Globalisierungsindex Globalisierung kommt nur mäßig voran

Industrieländer haben sich in den vergangenen Jahren kaum noch vernetzt. Die Dynamik der Globalisierung bestimmen jetzt Schwellen- und Entwicklungsländer.

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Wie sich die Welt abschottet
US-Präsident Barack Obama Quelle: dpa
Ein Straßenhändler in Indien Quelle: REUTERS
Ein Bauer füttert seine Kühe Quelle: dpa/dpaweb
Abbau von Seltenen Erden in einer Mine in Ganxian Quelle: dpa
Die Christusstatue auf dem Corcovado Quelle: dapd
Mitarbeiter der Volkswagen AG im VW-Werk in Kaluga Quelle: AP
Arbeiter entladen importierten Reis von einem Schiff Quelle: REUTERS

Die anhaltenden Krisen auf den Weltmärkten setzen den internationalen Handels- und Geldströmen zu. So zumindest liest sich das Fazit des neuen DHL-Globalisierungsindex von Pankaj Ghemawat und Steven Altman. Zwar wachsen einerseits sowohl die Informations- und Kapitalflüsse insgesamt. Die Handelsströme hingegen sinken.

Noch im August legten die Strategieberater von McKinsey eine anders gelagerte, äußerst optimistische Prognose vor. Bis 2025 könne sich der Wert von internationalen Güter-, Waren- und Dienstleistungsströmen mehr als verdreifachen – von aktuell 26 Billionen Dollar auf bis zu 85 Billionen. Hauptantreiber sollen vor allem mehr Wohlstand und globale Teilhabe der Entwicklungs- und Schwellenländer sein.

Der jetzt veröffentlichte Globalisierungsindex zeigt jedoch, dass zu viel Euphorie fehl am Platz ist. Auch Nobelpreisträger Paul Krugman schreibt: „Die globale Vernetzung scheint zu erlahmen.“

Das sind die Märkte von morgen
Prag Quelle: AP
Budapest Quelle: dpa
Algier Quelle: dpa Picture-Alliance
Rabat Quelle: dpa Picture-Alliance
Mexiko-Stadt Quelle: dpa Picture-Alliance
Ankara Quelle: Ankara Views Peretz Partensky CC2.0 Generic License
Seoul Quelle: Patriot Missile at the English Language Wikipedia CC Share-Alike 3.0 Unported

Insgesamt 140 Länder, die für 99 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts sowie 95 Prozent der Weltbevölkerung stehen, berücksichtigt der Globalisierungsindex. Aus über einer Million Daten aus Handels-, Finanz-, Informations- und Menschenströmen errechneten die Forscher einen Lagebericht. Wir stellen Ihnen die fünf wichtigsten Erkenntnisse vor:

Niveau der Handelsströme noch hinter Vor-Krisen-Zeit

Die Globalisierung komme langsamer voran als gedacht. Auch wenn sich der Freihandel allmählich erholt – insgesamt liegt er noch hinter seinem Höchstwert aus dem Jahr 2007 zurück.

So sei die Globalisierung zwar in der Tiefe gewachsen – es gab zwischen den Ländern also insgesamt einen größeren Austausch von Waren, Dienstleistungen, Informationen und Menschen als noch im Jahr 2005. Gleichzeitig hat aber die Breite dieser Beziehungen abgenommen. Das bedeutet: Der absolute Wert steigt - die Zahl der Länder, mit denen gehandelt wird, sinkt.

So vernetzt ist die Welt: Die Struktur der globalen Handelsströme. Quelle: DHL Global Connectedness Index 2014

Wie eingeschränkt die Globalisierung ist, zeige sich treffend am Beispiel Deutschland, dessen Exporte zu 70 Prozent nach Europa gehen. „Deutschland wird zwar zu Recht als eine der stärksten Exportnationen der Welt betrachtet. Aber die starke regionale Konzentration veranschaulicht die mangelnde Breite der globalen Vernetzung“, sagt Pankaj Ghemawat, der Autor der Studie.

Deutschland habe mit den Entwicklungen in den aufstrebenden Märkten nicht Schritt gehalten. „Wäre der Anteil deutscher Unternehmer mit der Wirtschaft der Entwicklungsländer gewachsen, könnten ihre Exporte heute 17 Prozent höher liegen.“

2013 exportierte Deutschland Waren im Wert von reichlich einer Billion Euro. Das vermeintlich verschenkte Potenzial liegt also bei 170 Milliarden Euro.

Kapitalflüsse erholen sich

Ähnlich dem Gesamtbild entwickeln sich die Kapitalströme. Diese erholen sich zwar langsam, liegen aber noch hinter dem Vor-Krisen-Niveau zurück. So erreichte der internationale Kapitalfluss 2011 einen Wert von reichlich vier Billionen US-Dollar. Das liegt deutlich hinter den fast 12 Billionen US-Dollar aus 2007.

Globalisierung immer weniger von Industrieländern geprägt

Die wachsende Globalisierung profitiere vor allem von den aktiveren Schwellen- und Entwicklungsländer. Insgesamt stellen die Geschäfte zwischen den aufstrebenden Ländern heute schon 17 Prozent aller internationalen Handelsbewegungen. 2005 lag dieser Wert gerade noch bei neun Prozent. „Der Schub in den aufstrebenden Ländern verlagert das wirtschaftliche Epizentrum des Planeten weiter nach Osten“, schreiben die Autoren.

Das Ende des Wachstums
Brasilien: Schwache Strukturen bremsen das große PotenzialDie größte Volkswirtschaft Lateinamerikas will nicht mehr so recht anlaufen. Wuchs sie 2010 noch um über sieben Prozent, hat sie seitdem nicht einmal mehr drei Prozent erreicht. Der IWF korrigierte seine aktuelle Prognose sogar noch nach unten. Unter den Schwellenländern wurde die Prognose für Brasilien am stärksten gekürzt. Hier sieht der IWF im laufenden Jahr ein Wachstum von 0,3 Prozent und im nächsten Jahr von 1,4 Prozent. Im Juli rechnete der IWF noch mit 1,3 Prozent und zwei Prozent Plus. Langfristig sehen mehrere Studien nach wie vor ein großes Wachstumspotenzial für Brasilien. Das liegt vor allem an dem Rohstoffreichtum des Landes, der gut funktionierenden Landwirtschaft und der großen und konsumfreudigen Bevölkerung. Kurz- und mittelfristig seien die Aussichten allerdings unsicher. So bemängeln Analysten die hohen Steuern und das komplizierte Steuersystem. Weitere Wachstumshemmnisse sind die marode brasilianische Infrastruktur und die schwerfällige Bürokratie. Hohe Löhne und Finanzierungskosten sowie protektionistische Handelsregeln halten Investoren derzeit auf Abstand. Auch qualifizierte Arbeitskräfte sind Mangelware - die Arbeitsproduktivität in der sechst größten Volkswirtschaft der Welt liegt 30 bis 50 Prozent unter dem europäischen Niveau. Die Arbeitslosenquote ist mit 5,6 Prozent relativ moderat. Brasiliens Präsidentin Dilma Roussef hat nach ihrem knappen Wahlsieg viel zu tun, wenn sie die Potenziale ihrer Volkswirtschaft ausreizen will. Quelle: dapd
„Sollte das Wachstum jetzt geringer ausfallen, wird die Regierung alle Instrumente nutzen, um eine Konjunkturabkühlung zu verhindern“, erwartet José Carlos de Faria, Chefökonom der Deutschen Bank in São Paulo. Unterstützung erhält die Konjunktur dadurch, dass derzeit staatliche und private Infrastrukturprojekte für umgerechnet rund 180 Milliarden Euro bis 2014 umgesetzt werden. Und Brasilien verfügt über Spielraum für weitere Stimulierungen. Die Devisenreserven sind hoch, ausländisches Kapital strömt weiter ins Land, und auch die Notenbank kann die Zinsen noch senken. Doch Wachstumsraten von über sieben Prozent wie 2010 sind außer Sichtweite: Nach einer Umfrage der Zentralbank rechnen die führenden Investmentbanken damit, dass Brasilien 2013 rund vier Prozent wachsen wird. Alexander Busch Quelle: AP
Russland: Die Wirtschaftssanktionen sind nicht Russlands größtes ProblemDer größte Flächenstaat hat sich selbst in eine Krise manövriert. Die politische Machtdemonstration in der Ukraine kostet Russlands Wirtschaft Kraft. Erst im vergangenen Monat hat die US-Ratingagentur Moody's die Kreditwürdigkeit Russlands deswegen von „Baa1“ auf „Baa2“ herabgestuft – damit liegt die Bonität Russlands nur noch knapp über dem Ramschniveau. Auch der Ausblick für die zukünftige Entwicklung ist negativ. Die Sanktionen des Westens belasten die mittelfristigen Wachstumsaussichten. Der IWF geht davon aus, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 0,2 Prozent und im nächsten Jahr um 0,5 Prozent wachsen wird. Allerdings sind die Wirtschaftssanktionen nicht das größte Problem Russlands. Der Absturz des Rubels und des Ölpreises machen der Wirtschaft viel mehr zu schaffen. Quelle: picture-alliance/ dpa
Gazprom profitiert zwar von dem Ende des Gasstreits zwischen der Ukraine und Russland – gute Zukunftsaussichten sehen aber anders aus. Der Ölpreis ist aufgrund der nachlassenden Weltkonjunktur von 107 Dollar pro Fass auf 86 Dollar gefallen. Für die vom Öl und von Gas abhängige russische Wirtschaft birgt das große Probleme – Russland generiert rund die Hälfte seiner Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Die Schwäche des Rubels drückt das Wachstum ebenfalls und kostet Russland monatlich Milliarden. Seit Januar ist der Kurs des Rubels um 20 Prozent gefallen. Das führt dazu, dass die Importe teurer werden. Der Lebensmittelpreis ist beispielsweise im September um zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Quelle: dpa
Indien: Eine Wirtschaft auf ReformkursGemessen an den Bevölkerungszahlen ist Indien die zweitgrößte Wirtschaft der Welt. Auch in Bezug auf das Wirtschaftswachstum war Indien lange Zeit weltspitze. 2010 wuchs die Wirtschaft noch um über zehn Prozent – 2014 sind es vergleichsweise nur noch magere fünf Prozent. Gemessen an den westlichen Industrieländern ist diese Quote allerdings immer noch beeindruckend. Für 2015 erwartet der IWF, dass die indische Wirtschaft wieder stärker anzieht. Ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent wird erwartet. Besonders tragen dazu die Bereiche Elektrizität, Gas- und Wasserversorgung sowie Finanzen an. Analysten fühlen sich in ihrer Annahme bestätigt: Sie mutmaßten, dass das zuletzt verhältnismäßig enttäuschende Wirtschaftswachstum auf eine ineffiziente Wirtschaftspolitik zurückzuführen ist. In den letzten beiden Jahren wuchs die indische Wirtschaft um weniger als fünf Prozent. Der neue Premierminister Narenda Modi reformiert das Land. So erneuert er beispielsweise die indischen Arbeitsgesetze, die zum Teil noch aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft stammten, die 1974 endete. Quelle: ap
Problematisch ist für Indien die nach wie vor hohe Abhängigkeit von der Landwirtschaft. Zwar macht sie mittlerweile nur noch 14 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, von ihren Erträgen hängt aber immer noch das Wohl von 40 Prozent der Bevölkerung ab. Der Monsunregen, der für die Landwirtschaft existenziell ist, fiel in diesem Jahr nur schwach aus. Ein weiteres Problem ist die Teuerung, die Indien nicht in den Griff zu kriegen scheint. Im Juli lagen die Verbraucherpreise Indiens über acht Prozent über dem Vorjahreswert. Der Notenbankgouverneur Raghuram Rajan hat sich deshalb verpflichtet, den Anstieg der Konsumentenpreise bis 2015 auf unter acht Prozent zu drücken. Quelle: dpa
China: Vom Bauernstaat zur modernen DienstleistungsnationVon 2002 bis 2012 wuchs Chinas Wirtschaft um unfassbare 170 Prozent. Doch die Zeiten des Super-Wachstums scheinen vorerst vorbei zu sein. Im dritten Quartal 2014 ist die chinesische Wirtschaft so langsam gewachsen wie seit 2009 nicht mehr. Der IWF geht aber nach wie vor von Wachstumsraten über sieben Prozent aus. China ist aber nur scheinbar geschwächt. Die Staatsführung will die Wirtschaft neu ausrichten und ist bereit, dafür geringeres Wachstum hinzunehmen. Der Kurs scheint erfolgreich. Alleine in den ersten acht Monaten dieses Jahres wurden in China zehn Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Ein moderner Dienstleistungsstaat will China werden. Dienstleistungen trugen im ersten Halbjahr 2014 mit 46 Prozent mehr zum BIP bei als die Industrie. Die Hightech-Industrie legte um 12,4 Prozent zu. Zu den neuen Motoren der chinesischen Wirtschaft zählt auch das Online-Geschäft, das um fast 50 Prozent zulegte. Quelle: dpa

Gerade die südostasiatischen Länder zeichnen sich durch besonders intensive Handelsbeziehungen aus. Vor allem Malaysia, Vietnam, Kambodscha, Hong Kong und Singapur erzielen hohe Globalisierungswerte. Die dominanteste Nation ist aber nach wie vor China. Das Land ist an mehr als jedem zehnten globalen Handelsstrom beteiligt – ein Wert, den kein Land übertrifft.

Europa am stärksten vernetzt

Gleichwohl bleibt Europa noch die am stärksten vernetzte Region der Welt – mit neun der zehn besten Länder im Gesamt-Ranking. Das größte und dichteste Netzwerk haben die Niederlande gesponnen, vor Irland und Singapur. Deutschland folgt auf Rang neun. Europa ist besonders abhängig von seiner Regionalität. 78 Prozent aller Exporte bleiben auf dem Kontinent.

Die Studie warnt hingegen vor protektionistischen Tendenzen. Gerade in Zeiten schwächelnder Wirtschaft werde die Kraft der globalen Vernetzung gebraucht, damit sich das Wachstum schneller erhole.

Die Freihandelsabkommen

Weniger Regionalisierung – mehr Distanz

Doch nicht alle Länder profitieren von regional starken Beziehungen wie Europa. Im Gesamtbild nimmt die Distanz zwischen den vernetzten Ländern zu. Lag die durchschnittliche Entfernung des Index‘ 2005 noch bei 4647 Kilometern, stieg er bis 2013 auf 4904 Kilometer – ein Anstieg von knapp sechs Prozent.

Diesem Trend folgte auch Deutschland, wenngleich die Veränderung sich eher unbedeutend von 2703 Kilometer auf 2821 Kilometer vergrößerte.

Wissenshochburgen Industrieländer

Wenn es um die Ausbildung geht, sind die Industrieländer nach wie vor stark gefragt. Das hat einen Grund: Nach einer Untersuchung des Academic Ranking of World Universitys stehen 99 der 100 besten Hochschulen in Industrieländern. So gehen mehr als die Hälfte aller Studentenbewegungen von aufstrebenden Ländern in entwickelte Länder. Vor allem Chinesen und Inder drängt es an US-amerikanische Hochschulen.

Generell belegen aber auch die Studentenbewegungen die moderate Internationalisierung: Gerade einmal zwei Prozent aller Studenten sind an einer Hochschule im Ausland eingeschrieben.

Wenngleich die Autoren mit Sorge den geringen Fortschritt der Globalisierung betrachten – im Kern bleiben auch sie optimistisch. „Trotz aller Sorgen müssen wir eine Sache bedenken: Die Weltwirtschaft soll zwischen 2014 und 2019 immer noch schneller wachsen als in den letzten 30 Jahren“, heißt es in der Studie.

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