Geldpolitik Mario Draghi und der Code der Zentralbanker

Mit einer ausgeklügelten Rhetorik und speziellen Kommunikation versuchen die Notenbanken, die Finanzmärkte zu steuern. Manchmal geht das ziemlich daneben.

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Mit ausgeklügelten Worten versuchen die Notenbanken, die Märkte zu steuern. Quelle: Illustration: Simon Prades

Die Macht seiner Worte ist Mario Draghi wohl bewusst. Wie rasend schnell die Märkte auf seine Äußerungen reagieren, erlebte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) zuletzt nach einem Notenbanker-Treffen im portugiesischen Sintra. Kaum hatte Draghi dort vage angedeutet, die expansive Geldpolitik der EZB etwas zurückzufahren, schnellten die Anleiherenditen nach oben. Der Euro-Kurs kletterte auf ein Zwölf-Monats-Hoch. Die Marktreaktion war so stark, dass die EZB in Frankfurt streuen ließ, die Aussagen ihres Präsidenten seien überinterpretiert worden.

Das Wörterbuch der EZB: Die Schlüsselwörter der Notenbanker - und was sie bedeuten

Mit jedem noch so vertüftelten Statement, mit jedem austarierten, wohlbedachten Satz löst der EZB-Chef Reaktionen an den Märkten aus. Seine Rhetorik hat eine steuernde Funktion und manchmal auch eine explosive Wirkung. Draghis Worte können Erwartungen bestätigen und enttäuschen. Jedes Silbe legen Analysten bei seinen öffentlichen Auftritten auf die Goldwaage, jede Nuance seiner abgezirkelten Bulletins wird abgeklopft, ob sie einen Hinweis auf eine Änderung der Geldpolitik enthält. Das wird auch nächsten Donnerstag so sein, wenn die Euro-Hüter in Frankfurt zu ihrer nächsten Sitzung zusammenkommen.

Gemurmel aus der Badewanne

Die Idee, die Finanzmärkte mit verbaler Kommunikation zu steuern, stammt ursprünglich aus den USA. Bis Mitte der Neunzigerjahre gab die US-Notenbank Fed nicht einmal bekannt, ob und in welchem Ausmaß sie die Zinsen ändert. Investoren erfuhren von Zinsbeschlüssen der Fed nur indirekt, nämlich immer dann, wenn die Notenbank mehr oder weniger Wertpapiere gegen Zentralbankgeld erwarb und so den Zins am Interbankenmarkt bewegte.

Erst 1994 entschloss sich die Fed, ihre Zinsentscheidungen offiziell mitzuteilen. Und ihr damaliger Chef Alan Greenspan (1987 bis 2006) machte sich daraus einen mächtigen Spaß: Er liebte es, die Märkte zu verwirren, ihnen wortreich nichts mitzuteilen. Mit seinem vieldeutigen Gemurmel, genannt Greenspeak, gab er den Marktteilnehmern regelmäßig Rätsel auf: „Ich hoffe, ich war zweideutig genug. Wenn Sie glauben, mich verstanden zu haben, dann habe ich mich falsch ausgedrückt“, pflegte Greenspan zu sagen. Das Geschwurbel von Greenspan, der seine Reden während des morgendlichen Wannenbads vorbereitete, hatte System: Greenspan wollte die Anleger im Unklaren über den Kurs der Fed lassen, damit sie nicht alle in die gleiche Richtung liefen und die Märkte destabilisierten.

Greenspans Nachfolger Ben Bernanke verstärkte die Kommunikation, indem er zu Pressekonferenzen einlud und die Sitzungsprotokolle der Fed veröffentlichte. Er wollte die Erwartungen der Marktteilnehmer so steuern, dass sie mit ihrem Handeln die Zinsen in die von der Zentralbank gewünschte Richtung drücken. Als 2007 die Finanzkrise ausbrach, versprach er, den Leitzins für längere Zeit niedrig zu halten.

Kommunikation drastisch geändert

Auch in Europa hat sich die Kommunikationspolitik der Zentralbanken drastisch geändert. „In den Siebzigerjahren hielten die Präsidenten der Bundesbank zwei bis drei Mal im Jahr eine Rede, das war’s“, erinnert sich Otmar Issing, ehemaliger Chefvolkswirt von Bundesbank und EZB. Das wichtigste Instrument, mit dem die Bundesbanker ihre Botschaften unters Volk brachten, war ihr Monatsbericht. „Der Bericht ging mit dreitägiger Sperrfrist an die Presse, damit die Journalisten ihn ausführlich in ihrer Berichterstattung berücksichtigten“, sagt Issing. Manche Journalisten hätten sogar ihre Urlaubsplanung nach den Veröffentlichungsterminen des Monatsberichts gerichtet.

Als der Euro die D-Mark 1999 ablöste und die EZB die Kontrolle über die Geldversorgung übernahm, wandelte sich die Kommunikationsstrategie der Zentralbanker. Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet entwickelte Codewörter, mit denen er den Märkten geldpolitische Absichten signalisierte. Sprach er etwa von „erhöhter Wachsamkeit“, war klar: Beim nächsten Treffen hebt der Mann die Zinsen an.

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