Große Ökonomen Der Konstrukteur der Marktwirtschaft

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Gegen die Unrast der Politik

Die konstituierenden und regulierenden Prinzipien der Marktwirtschaft nach Eucken

Eucken formulierte sieben „konstituierende Prinzipien“ einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbsordnung, die Politiker achten und schützen müssen (siehe Grafik). Im Mittelpunkt steht ein unverzerrtes Preissystem bei vollständiger Konkurrenz. Euckens Ausgangspunkt ist dabei ausdrücklich die soziale Frage, er kommt aber zu ganz anderen Schlüssen als etwa der Kapitalismus-Kritiker Karl Marx: Für Eucken ist nicht das Kapital an sich schuld an Elend und Armut, sondern vor allem die Vermachtung der Unternehmenswelt. Euckens Schlussfolgerung: Die Wirtschaftspolitik muss immer und überall den Wettbewerb fördern. Denn nur Preise, die nicht von Monopolisten oder Oligopolisten diktiert werden, können ihre marktwirtschaftliche Signalfunktion wahrnehmen, relative Knappheiten anzeigen und den Wirtschaftsprozess effizient steuern.

Die weiteren konstituierenden Prinzipien der Marktwirtschaft sind für Eucken offene Märkte, das Recht auf Privateigentum und die Pflicht zur Haftung, Vertragsfreiheit, Geldwertstabilität, sowie – angesichts der politischen Orientierungslosigkeit dieser Tage besonders pikant – die Konstanz der Wirtschaftspolitik. Eucken warnt vor einer kurzatmigen Ad-hoc-Politik und staatlichem Interventionismus, der ökonomische Probleme mittel- und langfristig meist nur verschlimmert. Ein rein situationsbezogenes Handeln ohne Wertegerüst und ordnungspolitischen Kompass, heute gern als Pragmatismus und Flexibilität gelobt, führt nicht nur zur Erosion marktwirtschaftlichen Bewusstseins, sondern auch zu Absetzbewegungen der Unternehmen – mithin zu sinkendem Wachstum. „Die nervöse Unrast, die heute verwirft, was gestern galt, schafft ein großes Maß von Unsicherheit und verhindert viele Investitionen“, schreibt Eucken und konstatiert: „Es fehlt die Atmosphäre des Vertrauens.“

Der Ökonom bezieht sich dabei auf empirische Untersuchungen aus den USA, wonach Unternehmen neue Maschinen anschaffen, wenn sich diese innerhalb von drei bis fünf Jahren amortisieren. Eucken kommt zu dem Schluss: Je sprunghafter und unberechenbarer die Politik, umso stärker der Anreiz für die Unternehmen, nur noch solche Investitionen anzugehen, die sich schnell rechnen. Risikoreiche und längerfristig angelegte Investitionen hingegen unterbleiben aus Angst vor staatlicher Willkür.

Gleichwohl spricht Eucken dem Staat eine wichtige Rolle zu. Er glaubt nicht an die unsichtbare Hand, die Angebot und Nachfrage stets in Einklang bringt. Um die „Wettbewerbsordnung funktionsfähig zu halten“, bedürfe es auch „regulierender Prinzipien“. Damit meint der Ökonom vor allem eine staatliche Monopolkontrolle sowie die Notwendigkeit einer staatlichen Einkommensumverteilung; Eucken plädiert in diesem Zusammenhang für ein (mäßig) progressives Steuersystem.

Die Verbindung von Theorie und Praxisnähe, die Eucken zeitlebens verfolgte, war für die Nationalökonomie damals neu. „Eucken war ein Monolith und hat eine völlig neue Modellwelt geschaffen. Er hatte keine ökonomischen Vorbilder, sondern erkannte die Defizite der herrschenden Denkrichtungen“, sagt Ökonom Gerken.

Im frühen 20. Jahrhundert ist die Nationalökonomie in zwei Lager gespalten. Da ist zum einen die – dominierende – Historische Schule, die ökonomische Phänomene allein mithilfe empirischer Faktensammlungen erklärt und sich dabei als normative Wissenschaft versteht, die dem Leitbild eines starken Staates anhängt. Auf der anderen Seite stehen die theoretisch orientierten Neoklassiker, die streng rational argumentieren und für die es allgemeingültige Gesetze menschlichen Handels gibt. Es ist somit im Kern ein philosophisch-ökonomischer Methodenstreit zwischen induktiver und deduktiver Wissenschaft, es geht um die Frage, ob sich aus Einzelfällen allgemeine Zusammenhänge und Gesetzmäßigkeiten ableiten lassen oder ob umgekehrt bei gegebenen Voraussetzungen vom Allgemeinen aufs Spezielle geschlossen werden kann.

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