „Signal für den weiteren europäischen Einigungsprozess“ sein. Mehr Einheit müsse immer auch die Beachtung der Bevölkerungszahl bedeuten, sagte das FDP-Präsidiumsmitglied. Deutschland müsse dabei nur beachten, „dass auch dann Entscheidungen auch gegen die Vorstellungen unseres Landes möglich sind“. 

Für den Chef der Alternative für Deutschland (AfD), den Hamburger Ökonom Bernd Lucke, ist das zeitweise Ausscheiden des Bundesbankpräsidenten aus dem Zentralbankrat eine „erhebliche Schwächung der deutschen Position“. Auch wenn Deutschland dann immer noch durch das Direktoriumsmitglied Lautenschläger im EZB-Rat vertreten sei, „ist die Tatsache, dass der Präsident der deutschen Bundesbank jeden fünften Monat aussetzen muss, durch keinen sachlichen Grund zu rechtfertigen“, sagte Lucke Handelsblatt Online. Dass das Rotationsprinzip vorsieht, dass die fünf größten Euro-Länder nur vier Stimmrechte haben, verstärke die jetzt schon in der EZB angelegte Tendenz, dass kleine Länder die großen überstimmen können, obwohl sie nach Wirtschaftskraft und Bevölkerung lange nicht so bedeutend seien. „Naturgemäß birgt es auch die Gefahr, dass der traditionelle deutsche Stabilitätskurs beiseite gewischt wird“, sagte Lucke.

Der Frankfurter Ökonom Thorsten Polleit bemängelt zwar, dass Rotationsprinzip im EZB-Rat 2003 von den Zentralbankratsmitgliedern „eigenmächtig in Eigenregie beschlossen“ worden sei. Doch die Parlamentarier und Regierungschefs hätte die Entscheidung damals nicht beanstandet. „Das rächt sich nun, vor allem für Deutschland“, sagte Polleit Handelsblatt Online.

Trotzdem kann ihn die Überlegung, dass das deutsche Parlament mehr Mitspracherechte haben sollte, damit Deutschlands Interessen nicht Schaden nehmen, nicht überzeugen. „Der Bundestag hat schließlich bisher alles durchgewunken, was unter der Überschrift Euro-Rettung stand: Bail-outs, ESM, Bankenunion“, sagte der Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance. „Wäre da nicht die Deutsche Bundesbank, hätten die Parlamentarier vermutlich schon grünes Licht gegeben für die Anleihekäufe der EZB.“


„Gegenmittel gegen den politischen Kuhhandel“

Der Ökonom Ansgar Belke teilt die Auffassung des CDU-Finanzexperten Brinkhaus. Viel wichtiger sei, dass Deutschland immer prominent im EZB-Direktorium vertreten sei. „Insofern ist die Rotationsregel letztlich aus spezifisch deutscher Sicht machtpolitisch zu verkraften, denn Deutschlands Einfluss schwindet nicht notwendigerweise“, sagte der Direktor des Instituts für Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft (IBES) an der Universität Duisburg-Essen Handelsblatt Online.

Deutschlands Gewicht innerhalb der Zentralbank könne sogar größer werden. „Denn ein leicht verringerter Einfluss des deutschen Bundesbankpräsidenten geht einher mit zunehmendem Einfluss unserer Vertreterin im Direktorium, der zudem Kompetenzen in einem Kernbereich zukünftiger Geldpolitik zufallen, der Finanzstabilität.“ Berücksichtige man weiter, dass auch die Finanzmarktaufsicht bei der EZB angesiedelt sei, diene dies auch originär deutschem Interesse. „Hierfür hat unsere Bundesregierung wohlweislich gesorgt“, sagte Belke.

Gleichwohl wird Deutschland aus Sicht Belkes in Zukunft aber „noch stärker darauf achten müssen, dass ein Sitz im Direktorium der EZB von einem deutschen Vertreter besetzt wird“. Ebenso betrieben es die anderen großen Euro-Mitgliedstaaten, allen voran Italien, die regelmäßig vier der sechs Sitze im Direktorium unter sich aufteilen. „Deshalb sehe ich gerade kein individuelles Problem für Deutschland, sondern eher eines für die Unabhängigkeit der Geldpolitik in der Euro-Zone insgesamt“, sagte der Ökonom.

„Die Rolle eines Euro-zentrischen Direktoriums ist also enorm wichtig und entscheidend über die Stabilität der Euro-Geldpolitik“, betonte Belke. „Registriert man doch seit geraumer Zeit, dass innerhalb des EZB-Rats die Macht des Direktoriums gegenüber den nationalen Notenbankgouverneuren ständig zunimmt und die Unterminierung der politischen Unabhängigkeit der Notenbank genau hier stattfindet.“

Dies zeige nicht zuletzt das „Geschachere um die EZB-Direktoriumsposten, das mittlerweile ohne Skrupel in Wechselbeziehung mit der Besetzung anderer wichtiger Ämter – Vorstand der Euro-Gruppe, Chef des ESM etc. – und makroökonomischer Denkschulen stattfindet“. Ähnliches sei gerade auf nationaler, deutscher Ebene bei der Besetzung der Vize-Präsidentin der Bundesbank zu beobachten gewesen.

Belke sieht Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken. „Gegenmittel gegen den politischen Kuhhandel bei geldpolitischen Entscheidungen wäre ein supra-nationaler Zuschnitt der Regionen, aus denen EZB-Gouverneure mit Stimmrecht entsandt werden, nach US-amerikanischem Vorbild“, sagte der Essener Ökonom. Dort entsenden mehrere Bundesstaaten gemeinsam einen Gouverneur. „Auch sinnvoll wäre eine Aufteilung bei der Geldpolitik wie in einem Unternehmen“, fügte Belke hinzu.

Es gebe dann ein Direktorium, das wie ein Vorstand das tägliche Geschäft, einschließlich der monatlichen geldpolitischen Entscheidungen, vollziehe, und einen EZB-Rat, einschließlich der nationalen Notenbankgouverneure, der wie ein Aufsichtsrat bei Entscheidungen von Grundsätzlichkeit beziehungsweise mit besonderer Tragweite einzuschalten sei - und ansonsten die Einhaltung der Notenbankverfassung überwache.

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