Goldman-Sachs-Chefökonom Jan Hatzius "Das Deflationsrisiko ist erheblich"

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Abwertung des Euros als konjunktureller Impuls

Zieht die Konjunktur in der Euro-Zone 2015 wieder an?

Ich rechne mit einem Wachstum in der Euro-Zone von knapp einem Prozent. Das ist nicht viel, aber besser als das durchschnittliche Wachstum der vergangenen zwei Quartale. Dabei hilft der niedrigere Ölpreis. Auch die Abwertung des Euro dürfte einen leichten konjunkturellen Impuls geben. Wir gehen davon aus, dass es in den kommenden Monaten eine weitere geldpolitische Lockerung mit dem Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB geben wird. Auch der Heilungsprozess im Finanzsystem geht weiter, wenn auch langsam. In den kommenden Monaten wird es ein höheres Kreditangebot geben als noch vor einem Jahr.

Als Wachstumsbremsen in Europa gelten vor allem Italien und Frankreich. Wie sehen Sie die Entwicklung dort?

Strukturreformen in verschiedenen Bereichen, insbesondere am Arbeitsmarkt, sind sicherlich sinnvoll. Starke Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen in der Konjunkturflaute halte ich aber für einen Fehler. Um es mit Keynes zu sagen: „The boom, not the slump, is the right time for austerity at the Treasury.“

Griechenland und Spanien haben Strukturreformen eingeleitet und begonnen, ihre Haushalte zu sanieren. Diesen Ländern geht es heute besser als Italien und Frankreich, wo weder das eine noch das andere stattgefunden hat.

In Spanien gab es mehr Strukturreformen, das ist positiv. Aber trotz der jüngsten Erholung ist die Arbeitslosenquote in Spanien immer noch doppelt so hoch wie in Italien. Deshalb würde ich die positive Entwicklung nicht überbewerten. Und ich bestreite entschieden, dass es Griechenland besser geht als Frankreich oder Italien.

Wenn wir einen Blick auf die Weltkonjunktur werfen, wie schätzen Sie die wirtschaftliche Lage in Japan und in China ein?

Die erneute Rezession in Japan in den vergangenen zwei Quartalen resultiert aus der verfehlten Entscheidung, im April 2014 die Verbrauchsteuern um drei Prozentpunkte anzuheben. Zum Glück hat die japanische Regierung ihren Fehler erkannt und die zweite Stufe der Steuererhöhung auf 2017 verschoben. Zusammen mit dem niedrigen Ölpreis und der Abwertung der Währung dürfte dies zu einer Wachstumsbeschleunigung auf 1,0 Prozent im Jahr 2015 und auf 1,25 Prozent 2016 führen. Das hört sich zwar nicht beeindruckend an, liegt aber erheblich über dem japanischen Potenzialwachstum und schafft zumindest eine gewisse Chance, dass die Bank of Japan mittelfristig ihr Inflationsziel von zwei Prozent erreicht.

Wie geht es in China weiter?

Das Wachstum wird dort in den nächsten Jahren weiter zurückgehen. 2015 rechne ich mit einer Abschwächung des Wachstums auf sieben Prozent, bis 2018 prognostizieren wir einen weiteren Rückgang auf nur noch gut sechs Prozent. Und die Abwärtsrisiken sind erheblich.

Zum Beispiel?

Der Verschuldungsgrad ist stark gestiegen, und der Immobilienmarkt kommt nun unter Druck. Das ist potenziell eine gefährliche Kombination, wie wir in den Krisen der vergangenen Jahrzehnte immer wieder gesehen haben. Die chinesische Regierung hat allerdings immer noch genügend Instrumente, um die Abschwächung abzufedern.

Welche denn?

Zumindest kurzfristig gibt es bei einem Einbruch am Immobilienmarkt noch Spielräume für eine stabilisierende Lockerung der Geld- und Fiskalpolitik. China hat in dieser Hinsicht vermutlich mehr Mittel als Amerika und Europa in den Jahren der Finanzkrise. Aber über kurz oder lang muss die Anpassung kommen – und die wird auf dem chinesischen Wachstum lasten.

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