Tatsächlich wird in Deutschland immer weniger investiert. Dabei ist die deutsche Wirtschaft eine Hochtechnologie-Wirtschaft. Um unsere Stellung im Weltmarkt und unseren Wohlstand zu erhalten, sind Investitionen dringend notwendig. Warum investieren wir dennoch so wenig?
Zunächst einmal: Sind die Zinsen überhaupt extrem niedrig? Die Zinsen für neue Kredite an Unternehmen liegen in den Euro-Ländern zwischen 1,5 und 2,5 Prozent. Der Realzins ist höher: Deflationiert mit den Erzeugerpreisen, die derzeit um 0,5 bis 1,0 Prozent jährlich fallen, ergibt sich ein Realzins zwischen 2,0 und 3,5 Prozent. Das ist gar nicht so wenig. Bei höherer Inflation, die die Europäische Zentralbank mit ihrer Geldpolitik ja anstrebt, sähe diese Bilanz günstiger aus.
Der Realzins ist aber nur eine, und wahrscheinlich noch nicht einmal die wichtigste Determinante für Investitionen. Die Investitionen des Staates beispielweise, rund ein Zehntel vom Ganzen, sind nur insofern zinsabhängig, als niedrige Zinsen im Staatshaushalt Ausgabenspielräume schaffen. An kräftig sprudelnden Steuereinnahmen mangelt es jedoch hierzulande nicht. Dennoch liegt Deutschland bei den öffentlichen Investitionen im internationalen Vergleich weit hinten. Netto, also abzüglich der Abschreibungen, sind die Investitionen des Staates seit 2003 sogar negativ. Es wird also Jahr für Jahr vom Kapitalstock gezehrt.
Schon Ende 2012 hatte eine von den Länder-Verkehrsministern eingesetzte Kommission eine Erhöhung der Infrastrukturinvestitionen um mehr als zehn Prozent für notwendig erklärt, um "weitere volkswirtschaftliche Schäden zu vermeiden und den Wirtschaftsstandort Deutschland nicht zu gefährden". Andere Studien, die neben der Verkehrsinfrastruktur auch Breitbandnetze oder neue Stromtrassen ins Bild nehmen, kommen zu noch dramatischeren Investitionsdefiziten. Ein wichtiger Beitrag zu dieser Diskussion ist das Gutachten der Fratzscher-Kommission, das ebenfalls die über lange Zeit unzureichende Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur kritisiert.
Die Stärken Deutschlands
Deutschland ist zwar nicht mehr Exportweltmeister, liegt jedoch ganz vorne im internationalen Vergleich. Deutschland liegt an dritter Stelle, wenn es um den Export von Gütern, Dienstleistungen und Investitionen im Ausland geht. Deutsche Güter werden weltweit nachgefragt, so ist die Bundesrepublik wenig anfällig, wenn die Konsumlaune im Inland oder im europäischen Ausland nachlässt.
Wer in Deutschland etwas entwickelt, kann sich sicher sein, dass seine Eigentumsrechte per Gesetz gewahrt werden. Das beschert Deutschland den dritten Platz im Bereich Schutz des geistigen Eigentums, außerdem liegt die Bundesrepublik in Sachen Ausgaben für das Gesundheitssystem, Innovationsumfang und Grüne Technologie auf dem vierten Platz.
Deutschland gelingt es sehr effizient, seine Bürger und Unternehmen zu schützen. So punktet die Bundesrepublik mit der Inneren Sicherheit, mit dem Schutz des geistigen Eigentums - und mit einer effizienten Kontrolle der Kapitalmärkte. In allen drei Kategorien belegt die Bundesrepublik den 5. Rang.
In Sachen Produktivität und Effizienz liegt Deutschland im internationalen Vergleich ganz vorne. In den Bereichen Ausbildung, kleine und mittlere Unternehmen, Fortbildung der Mitarbeiter und Produktivität der Mitarbeiter liegt die Bundesrepublik an der Spitze und belegt in den vier Kategorien den ersten Platz.
Die deutsche Wirtschaft ist breit gefächert. Ob Autos, Technologie oder Dienstleistungssektor, hierzulande sind viele verschiedene Industrien angesiedelt. Das erhöht zum einen die Attraktivität des Landes, zum anderen senkt es aber auch die Gefahr, dass Deutschland aufgrund Probleme einer einzelnen Industrie selbst in Schwierigkeiten gerät. Mit seiner breiten Aufstellung in unterschiedlichen Branchen liegt Deutschland international auf Rang 2.
Die aktuelle Flüchtlingsproblematik drängt diese Überlegungen zusätzlich in den Hintergrund. Die Aufgaben, vor denen Deutschland hier steht, erzwingen andere Ausgaben, von der Administration des Zustroms über die Unterbringung bis hin zu Integration und Qualifikation der Neuankömmlinge. Nur ein Teil der Ausgaben, so etwa Ankäufe, Neubau oder Ausbau von Gebäuden wird sich auch in höheren staatlichen Investitionsausgaben niederschlagen.
Die Schwächen Deutschlands
Die relativ hohen Beiträge zur Sozialversicherung sind ein Wettbewerbsnachteil für Deutschland. Dafür gibt es Platz 56. Und auch die Besteuerung von Unternehmensgewinnen müsste niedriger sein, um die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, so das IMD. In diesem Bereich liegt die Bundesrepublik auf Platz 53.
Im internationalen Vergleich sind die Preise für Benzin - insbesondere aufgrund der hohen Besteuerung - in Deutschland sehr hoch, was für einen 44. Platz in diesem Bereich sorgt. Gerade wenn sich die Bundesrepublik mit den USA misst, hat sie einen klaren Nachteil auf dem internationalen Markt bei den Energiekosten.
Auch Flexibilität und Anpassungsfähigkeit gehören nicht gerade zu Deutschlands Stärken. Deutschland gilt als starr und wenig reformbereit. Deutschland liegt in diesem Teilaspekt nur auf Rang 49.
Und wie sieht es bei den Investitionen der Wirtschaft aus? Diese Frage ist schwerer zu beantworten: Investitionsentscheidungen werden von den Unternehmen dezentral getroffen, und es gibt keinen objektiven Maßstab, ob sie ausreichend sind. In der Fachdiskussion werden die gesamtwirtschaftlichen Investitionsquoten daher zwischen Ländern verglichen. Entscheidend für die Diskussion um die Investitionslücke und die Zukunftssicherheit der deutschen Wirtschaft sind die Ausrüstungsinvestitionen, also die Ausgaben für Maschinen, Transportausrüstungen und Forschung und Entwicklung. Die Statistik sagt hier, dass der Anteil der Ausrüstungsinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt in den letzten 25 Jahren in Deutschland immer über dem Durchschnitt der Euro-Länger lag, und er ist auch aktuell noch höher.
Richtig ist aber auch, dass die Quote der Ausrüstungsinvestitionen auf lange Sicht einen rückläufigen Trend zeigt. Anfang der Siebzigerjahre lag sie bei fast zehn Prozent, seitdem bröckelte sie kontinuierlich ab - auf zuletzt 6,5 Prozent. Eine wichtige Erklärung für die sinkende Quote der Ausrüstungsinvestitionen – nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Industrieländern – ist die Verbilligung vieler Investitionsgüter, insbesondere im Bereich Datenverarbeitung oder computergestützten Maschinen. Gemessen an den impliziten Preisindizes der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen kosten Maschinen heute nur etwa 1,5mal so viel wie 1970, während das Preisniveau des BIP im Ganzen in dieser Zeit auf das 3,1-fache gestiegen ist. Relativ hat sich also der Preis für Investitionen in Maschinen halbiert. Entsprechend fällt ihr Anteil am nominalen Bruttoinlandsprodukt niedriger aus.
Innovativer Nachwuchs gefährdet
Weitere Erklärungsbeiträge liefern die deutschen Direktinvestitionen im Ausland, die trendmäßig leicht steigen – auch wenn die Zahlen erst seit 2001 vorliegen und stark schwanken. Ebenfalls tendenziell zu Lasten von Investitionen gehen die Anstrengungen der deutschen Unternehmen zur Verbesserung ihrer Eigenkapitalsituation. Der Unternehmenssektor ist also im vergangenen Jahrzehnt zu einem Netto-Kapitalanbieter geworden, und die Eigenkapitalquote im Verarbeitenden Gewerbe ist zwischen 2000 und 2012 von 25 Prozent auf 31 Prozent gestiegen.
Konjunkturindikatoren
Der vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) herausgegebene Index beruht auf der Befragung von 350 Analysten und Finanzmarktexperten. Sie geben dabei ihre Einschätzung über die künftige Wirtschaftsentwicklung ab. Der Index zur mittelfristigen Konjunkturentwicklung ergibt sich aus der Differenz der positiven und negativen Erwartungen über die künftige Wirtschaftsentwicklung. Er wird zur Monatsmitte erhoben.
Der international beachtete Index basiert auf einer Befragung von etwa 7000 Unternehmen aus Bau, Einzelhandel und Industrie. In einem Fragebogen beurteilen sie ihre gegenwärtige Geschäftslage sowie die Erwartungen für die Zukunft. Beide werden im Geschäftsklima zusammengefasst. Der Index ergibt sich aus dem Saldo der Antworten „gut“ und „schlecht“.
Wird von der britischen Forschergruppe Markit erhoben. Er beruht für Deutschland auf Umfragen unter Einkaufsmanagern von 500 repräsentativ ausgewählten deutschen Industrieunternehmen. Bestandteile des Index sind Auftragseingänge, Preise und Beschäftigung. Der Index hat einen relativ kurzen Vorlauf gegenüber der Produktion.
Umfasst den Bargeldumlauf und die Sichteineinlagen, wie zum Beispiel Sparbücher. Da die in M1 enthaltenen Bestandteile direkt für Transaktionen zur Verfügung stehen, deutet ein Anstieg darauf hin, dass die Kaufbereitschaft der Konsumenten und Unternehmen steigt. Der Indikator hat einen Vorlauf von zwei bis drei Quartalen.
Der BDI ist ein Preisindex für die Verschiffungskosten wichtiger Rohstoffe wie Stahl, Eisenerz, Kohle und Getreide auf Standardrouten. Er wird durch das Angebot an frei stehendem Schiffsladeraum und die Hafenkapazitäten beeinflusst. Da Rohstoffe als Vorprodukte am Anfang der Wertschöpfungskette stehen, ist der BDI ein guter Frühindikator für die Weltkonjunktur.
Der Index des Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK prognostiziert die Veränderung der monatlichen privaten Konsumausgaben. Hierfür werden 2000 repräsentativ ausgewählte Personen nach ihren Einkommens- und Konjunkturerwartungen befragt.
Ein ganz anderer Erklärungsansatz – der sich aber leider kaum mit Daten belegen lässt – wäre, dass viele Unternehmen sich statt auf neue Sachinvestitionen viel mehr darauf konzentrieren, die Möglichkeiten der neuen Kommunikations- und Steuerungstechnologien umzusetzen, etwa durch Veränderungen in Organisation, Kommunikation und Management oder durch Qualifizierung der Mitarbeiter – Aktivitäten, die die Produktivität und Ertragskraft erhöhen, sich aber nur zum geringen Teil in bilanziell und statistisch erfassten Investitionen widerspiegeln.
Auch wenn die vermutete Lücke bei den privaten Investitionen schwer zu greifen ist, trägt die Diskussion doch zu der Erkenntnis bei, dass der künftige Wohlstand Deutschlands kein Selbstläufer ist, sondern aktiv gesichert werden muss. Deutschland versteht sich als Land mit einem hochwertigen und hoch produktiven Kapitalstock, dessen Pflege und Ausbau entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg in der Zukunft sind. Aber die statistischen Konzepte von Investitionen oder volkswirtschaftlichem Kapitalstock sind höchst interpretationsbedürftig und greifen oft zu kurz.
Wichtiger ist vielleicht der Blick auf die Innovationsaktivitäten. Auch hier gibt es nur lückenhafte Daten. Aber eine Analyse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) bestätigt, dass die Innovationsausgaben in Deutschland zwar fortgesetzt steigen, sich allerdings immer mehr auf wenige Branchen, auf große Unternehmen und auf eine kleine Gruppe innovativer Klein- und Mittelunternehmen konzentrieren.
Das ZEW schließt daraus, dass die bestehenden Stärken der deutschen Wirtschaft zwar gefestigt werden, aber die Gefahr besteht, dass der Nachwuchs an innovativen Unternehmen ausbleibt, neue Themen nicht besetzt und neue technologische Entwicklungen nicht verfolgt werden. Das wäre in der Tat beunruhigend.