Goldman-Sachs-Chefökonom Jan Hatzius "Das Deflationsrisiko ist erheblich"

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Lohnenswert bis 60 Dollar pro Barrel

Blockiert Washington die Konjunktur, oder läuft es so gut, weil die Politik nicht viel tut?

Im Moment ist die Politik kein größeres Problem für die Konjunktur. Es liegt natürlich einiges im Argen, etwa bei der Einwanderungspolitik, bei der Unternehmensbesteuerung, bei der Infrastruktur. Aber das ist nichts, was kurzfristig kritisch für das Wachstum ist. Wenn wieder eine Krise kommt, sieht das anders aus. Dann ist eine entscheidungsfähige Mehrheit notwendig.

Wird der Ölpreis weiter sinken?

Ich erwarte mittelfristig keinen weiteren Rückgang beim Ölpreis. Es ist ein Niveau erreicht, bei dem die Angebotsseite in absehbarer Zeit reagieren dürfte. Das heißt, es wird weniger in zusätzliche Förderungskapazität investiert. Das führt längerfristig zu einer Verknappung des Angebots und einem tendenziellen Anstieg des Ölpreises. Natürlich spielt auch die Nachfrage eine Rolle, also die Entwicklung der Weltwirtschaft.

Hilft der niedrige Ölpreis der Konjunktur?

Zumindest in den Industrieländern. In Europa und Japan wird ja kaum heimisches Öl produziert. Und in den USA ist der positive Einfluss auf die privaten Haushalte immer noch größer als die negativen Folgen für die Ölproduzenten.

Lohnt sich die heimische Förderung in den USA angesichts des gesunkenen Preises überhaupt noch?

Wenn sich der Ölpreis auf dem derzeitigen Niveau stabilisiert, dürfte die Ölproduktion in den USA 2015 noch steigen – wenn auch weniger stark als in den vergangenen Jahren. Bei einem Preis unter 60 Dollar pro Barrel ginge es mit der US-Produktion aber vermutlich bergab.

Für Mario Draghi, den Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), ist der sinkende Ölpreis nicht nur ein Segen. Er drückt auf die Inflation. Wie groß ist nun das Deflationsrisiko in der Euro-Zone?

Das Deflationsrisiko in der Euro-Zone ist erheblich. Es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass es auf breiter Front zu sinkenden Preisen kommen könnte. Die derzeitige Inflationsrate von unter 0,5 Prozent ist für die Anpassung der Verschuldungsquoten und relativen Preise im Euro-Raum schädlich.

Muss die EZB angesichts sinkender Inflationsraten und einer stagnierenden Wirtschaft aggressiver eingreifen und ihre Geldpolitik weiter lockern?

Ja, eine weitere Lockerung wäre angemessen. Denn von ihrem Inflationsziel von knapp zwei Prozent ist die EZB weit entfernt. Im Gegensatz zur Fed hat die EZB auf die niedrige Inflation viel zu spät reagiert. Ich staune immer noch über die Zinserhöhung des Jahres 2011.

Was der deutschen Wirtschaft Mut und Angst macht
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Angstmacher: EurokriseSie hat sich dank dem Einschreiten der Europäischen Zentralbank (EZB) merklich beruhigt. Seit ihr Chef Mario Draghi Ende 2012 den unbegrenzten Kauf von Staatsanleihen kriselnder Euro-Länder angekündigt hat, hat nach Ansicht der Finanzmärkte die Gefahr einer Staatspleite in Spanien und Italien deutlich abgenommen. Doch die Ruhe könnte sich als trügerisch erweisen. So reagieren die Börsianer zunehmend nervös auf die Umfrageerfolge von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der bei der Parlamentswahl kommende Woche in Italien wieder kandidiert. Berlusconi will viele Reformen seines Nachfolgers Mario Monti wieder zurücknehmen und beispielsweise die Immobiliensteuer wieder abschaffen. Quelle: REUTERS
Angstmacher: Euro-StärkeDie Gemeinschaftswährung steht unter Aufwertungsdruck. Seitdem die japanische Notenbank ihre Geldschleusen geöffnet hat, ist der Euro um 20 Prozent im Verglich zum Yen gestiegen. Dort sitzen einige der größten Konkurrenten der deutschen Exporteure, darunter Autokonzerne wie Toyota und viele Maschinenbauer. Sie können ihre Produkte dank der Yen-Abwertung billiger anbieten. Quelle: dpa
Auch im Vergleich zu anderen Währungen ist der Euro teurer geworden. Experten warnen bereits vor einem Abwertungswettlauf. Noch können die deutschen Exporteure mit dem Wechselkurs gut leben. Die größere Sorge ist, dass weniger konkurrenzfähige Euro-Länder wie Frankreich oder Italien darunter leiden. Das würde am Ende auch Deutschland treffen, das fast 40 Prozent seiner Waren in die Währungsunion verkauft. Quelle: dpa

Aber steht uns nicht ein weltweiter Währungskrieg bevor, wenn die EZB mit einer weiteren Lockerung reagiert?

Um einen Währungskrieg mache ich mir keine großen Sorgen. Wenn sich jede Zentralbank auf das konzentriert, was für die heimische Wirtschaft notwendig ist, dann hat das Auswirkungen auf die jeweiligen Währungen. Aber das ist Teil des Anpassungsprozesses. Sollte der Dollar in den kommenden Monaten tatsächlich stark aufwerten, wird die Fed das berücksichtigen – und die Zinswende womöglich später einleiten als geplant.

Deutschland wird kritisiert, als stärkste Wirtschaftsnation nicht genug für eine Konjunkturbelebung zu tun. Wie ist Ihr Ausblick für Deutschland?

Wir sehen für 2015 ein Wachstum von etwa einem Prozent in Deutschland. Das ist weniger als vor ein paar Monaten erwartet, aber immer noch ganz respektabel. Gleichzeitig glaube ich aber, dass Deutschland angesichts seiner entspannten Haushaltslage durchaus Spielraum für eine fiskalpolitische Lockerung hat. Das wäre sowohl aus deutscher als auch aus europäischer Sicht sinnvoll.

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