Im Jahr 1923 können die Deutschen beim Einkaufen ihre Portemonnaies getrost zu Hause lassen – sie brauchen stattdessen Schubkarren, Reisentaschen und Wäschekörbe, um ihr Geld zum Kaufmann um die Ecke zu tragen. Denn ihr Papiergeld, das einmal eine echte Währung gewesen ist, verliert täglich dramatisch an Wert. Im Mai 1923 kostet in Berlin ein Kilo Brot 474 Mark. Zwei Monate später ist der Preis auf 2200 Mark gestiegen, Anfang Oktober sind es 14 Millionen. Noch einmal vier Wochen später kostet der Brotlaib 5,6 Milliarden Mark.
Viele Unternehmen unterbrechen kurz die Produktion, sobald die Löhne ausbezahlt sind, damit sich die Arbeiter sofort etwas kaufen können. Über 1800 Druckmaschinen laufen rund um die Uhr, um immer neues Spielgeld in den Markt zu drücken; fast 30.000 Menschen sind mit der Herstellung neuer Geldscheine beschäftigt. Eine Straßenbahnfahrt gibt es für 50 Milliarden Mark, und um einen einzigen US-Dollar zu bekommen, müssen die Bürger rund vier Billionen Reichsmark zur Wechselstube karren – verrückter Alltag in der Hyperinflation.
Die dramatische Geldentwertung des Jahres 1923 ist in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ein singuläres Ereignis, nicht nur, weil sie Millionen Sparer und viele mittelständische Unternehmer enteignete. Das deutsche Desaster zeigt, wie elementar eine unabhängige Notenbank für die Funktionsfähigkeit eines Währungssystems ist – und was umgekehrt passieren kann, wenn sie unter dem Druck der Politik und aufgrund einer vermeintlichen Alternativlosigkeit die Notenpresse anwirft.
Verbot der Monetarisierung von Staatsschulden gekippt
„Nichts hat das deutsche Volk so erbittert, so hasswütig, so hitlerreif gemacht wie die Inflation“, notierte der Schriftsteller Stefan Zweig 1939. Und der Wirtschaftshistoriker Christoph Buchheim schrieb: „Die Fratze der Hyperinflation grub sich in das kollektive Gedächtnis der Deutschen ein und löste ein Inflationstrauma aus, das noch lange nachwirken sollte.“
Wie konnte es so weit kommen? Das humanitäre und geldpolitische Unheil beginnt im Jahr 1914. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs setzen die Kriegsparteien den bis dahin geltenden Goldstandard außer Kraft. Am 4. August endet die Verpflichtung der Reichsbank, die alte Mark des Kaiserreichs jeder-zeit in Gold umzutauschen. Und um seine immensen Kriegskosten finanzieren zu können, kippt Deutschland das zuvor geltende Verbot der Monetisierung von Staatsschulden.
Finanzielle Probleme
„Die Reichsbank wurde zum willfährigen Instrument unbegrenzter staatlicher Kreditschöpfung“ und die Regierung „zur Herrin über die Geldmenge“, so Wirtschaftshistoriker Buchheim. Der Bargeldumlauf im deutschen Reich klettert von 6,5 Milliarden Mark (1913) auf 33 Milliarden Mark bei Kriegsende 1918, während sich das Güterangebot gleichzeitig um rund ein Drittel verringert.
Nach Kriegsende steht die junge Weimarer Republik vor gewaltigen finanziellen Problemen. Vor allem die Last der Reparationszahlungen treibt die Staatsschulden in schwindelerregende Höhen. Und wieder weiß die Politik keinen anderen Rat, als die Notenpresse anzuwerfen. Viele Politiker und auch Ökonomen sehen in steigenden Preisen das kleinere Übel im Vergleich zu einem radikalen Sparprogramm, das unkontrollierbare politische Kollateralschäden hätte heraufbeschwören können.
Eine Debatte um eine Vermögensabgabe verläuft im Sande. „Es war in der instabilen Weimarer Republik kein politischer Kompromiss möglich, die Schulden anders in den Griff zu bekommen als durch Inflation“, sagt Nikolaus Wolf, Direktor des Instituts für Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin. „Dass die Inflation so aus dem Ruder laufen würde, damit hatte allerdings keiner gerechnet.“
Berlin druckt Geld
Doch schon bald hat die Reichsbank jede Kontrolle verloren. Anstatt die geldpolitische Reißleine zu ziehen, verschärfen Politik und Notenbank die Krise sogar immer weiter. Als französische Truppen wegen eines Rückstands bei den Reparationszahlungen ins Ruhrgebiet einmarschieren und die Arbeiter dort in den Generalstreik treten, zahlt die deutsche Regierung ihnen die Löhne weiter – das Geld kommt direkt aus der Notenpresse.Die Reichsbank hält derweil krampfhaft und noch bis Juli 1923 an dem im Kriegsjahr 1914 festgelegten Diskontsatz von fünf Prozent fest, um die staatlichen Finanzierungskosten stabil zu halten. Geschäftsbanken fordern in dieser Zeit bereits Zinsen von über 50 Prozent.
Die Hyperinflation endet erst, als Reichskanzler Stresemann im November eine Währungsreform durchsetzt, die Notenpresse stilllegt und eine Parallelwährung installiert – die „Rentenmark“. Diese wird von einer politisch unabhängigen Rentenbank emittiert. Ihr Grundkapital deckt sie aus einer zwangsweise erhobenen Hypothekenbelastung des gewerblichen Grundbesitzes in Deutschland. Dies ist zwar eher ein symbolischer Akt, hat aber den psychologischen Effekt, dass die Bürger hinter der Rentenmark das volkswirtschaftliche Grundvermögen als Sicherheit vermuten. Zudem kommt es zu politischen Neuverhandlungen über die Reparationsfrage – was sich mäßigend auf die deutschen Inflationserwartungen auswirkt.
Ab 1924 normalisiert sich die Lage – bis 1929 die nächste große Wirtschaftskrise beginnt, die diesmal Deflation heißt.