Hans-Werner Sinn "Am liebsten Biologie. Ökonomie war zweite Wahl"

Hans-Werner Sinn Quelle: Privat

Die deutsche Ökonomie verdankt Hans-Werner Sinn seit Jahren pointierte Analysen - das ist nicht selbstverständlich, denn eigentlich wollte er Biologie studieren. Auszüge aus seiner neuen Autobiographie.

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Im März wird der Ökonom Hans-Werner Sinn 70. Am 21. Februar erscheint im Verlag Herder seine Autobiographie "Auf der Suche nach der Wahrheit". Lesen Sie hier einige Auszüge aus dem Kapitel "Wie ich zum Volkswirt wurde" über seine Entscheidung, Ökonom zu werden, seine Frau Gerlinde Sinn und sein Faible für ägyptische Musik.

(...) Dass ich mich freilich überhaupt der Ökonomie zuwenden sollte, war bei näherer Betrachtung nicht selbstverständlich. Denn nach dem Abitur wusste ich keineswegs sofort, was ich studieren sollte. Ich hegte schon eine große Vorliebe für die Naturwissenschaft, die am Helmholtz-Gymnasium in Bielefeld hervorragend unterrichtet wurde. Der Physikunterricht mit seinen praktischen Experimenten und theoretischen Erklärungen, der von Johannes Kenter angeboten wurde, faszinierte mich. Aber noch mehr hatte es mir die Biologie angetan.

Sowohl mein Biologielehrer Werner Schramm als auch ein Referendar, der ihm zugeteilt worden und frisch von der Universität gekommen war, boten einen aufrüttelnden und wissenschaftlich hochstehenden Unterricht, der insbesondere auch die Evolutionstheorie und die molekulare Genetik in vollem Detail präsentierte. Und dies, obwohl die zugrunde liegenden Forschungsergebnisse von Francis Crick und James Watson damals ganz frisch waren. Lange erwog ich deshalb, Biologie zu studieren.

Buchcover:

Das Problem war allerdings, dass ich kein wirklich spannendes Berufsbild damit verbinden konnte, und Biologielehrer wie Schramm wollte ich nicht werden. Wer weiß: Hätte ich damals auch nur geahnt, welchen dramatischen Fortschritt die Biologie im Allgemeinen und die Genforschung im Besonderen seit jener Zeit machen würde, ich hätte mich vermutlich für das Biologiestudium entschieden. Und hätte es keine zeitliche Rivalität zwischen den Fächern gegeben, hätte ich eigentlich sogar gerne mehrere zugleich studiert, in jedem Fall Ökonomie und Biologie nebeneinander.

So aber folgte ich "nur" meiner zweiten Präferenz und wandte mich den Wirtschaftswissenschaften zu, weil ich die gesellschaftlichen Probleme, die sie analysierte, auch vor dem Hintergrund unseres exzellenten Deutsch und Geschichtslehrers Jürgen Schettler als drängend und wichtig ansah.

(…)

Bei einer Vorlesung 1988. (Copyright Hans-Werner Sinn/Privat) Quelle: Privatfoto

Die Biologie blieb aber mein Steckenpferd, und parallel zu meinem VWL-Studium habe ich so allerlei an evolutionsbiologischer Literatur gelesen, von Theodosius Dobzhansky über John Maynard Smith und Edward O. Wilson bis hin zu Richard Dawkins und anderen mehr. Und in gewisser Weise hat mich die Biologie auch als Ökonom nie ganz verlassen, denn im Rahmen meiner Forschungen habe ich mich immer wieder mal auch biologischen Sachverhalten zugewandt, um zu schauen, wie sie für ökonomische Erkenntnisse nutzbar gemacht werden können.

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Ich hatte im Übrigen auch erwogen, Soziologie, Politologie oder Betriebswirtschaftslehre (BWL) zu studieren. Doch die Soziologie und die Politologie schienen mir zu ideologielastig, und die BWL war mir von den mich interessierenden gesellschaftspolitischen Fragen zu fern. Die BWL bot zwar schon zu jener Zeit besonders attraktive Karrierechancen. Aber ich wollte nach einer wissenschaftlichen Gymnasialausbildung, die mich in ihren Bann gezogen hatte, keine Kompromisse machen und bloß des Geldes wegen in dieses Fach wechseln. Nicht dass mir Geld unwichtig war. Angesichts meiner Herkunft aus ärmlichen Verhältnissen konnte ich diesen Aspekt nicht vernachlässigen und fühlte mich auch insofern bei einem wirtschaftsnahen Fach besser aufgehoben. Aber die Präferenz für das Geld ging auch wiederum nicht weit genug, um bloß deswegen BWL zu studieren. Obwohl ich wusste, dass ich als Volkswirt weniger Berufsoptionen haben würde als ein Betriebswirt, einfach weil es weniger Völker als Betriebe gibt, entschied ich mich für die Volkswirtschaftslehre. Bis heute habe ich diese Entscheidung nicht bereut. (...)

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