Jahresgutachten des Sachverständigenrats Wirtschaftsweise kritisieren Bundesregierung und EZB

Deutliche Kritik für die führenden Politiker hierzulande und die Europäische Zentralbank: Die fünf Wirtschaftsweisen fordern Reformen in Deutschland und der EU. Die EZB solle ihre expansive Geldpolitik beenden.

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Angela Merkel hält das Jahresgutachten des Sachverständigenrats in den Händen. Quelle: dpa

Die deutschen Wirtschaftsweisen kritisieren die Bundesregierung und die Europäische Zentralbank. Deren Geldpolitik gefährde zunehmend die Stabilität der Finanzmärkte, heißt es im heute vorgestellten Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Die fünf von der Bundesregierung benannten Ökonomen fordern daher, die Anleihekäufe zu verlangsamen und frühzeitig zu beenden.

Das Wirtschaftswachstum in der Eurozone sei wesentlich auf die „außergewöhnlich expansive Geldpolitik der EZB“ zurückzuführen. „Da nach wie vor erhebliche strukturelle Probleme bestehen, ist der Aufschwung nicht selbsttragend“.  Die Geldpolitik der EZB verdecke, dass in vielen Mitgliedsländern nicht die notwendigen Reformen vorangetrieben würden. Einige Länder ließen „die notwendige Haushaltsdisziplin vermissen“.

Auch der deutschen Bundesregierung machen die Sachverständigen schwere Vorwürfe. „Statt sich auf den Erfolgen früherer Reformen wie der Agenda 2010 auszuruhen oder sie sogar zu verwässern, sollte die Politik notwendige Reformen entschlossen umsetzen“, schreiben die fünf Regierungsberater: „Deutschland weist für die laufende Legislaturperiode eine enttäuschende Reformbilanz aus.“

Pro Tag geben die Deutschen 80 Euro aus
Lebenshaltungskosten pro Tag Quelle: dpa
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Löhne und Ausgaben in Leipzig Quelle: dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel wies die Vorwürfe unmittelbar bei der Übergabe des Gutachtens zurück: „Für uns ist immer Zeit für Reformen“, sagte Merkel am Mittwoch in Berlin bei der Entgegennahme des Jahresgutachtens der Regierungsberater. Bei der Beurteilung von Reformen gebe es sicher Differenzen zwischen Ökonomen und der Politik. Eine „gewisse Reibung konstruktiver Art“ sei aber nötig. 

Der Aufschwung in Deutschland und im Euro-Raum werde aber weitergehen, prophezeit der Sachverständigenrat. Die fünf Ökonomen rechnen mit Zuwachsraten des realen Bruttoinlandsprodukts von 1,9 Prozent im Jahr 2016 und 1,3 Prozent 2017. Sie weichen damit geringfügig von den aktuellen Herbstprognosen der Bundesregierung ab: 1,8 % für 2016 und 1,4 Prozent für 2017. 

„Die zugrunde liegende Wachstumsdynamik bleibt im Wesentlichen erhalten“, heißt es. Die deutsche Wirtschaft gerate in eine zunehmende Überauslastung. Für den gesamten Euro-Raumprognostiziert der Sachverständigenrat ein reales Wachstum von 1,6 % im Jahr 2016 und 1,4 % im Jahr 2017.

Forderung nach Reformen in Deutschland und der EU

„Die Mitgliedstaaten des Euro-Raums sollten jetzt den Rückenwind des Aufschwungs für Strukturreformen nutzen. Auch die Bundesregierung hat die gute ökonomische Entwicklung der vergangenen Jahre nicht ausreichend für marktorientierte Reformen genutzt“, sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Christoph M. Schmidt.

Die geforderten Reformen auf EU-Ebene skizzieren die Sachverständigen so:  

- Das Subsidiaritätsprinzip müsse gestärkt werden. In der Klimapolitik, der Asylpolitik und der inneren Sicherheit sei eine stärkere Integration zu wünschen. Die Fiskal-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sollte dagegen in nationaler Verantwortung bleiben.

- Für EU-Migranten sei eine verzögerte Integration in die Sozialsysteme angemessen.

- Die EU sollte die Freihandelsabkommen mit Kanada und den Vereinigten Staaten zum Abschluss bringen.

- Die ungewichtete Eigenkapitalquote für Banken (Leverage Ratio) sollte auf mindestens fünf Prozent erhöht werden. Für systemrelevante Banken seien höhere Quoten anzustreben.

- Regeln zur Restrukturierung von Staatsschulden im Krisenfall seien erforderlich.

Für Deutschland fordern die Sachverständigen:

- Haushaltsspielräume sollten nicht für höhere Ausgaben, sondern zum Abbau der Schuldenquote und für effizienzsteigernde Steuerreformen genutzt werden.

- Das gesetzliche Renteneintrittsalter sei an die fernere Lebenserwartung zu koppeln. Zusätzlich sollten die betriebliche und private Altersvorsorge gestärkt werden.

- Angesichts der verfestigten Arbeitslosigkeit, geringer Lohnmobilität und für die Integration der Flüchtlinge sei ein flexiblerer Arbeitsmarkt notwendig, nicht mehr Regulierung.

- Eine zielgerichtete Bildungspolitik könne die Chancengerechtigkeit und damit die Einkommens- und Vermögensmobilität erhöhen.

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