Die anhaltenden Krisen auf den Weltmärkten setzen den internationalen Handels- und Geldströmen zu. So zumindest liest sich das Fazit des neuen DHL-Globalisierungsindex von Pankaj Ghemawat und Steven Altman. Zwar wachsen einerseits sowohl die Informations- und Kapitalflüsse insgesamt. Die Handelsströme hingegen sinken.
Noch im August legten die Strategieberater von McKinsey eine anders gelagerte, äußerst optimistische Prognose vor. Bis 2025 könne sich der Wert von internationalen Güter-, Waren- und Dienstleistungsströmen mehr als verdreifachen – von aktuell 26 Billionen Dollar auf bis zu 85 Billionen. Hauptantreiber sollen vor allem mehr Wohlstand und globale Teilhabe der Entwicklungs- und Schwellenländer sein.
Der jetzt veröffentlichte Globalisierungsindex zeigt jedoch, dass zu viel Euphorie fehl am Platz ist. Auch Nobelpreisträger Paul Krugman schreibt: „Die globale Vernetzung scheint zu erlahmen.“
Insgesamt 140 Länder, die für 99 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts sowie 95 Prozent der Weltbevölkerung stehen, berücksichtigt der Globalisierungsindex. Aus über einer Million Daten aus Handels-, Finanz-, Informations- und Menschenströmen errechneten die Forscher einen Lagebericht. Wir stellen Ihnen die fünf wichtigsten Erkenntnisse vor:
Niveau der Handelsströme noch hinter Vor-Krisen-Zeit
Die Globalisierung komme langsamer voran als gedacht. Auch wenn sich der Freihandel allmählich erholt – insgesamt liegt er noch hinter seinem Höchstwert aus dem Jahr 2007 zurück.
So sei die Globalisierung zwar in der Tiefe gewachsen – es gab zwischen den Ländern also insgesamt einen größeren Austausch von Waren, Dienstleistungen, Informationen und Menschen als noch im Jahr 2005. Gleichzeitig hat aber die Breite dieser Beziehungen abgenommen. Das bedeutet: Der absolute Wert steigt - die Zahl der Länder, mit denen gehandelt wird, sinkt.
Wie eingeschränkt die Globalisierung ist, zeige sich treffend am Beispiel Deutschland, dessen Exporte zu 70 Prozent nach Europa gehen. „Deutschland wird zwar zu Recht als eine der stärksten Exportnationen der Welt betrachtet. Aber die starke regionale Konzentration veranschaulicht die mangelnde Breite der globalen Vernetzung“, sagt Pankaj Ghemawat, der Autor der Studie.
Deutschland habe mit den Entwicklungen in den aufstrebenden Märkten nicht Schritt gehalten. „Wäre der Anteil deutscher Unternehmer mit der Wirtschaft der Entwicklungsländer gewachsen, könnten ihre Exporte heute 17 Prozent höher liegen.“
2013 exportierte Deutschland Waren im Wert von reichlich einer Billion Euro. Das vermeintlich verschenkte Potenzial liegt also bei 170 Milliarden Euro.
Kapitalflüsse erholen sich
Ähnlich dem Gesamtbild entwickeln sich die Kapitalströme. Diese erholen sich zwar langsam, liegen aber noch hinter dem Vor-Krisen-Niveau zurück. So erreichte der internationale Kapitalfluss 2011 einen Wert von reichlich vier Billionen US-Dollar. Das liegt deutlich hinter den fast 12 Billionen US-Dollar aus 2007.
Globalisierung immer weniger von Industrieländern geprägt
Die wachsende Globalisierung profitiere vor allem von den aktiveren Schwellen- und Entwicklungsländer. Insgesamt stellen die Geschäfte zwischen den aufstrebenden Ländern heute schon 17 Prozent aller internationalen Handelsbewegungen. 2005 lag dieser Wert gerade noch bei neun Prozent. „Der Schub in den aufstrebenden Ländern verlagert das wirtschaftliche Epizentrum des Planeten weiter nach Osten“, schreiben die Autoren.
Gerade die südostasiatischen Länder zeichnen sich durch besonders intensive Handelsbeziehungen aus. Vor allem Malaysia, Vietnam, Kambodscha, Hong Kong und Singapur erzielen hohe Globalisierungswerte. Die dominanteste Nation ist aber nach wie vor China. Das Land ist an mehr als jedem zehnten globalen Handelsstrom beteiligt – ein Wert, den kein Land übertrifft.
Europa am stärksten vernetzt
Gleichwohl bleibt Europa noch die am stärksten vernetzte Region der Welt – mit neun der zehn besten Länder im Gesamt-Ranking. Das größte und dichteste Netzwerk haben die Niederlande gesponnen, vor Irland und Singapur. Deutschland folgt auf Rang neun. Europa ist besonders abhängig von seiner Regionalität. 78 Prozent aller Exporte bleiben auf dem Kontinent.
Die Studie warnt hingegen vor protektionistischen Tendenzen. Gerade in Zeiten schwächelnder Wirtschaft werde die Kraft der globalen Vernetzung gebraucht, damit sich das Wachstum schneller erhole.
Die Freihandelsabkommen
Ceta ist die Abkürzung für das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada. Es steht für „Comprehensive Economic and Trade Agreement“ (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen). Die technischen Verhandlungen begannen 2009, beendet wurden sie 2014. Am 27. Oktober soll Ceta unterzeichnet werden. Ziel des Abkommens ist es, durch den Wegfall von Zöllen und „nichttarifären“ Handelsbeschränkungen wie unterschiedlichen Standards und Normen das Wirtschaftswachstum anzukurbeln.
Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums ist die EU für Kanada nach den USA der zweitwichtigste Handelspartner. Ceta gilt auch als Blaupause für das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP), das den weltgrößten Wirtschaftsraum mit rund 800 Millionen Verbrauchern schaffen würde. Kritiker sehen durch beide Abkommen unter anderem demokratische Grundprinzipien ausgehöhlt.
TTIP ist ein sich in der Verhandlung befindendes Freihandels- und Investitionsabkommen zwischen der Europäischen Union und den USA. Seit Juli 2013 verhandeln Vertreter beider Regierungen geheim – auch die nationalen Parlamente der EU erhalten keine detaillierten Informationen.
In dem Abkommen geht es um Marktzugänge durch den Abbau von Zöllen. Zudem sollen globale Regeln entwickelt werden – etwa zur Vereinheitlichung von Berufszugängen innerhalb der Handelszone. Auch Gesundheitsstandards und Umweltstandards sollen angeglichen werden.
Als Blaupause für das Abkommen gilt CETA.
Weniger Regionalisierung – mehr Distanz
Doch nicht alle Länder profitieren von regional starken Beziehungen wie Europa. Im Gesamtbild nimmt die Distanz zwischen den vernetzten Ländern zu. Lag die durchschnittliche Entfernung des Index‘ 2005 noch bei 4647 Kilometern, stieg er bis 2013 auf 4904 Kilometer – ein Anstieg von knapp sechs Prozent.
Diesem Trend folgte auch Deutschland, wenngleich die Veränderung sich eher unbedeutend von 2703 Kilometer auf 2821 Kilometer vergrößerte.
Wissenshochburgen Industrieländer
Wenn es um die Ausbildung geht, sind die Industrieländer nach wie vor stark gefragt. Das hat einen Grund: Nach einer Untersuchung des Academic Ranking of World Universitys stehen 99 der 100 besten Hochschulen in Industrieländern. So gehen mehr als die Hälfte aller Studentenbewegungen von aufstrebenden Ländern in entwickelte Länder. Vor allem Chinesen und Inder drängt es an US-amerikanische Hochschulen.
Generell belegen aber auch die Studentenbewegungen die moderate Internationalisierung: Gerade einmal zwei Prozent aller Studenten sind an einer Hochschule im Ausland eingeschrieben.
Wenngleich die Autoren mit Sorge den geringen Fortschritt der Globalisierung betrachten – im Kern bleiben auch sie optimistisch. „Trotz aller Sorgen müssen wir eine Sache bedenken: Die Weltwirtschaft soll zwischen 2014 und 2019 immer noch schneller wachsen als in den letzten 30 Jahren“, heißt es in der Studie.